Thomas Buomberger

Die Schweiz im Kalten Krieg 1945-1990


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ausgegrenzt. Der Kommunismus war unschweizerisch, der Antikommunismus war identitätsstiftend und generierte einen helvetischen Konformismus.

      Dass in der bis weit in die 1960er-Jahre hinein politisch weitgehend homogenen Schweiz die politische Linke (falls sie nicht dem gemässigten gewerkschaftlichen oder sozialdemokratischen Flügel angehörte) oft stigmatisiert wurde, hat mit einer spezifisch schweizerischen Ideologie zu tun: der Geistigen Landesverteidigung. Dieses nationalkonservative Kulturprojekt, 1938 von Bundesrat Philipp Etter propagiert, diente in den Kriegsjahren als helvetischer Riegel gegen die Verführungen der Nazi-Ideologie. Es betonte die Eigenständigkeit einer schweizerischen Kultur, rühmte die Viersprachigkeit, pries die Vorzüge des politischen Systems, stand fest auf den Pfeilern von Föderalismus und direkter Demokratie. Nach dem Krieg kam der Feind nicht mehr aus Norden, sondern aus dem Osten. Statt Nazis waren nun die Kommunisten die Staatsfeinde, ob in- oder ausländische. Wer linke Sympathien zeigte, war Teil einer sogenannten Fünften Kolonne, die die Unabhängigkeit der Schweiz gefährdete, das Land der roten Diktatur im Osten ausliefern wollte.

      Die Geistige Landesverteidigung ist die wohl wirkungsmächtigste Ideologie in der Schweiz des 20. Jahrhunderts. Sie bedeutete nicht nur eine mentale Beschränkung und intellektuelle Isolation nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern sie äusserte sich in einer Bunkermentalität und einem Sicherheitsdenken, die international Ihresgleichen suchten. Die Schweizer Armee begann zwar schon 1882 beim Bau des Gotthardtunnels mit den Befestigungen im Gotthard. Sie baute sie während des Zweiten Weltkriegs sukzessive zum Reduit aus, das erst Jahre nach Kriegsende wirklich funktionstüchtig gewesen wäre. Die eigentliche Verbunkerung der Schweiz fand dann aber erst im Kalten Krieg vor dem Hintergrund der atomaren Bedrohung durch die Sowjetunion statt. Diesem Sicherheitsdenken entsprang die irrwitzige Vorstellung, dass ein Atomkrieg zu überleben sei, was in einem gigantischen Bauprogramm mündete, das jedem Einwohner, jeder Einwohnerin einen Schutzplatz zur Verfügung stellte. Doch diese Phantasmagorien gingen weiter: Nicht nur hätte ein Atomkrieg überlebbar sein sollen, die Schweiz wollte auch mit eigenen Atomwaffen den Preis für einen potenziellen Angreifer hochschrauben. Wie eine atomare Verwüstung zu überleben wäre, darüber wurde die Bevölkerung im Ungewissen gelassen.

      Die Schweiz war unter den westlichen Demokratien das antikommunistischste Land, was inländische – bürgerliche – Politiker und Historiker, aber auch ausländische Diplomaten feststellten. Wie kommt es, dass in diesem wirtschaftlich prosperierenden Land, wo die kommunistische Partei der Arbeit (PdA) nur eine marginale Rolle spielte und wo die bürgerlichen Werte in der Bevölkerung solide verankert waren, sich ein robuster bis militanter Antikommunismus entwickeln konnte, der die politische Kultur des Landes in einen einheitlichen, rechtsbürgerlichen Mainstream zwang und missliebige politische Aktionen mit dem Label «kommunistisch» diskussionslos abwürgen konnte? Eine Erklärung mag in der Imprägnierung mit den Werten der Geistigen Landesverteidigung liegen, die sich als probates Mittel gegen die Nazi-Propaganda erwiesen hatte und die nun, um 180 Grad gewendet, gegen den neuen Feind aus dem Osten eingesetzt werden konnte. Das ermöglichte denjenigen Eliten, die mit den Fronten oder dem Nazismus geliebäugelt hatten, sich als glaubwürdige antikommunistische Patrioten zu gerieren und damit von ihrem wenig ruhmreichen Verhalten während der Nazi-Zeit abzulenken. Es ermöglichte aber auch dem Land als Ganzes, das nicht unproblematische Verhalten während dieser Zeit mit dem Mantel des Vergessens zu überdecken und sich mit umso mehr Vehemenz in den antikommunistischen Kampf zu stürzen. Der wegen seiner Deutschfreundlichkeit und des geschäftlichen Opportunismus während des Zweiten Weltkriegs geächtete einstige Paria der westlichen Alliierten zeigte sich nun im ideologischen Wettstreit als Musterschüler.

      Der bürgerliche Antikommunismus schloss implizit die Sozialdemokratie mit ein. Er war ein Disziplinierungsinstrument, mit dem die Sozialdemokraten gezwungen wurden, permanent ein Treuebekenntnis zum bürgerlichen Staat und zur bewaffneten Landesverteidigung abzugeben. Mit ihrem eigenen fulminanten Antikommunismus konnten die Sozialdemokraten und Gewerkschafter beweisen, dass sie nicht die «vaterlandslosen Gesellen» waren, als die sie nach dem Landesstreik 1918 vom Bürgertum verdächtigt wurden.

      Die vorliegende Untersuchung schildert anhand von wirtschaftlichen und politischen Kraftlinien, nahe an zeitgenössischen Quellen und eingebettet im internationalen Kontext, die vielgestaltigen Folgen des Kalten Kriegs in der Schweiz. Ich male dabei nicht ein Big Picture des Kalten Kriegs, sondern versuche, mit feinem Pinsel die Textur nachzuzeichnen, die die Schweiz im Zeichen des Antikommunismus zusammenhielt, beziehungsweise zu zeigen, wo das Gewebe Risse bekam. Es sollen anhand von Zeitungsartikeln, Verlautbarungen von Parteien und Organisationen der Zivilgesellschaft, offiziellen Dokumenten der Behörden, Korrespondenzen, aber auch von Spitzelberichten die Diskurslinien aufgezeigt werden, um ein Bild der mentalen Verfasstheit der Schweizer Gesellschaft im Kalten Krieg zu zeichnen. Ich werde dabei häufig O-Ton zitieren, weil die Tonalität, die Wortwahl und Diktion den Zeitgeist intensiv wiedergeben.

      Alles hängt mit allem zusammen. Ich werde darstellen, wie im Kalten Krieg Geistige Landesverteidigung, Antikommunismus, Überwachungsstaat, Armeekonzeptionen, Sicherheitsdenken und Zivilschutz eine wechselseitige, manchmal skurrile, zwanghafte, gefährliche, für viele schicksalshafte Beziehung eingingen. Dabei setzte die Schweiz aufgrund eines übersteigerten Sicherheitsdenkens wirtschaftliche und intellektuelle Ressourcen auf eine Art ein, die andernorts vielleicht produktiver hätten verwendet werden können. Die Grundthese lautet, dass nur im Klima der Geistigen Landesverteidigung die Atmosphäre eines rabiaten Antikommunismus, geprägt von Misstrauen und Abwehr, entstehen konnte. Wie wir sehen werden, wirkt die Geistige Landesverteidigung auch nach 80 Jahren noch nach.

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      Der Sieg über Nazi-Deutschland gelang dank einer Allianz zwischen den westlichen liberalen Demokratien, vor allem den USA und Grossbritannien, und der kommunistischen Sowjetunion. Das Zentrum des Kommunismus hatte dabei die grösste Last im Kampf gegen Hitler-Deutschland getragen, hatte mit gegen 30 Millionen Opfern die schwersten Verluste zu beklagen. Die Sowjetunion konnte als Sieger- und Opfernation nicht nur einen Macht- und Territorialzuwachs verbuchen, sondern einen starken Imagegewinn bis in bürgerliche Kreise hinein. Doch das Zweckbündnis der Siegermächte zerbrach bereits vor Kriegsende, weil nicht nur die Ideologien inkompatibel waren, sondern auch die Vorstellungen über die Neuordnung Europas. Schon vor Kriegsende versuchten die ideologisch konträren Siegermächte ihre Einflusssphären abzustecken. Der Sowjetunion ging es in erster Linie um Sicherheit und die Schaffung eines territorialen Cordon sanitaire im Westen. Die USA, wo es schon immer eine stark antikommunistische Strömung gab, wollten den Einfluss Stalins in Osteuropa eindämmen.

      Mit dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki Anfang August 1945 beendeten die USA nicht nur den Krieg in Fernost, sondern demonstrierten auch ihre waffentechnische Überlegenheit. Stalin betrachtete deshalb diesen Ersteinsatz von Atomwaffen als Bedrohung. «Atombomben-Erpressung ist amerikanische Politik», sagte er kurz nach dem Abwurf.1 Die USA signalisierten, dass sie von dieser Waffe auch Gebrauch machen würden. Für die Sowjetunion war der Abwurf der Atombomben der Beginn des Kalten Kriegs.

      Die Zündung einer sowjetischen Atombombe 1949 machte die Erpressung gegenseitig. Diese Drohung mit der Atombombe bildete das entscheidende Strukturmerkmal des Kalten Kriegs beziehungsweise des lauwarmen Friedens. Fast prophetisch hatte diese politische Grosswetterlage wenige Monate nach Kriegsende der englische Schriftsteller George Orwell, der einst mit dem Kommunismus sympathisiert hatte, vorausgesehen. In einem Aufsatz vom Oktober 1945 in The Tribune schrieb er, dass der Besitz der Atombombe nicht zu einem Krieg führen würde, weil die besitzenden Mächte dabei selbst untergehen würden. Sie lebten deshalb in einem «permanent state of ‹cold war›». Die grossen Kriege würden aufhören auf Kosten des verlängerten Friedens, der kein Friede sei.2 Schon wenige Tage nach dem Ende des Kriegs in Europa hatte Winston Churchill den Begriff des «Eisernen Vorhangs» gegenüber dem amerikanischen Präsidenten Truman verwendet; dokumentiert ist der Begriff aus seiner Rede am 5. März 1946 in Fulton. Nazi-Propagandaminister