Thomas Buomberger

Die Schweiz im Kalten Krieg 1945-1990


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aus Christlich-Konservativen, Freisinnigen sowie Bauern und Gewerbetreibenden, der mit gesetzlichen Massnahmen, die allerdings vom Volk abgelehnt wurden, den Staatsschutz und die Repression gegen Oppositionelle verstärken wollte. Was rechte Organisationen und Parteien einte, war die Furcht vor dem Kommunismus. Während der 1920er-Jahre dominierte in den Parlamenten die klassenkämpferische Frontstellung: ein ideologisch heterogener Bauern-Bürger-Block gegen eine Linke, die ebenso heterogen war und anarcho-syndikalistische, kommunistische und reformerische Kräfte umfasste.13 Allerdings wurden die bürgerlichen Repressionsbemühungen auch in die Schranken gewiesen, indem das Volk 1922 ein Gesetz, die «Lex Häberlin», das den Staatsschutz massiv ausgebaut hätte, ablehnte. Eine weitere Vorlage wurde 1934 verworfen. Die Linke übte sich in den 1920er-Jahren in Gewaltverzicht, während die Rechte sich in Habitus und Auftreten martialisch gab.

      Mit dem Aufkommen des Faschismus in Italien und dem Nationalsozialismus in Deutschland entstanden auch in der Schweiz Kräfte, die mit diesen autoritär-diktatorischen Bewegungen sympathisierten, etwa Bundesrat Giuseppe Motta (ein Bewunderer Mussolinis) oder der spätere Bundesrat Ludwig von Moos, der mit den rechtsextremen Frontisten liebäugelte. Er unterstützte 1935 zusammen mit den Jungkonservativen eine Initiative zur Umgestaltung der Schweiz in einen ständisch-korporativen Staat. Jahre später heiligten die Mittel den Zweck: Die Gräueltaten der Nazis traten in seinem Verständnis hinter die Bekämpfung des Bolschewismus zurück. Er schrieb 1942 im Obwaldner Volksfreund: «Herr Dr. Goebbels kann versichert sein, dass wir innigst beten, der Herrgott möge den Bolschewismus nicht über ganz Europa hereinbrechen lassen.»14

      Angesichts der vorerst ideologischen Bedrohung durch den deutschen Nationalsozialismus sammelten sich in der Schweiz die politischen Kräfte links und rechts der Mitte. Den Weg frei machten zum einen die in kommunalen und kantonalen Exekutiven gezeigte Regierungsfähigkeit der Sozialdemokraten, zum andern das Bekenntnis zur bewaffneten Landesverteidigung 1935 und das Friedensabkommen in der Metall- und Maschinenindustrie 1937. Bereits in den 1920er-Jahren hatte sich allerdings in den Betrieben eine Annäherung zwischen Arbeiterschaft und Unternehmern abgezeichnet, nahm doch die Streiktätigkeit in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts drastisch ab. 1927 strichen die Gewerkschaften das Ziel der «Diktatur des Proletariats» aus den Statuten. Vorübergehend verschärfte sich indes die Polarisierung zwischen links und rechts aufgrund der sich 1929 über den ganzen Globus verbreiteten Wirtschaftsdepression weiter. Die Rechte suchte das Heil in Lohnsenkungen, einer Austeritätspolitik und im Budgetausgleich, der «Politik des guten Hausvaters», um vor allem im Export konkurrenzfähiger zu werden. Für die Linke war die Krise ein Symptom, dass das kapitalistische System versagt hatte. Sie forderte eine nachfrageorientierte Politik nach John Maynard Keynes zur Stärkung der Konsumkraft der arbeitenden Bevölkerung und massive staatliche Investitionen.

      Mit der Machtübertragung an Adolf Hitler erlebten die verschiedenen rechtsextremen Organisationen der Frontisten ihren «Frontenfrühling». Getragen wurde diese Bewegung zu einem grossen Teil von studentisch-akademischen Kreisen, Sympathien hatte sie bis ins Bürgertum. So gingen etwa die Freisinnigen der Stadt Zürich mit den Frontisten eine Listenverbindung ein. Dass die frontistischen Ideen nicht verfingen, zeigte die massive Ablehnung einer Volksinitiative, die einen Übergang zu einem autoritären, korporatistisch organisierten Ständestaat vorgesehen hätte.

      Angesichts des ideologischen Verführungspotenzials der Nazi-Ideologie und der Krise der liberalen Demokratie sammelten sich die Kräfte der Mitte etwa in der Richtlinienbewegung, die einen Konnex zwischen wirtschaftlichem Wiederaufbau und der Sicherung der Demokratie machten und deshalb auf breite Resonanz stiessen. Praktisch parallel dazu verbreitete sich der Begriff der «Geistigen Landesverteidigung», der Ende 1929 auftauchte und sich später im Diskurs der Rechten verbreitete. Den Begriff für eine breite demokratische Allianz mehrheitsfähig machte Bundesrat Philipp Etter mit seiner Kulturbotschaft 1938. Die später als «Magna Charta» der Geistigen Landesverteidigung bezeichnete Botschaft wurde zum Kristallisationspunkt einer helvetischen Sammlungsbewegung und zu einem ideologischen Konstrukt, das seine Wirkung während mehr als 30 Jahren entfaltete.

      Die am 9. Dezember 1938 veröffentlichte «Botschaft über die Organisation und die Aufgaben der schweizerischen Kulturwahrung und Kulturwerbung»15 war die erste kulturelle Grundsatzerklärung des Bundesrates seit der Gründung des modernen Bundesstaates 1848. Ausgangspunkt der Überlegungen von Bundesrat und Kulturminister Philipp Etter waren die «tiefgreifenden Umwälzungen», die sich im geistigen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben Europas seit dem Ersten Weltkrieg abgespielt hätten und die ihren «Wellenschlag» auch in die Schweiz werfen würden.16 Die über 50-seitige Botschaft, von Philipp Etter grossenteils selbst und mit dem ihm eigenen Pathos verfasst, evozierte Bilder einer alpinen, wehrhaften Bauernnation, die am stärksten alleine ist. Auch 80 Jahre später wird dieses Konstrukt einer Tradition noch politisch instrumentalisiert, nämlich in der Politik der Schweizerischen Volkspartei (SVP) mit deren Eintreten für eine autonome bewaffnete Landesverteidigung oder dem Antagonismus gegenüber der Europäischen Union.

      In Etters Botschaft «Sinn und Sendung der Schweiz» wird der Gotthard zu einem Bollwerk gegen die Ideologie des Nationalsozialismus, gleichzeitig ist um den Gotthard herum «eine geistige Gemeinschaft der Völker und Kulturen» entstanden, womit er auch eine Nähe zu Faschismus und Nationalsozialismus impliziert. In der ländlich-alpinen Gemeinschaft der alten Eidgenossen hatte die mythologisch verklärte Schweiz ihren Ursprung, der Mythos Gotthard wurde zur Geburtshelferin einer grossen Idee: «Der schweizerische Staatsgedanke ist nicht aus der Rasse, nicht aus dem Fleisch, er ist aus dem Geist geboren. Es ist doch etwas Grossartiges, etwas Monumentales, dass um den Gotthard, den Berg der Scheidung und den Pass der Verbindung, eine gewaltig grosse Idee ihre Menschwerdung, ihre Staatwerdung feiern durfte, eine europäische Idee, eine universelle Idee: die Idee einer geistigen Gemeinschaft der Völker und der abendländischen Kulturen.»17 Die Parallele zur Menschwerdung Jesu ist unverkennbar. Der Gotthard hat eine Doppelfunktion: mythisches Zentrum beziehungsweise Symbol des Schweizergeistes und Bollwerk gegen feindliche Armeen.

      Etter plädierte dafür, dass sich die Kultur als Ausdruck «schweizerischen Geisteslebens und schweizerischer Eigenart» frei entfalten könne. In der «schöpferischen Tat» solle sich zeigen, was «schweizerisches Wesen ausmacht und bestimmt».18 Die Kulturbotschaft mit Betonung auf «schweizerisch» war als Abgrenzung gegenüber ausländischen Einflüssen zu verstehen. Etter blieb in seinen Umschreibungen und Vorstellungen einer Schweizer Kultur und Eigenart bewusst vage und blumig, sodass sich jede und jeder seine oder ihre je eigene Sicht bilden konnte. Dieses Fundament der Geistigen Landesverteidigung, ein Begriff, der nur selten in der Botschaft auftaucht, wurde zwar als Absage an eine totalitäre Kultur verstanden, war aber auch kein Bekenntnis zu einer offenen, liberalen Kultur, obwohl Etter die Zugehörigkeit zu den drei europäischen Kulturräumen und die kulturelle Vielfalt betonte. Etter sah das so: «Diese Aufgabe besteht darin in unserem eigenen Volke die geistigen Grundlagen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, die geistige Eigenart unseres Landes und unseres Staates neu ins Bewusstsein zu rufen, den Glauben an die erhaltende und schöpferische Kraft unseres schweizerischen Geistes zu festigen und neu zu entflammen und dadurch die geistige Widerstandskraft unseres Volkes zu stählen.»19 Das patriotische Pathos Etters, das stellenweise an Duce Mussolini erinnerte, wurde im Volksmund allerdings ins Prosaische gedreht: Die Geistige Landesverteidigung wurde als «Ge-la-ver», also Geschwätz, abgekürzt, was bedeuten sollte, dass die hochgeschraubte Rhetorik wenig Substanzielles hervorgebracht hatte.

      Etters Kulturbotschaft war massgeblich von Gonzague de Reynold inspiriert, der Ende der 1920er-Jahre die liberal-demokratische Staatsform kritisierte und in einer späteren Schrift die Vorzüge eines autoritären und föderalistischen Staates mit einem Landammann an der Spitze, der er selbst sein wollte, pries. Wie Gonzague de Reynold zeigte Etter Sympathien zu autoritären oder faschistischen Staatsmännern wie António de Oliveira Salazar in Portugal, Francisco Franco in Spanien oder Benito Mussolini in Italien. Von einem liberalen Staat hielt Etter, der 25 Jahre Bundesrat und deshalb spöttisch als «Etternel», der Ewige, bezeichnet wurde, wenig. So schrieb er in Die Vaterländische Erneuerung und wir, dass die Regierung nicht nur verwalten und