Einleitung
III.1. Pastorale Theorie und Praxis
III.1.A. Aspekte der Tradition und ihre Implikationen für heute
III.1.A.a. Buße und Geistliche Begleitung
III.1.A.b. Katechese und Geistliche Begleitung
III.1.A.c. Biographische Entwicklung und Geistliche Begleitung
III.1.B. Aspekte des Verhältnisses von Seelsorge und Psychotherapie
III.1.C. Konsequenzen für eine Praktische Theologie
III.1.D. Konsequenzen für Geistliche Begleitung heute
III.2. Konsequenzen für die Ausbildung von Seelsorgerinnen und Seelsorgern
0. Einleitung
„Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele“1
Geistliche Begleitung in der Zeit der Wüstenväter und der personzentrierte Ansatz nach Carl R. Rogers - eine Seelenverwandtschaft?!
Geistliche Begleitung nennt man in der christlichen Tradition die helfende Beziehung zwischen einem ratsuchenden Gläubigen und einem Seelsorger, einer Seelsorgerin. Begleitung und Hilfestellung ergeben sich in den Gesprächen, die Ratsuchender und Seelsorger/in in regelmäßigen Abständen miteinander führen. Diese Form der Individualseelsorge zieht sich durch die gesamte Geschichte des Christentums. Die zunehmende Individualisierung der Seelsorge heute führt zu einer gesteigerten Nachfrage nach Geistlicher Begleitung.2 Die gegenwärtige Praxis, die zur Zeit auffindbare theologische Literatur zu diesem Thema und die meisten Ausbildungsgänge zum geistlichen Begleiter sind geprägt vom ignatianischen Hintergrund, von seinen Exerzitien als einer Intensivform Geistlicher Begleitung.
Dies hat historische und systemische Gründe. Nach dem Trienter Konzil übernahmen Jesuiten die Geistliche Begleitung für den heranwachsenden Klerus in den Kollegien und Priesterseminaren.3 Dies führte zu einer Focusierung auf die ignatianische Form der geistlichen Begleitung. Daneben zeigt sich bis heute, daß der systematisch durchgearbeitete und erprobte Ansatz der ignatianischen Exerzitien eine gute Grundlage für Geistliche Begleitung bietet.
Die christliche Tradition Geistlicher Begleitung ist jedoch wesentlich breiter, sie birgt unterschiedliche und unterscheidbare Konzeptionen, angefangen bei den „Sprüchen“ der Wüstenväter und -mütter (Apophthegmata Patrum) im 4./5. Jahrhundert bis hin zu den Anleitungen zu einem frommen Leben (Philothea) bei Franz von Sales im 17. Jahrhundert.
Von daher kann man nicht von der geistlichen Begleitung schlechthin, sondern nur von Geistlicher Begleitung in einer bestimmten Schule oder in einer Mischung unterschiedlicher Ansätze sprechen.
Seit der beginnenden Auseinandersetzung der Theologie mit der Psychologie, gibt es in der Beschäftigung mit Geistlicher Begleitung die Tendenz, Anleihen bei der Psychologie zu machen. Im Zuge dieses Prozesses geriet die Geistliche Begleitung oft in Konkurrenz zu sich entwickelnden Therapieformen. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, das Eigene der geistlichen Begleitung zu profilieren und sich immer wieder von der Psychologie abzugrenzen, wobei diese eher als Hilfswissenschaft betrachtet wurde.
Als Beispiel mag J. Sudbrack dienen, der etwa die psychologischen Erkenntnisse, Ignatius zitierend, zu den „übrigen Dingen auf dem Angesicht der Erde“ zählt, die dem letzten Ziel untergeordnet sind, nämlich: „Der Mensch ist geschaffen, um Gott, unseren Herrn, zu loben, ihm Ehrfurcht zu erweisen und zu dienen...“4. Das „Psychologische“ bildet in seiner Gliederung die Stufe drei nach dem „Somatischen“ und „Pädagogischen“ auf dem fünfstufigen Weg über das „Mystagogische“ (Stufe vier) zum „Geistlichen“. Diese klassische Unterordnung der Psychologie unter die Theologie und damit ihre Einordnung unter die Hilfswissenschaften der Theologie bzw. des Geistlichen, behandelt die psychologischen Erkenntnisse sehr von oben herab und bedient sich ihrer oft blauäugig und unreflektiert im Bewußtsein der Überlegenheit des eigenen Standpunkts. Psychologie wird in dieser Sicht immer als defizitär betrachtet, als Zugang zum Menschen und zur Welt, dem das „Eigentliche“ mangelt.
Allmählich gestaltet sich die Beziehung versöhnter; ein Interesse an gegenseitiger Befruchtung scheint zu wachsen. Dabei ist auffällig, daß die theologischen Disziplinen mehr und selbstverständlicher Erkenntnisse der Psychologie gebrauchen als umgekehrt. Allerdings fällt auch auf, daß in der theologischen Literatur zur geistlichen Begleitung von „Therapie“ oft allgemein und nicht differenziert gesprochen wird, daß weder Schulen noch Grundansätze der Psychologie sauber unterschieden werden bzw. daß klar Bezug darauf genommen wird.
K. Schaupp z. B. behandelt das Thema der Abgrenzung zu Therapie explizit auf einer halben Seite seiner Einführung in die Geistliche Begleitung5. Er unterscheidet Therapie und Geistliche Begleitung im Hinblick auf das Ziel, das bei der Therapie eine „Freiheit von ...“ sei, während es bei Geistlicher Begleitung um eine „Freiheit für...“ gehe. Es gehe also bei der Therapie mehr um die Bearbeitung innerpsychischer Konflikte, um Einbeziehung unbewußten Materials, damit Therapie hilfreich für die Identitätsfindung sein könne.
Dies trifft jedoch so nur für problemorientierte Therapieformen zu. Die person-zentrierte Therapie nach C.R. Rogers z.B. würde diesen Therapieansatz ablehnen. Ihr geht es nicht primär um die Lösung eines Konflikts oder um die Bearbeitung unbewußten Materials, sondern um die Hilfe zur „Veränderung durch Verstehen“6. Die Perspektive ist also auch hier nicht eine Freiheit von bestimmten Symptomen, sondern eine Freiheit für Veränderung und Entwicklung. Schaupps Beobachtung trifft also, wenn überhaupt, nur auf einen Teil der Therapieformen zu.
Solche Positionen, so unzureichend sie auch sind, machen jedoch eines deutlich, daß man heute im gesamten Bereich der geistlichen Begleitung nicht mehr ohne die Erkenntnisse aus der Psychologie auskommen kann und auskommen darf.
Unser Interesse ist es, Erkenntnisse aus der Tradition Geistlicher Begleitung und aus der humanistischen Psychologie nebeneinander zu stellen.
Im Bereich der geistlichen Begleitung beziehen wir uns auf die Konzepte und Formen der Wüstenväter und -mütter. Im Bereich der humanistischen Psychologie beziehen wir uns auf C.R. Rogers und sein Konzept.
Bei den Wüstenvätern und -müttern findet sich die Ursprungsform Geistlicher Begleitung in der christlichen Tradition, die alle späteren Konzepte beeinflußt hat. In dieser frühen Zeit liegt noch kein durchstrukturiertes Konzept Geistlicher Begleitung vor, wie etwa die „Exerzitien“ des Ignatius oder die „Philothea“ des Franz von Sales. In der Quelle, den „Apophthegmata Patrum“ (= Sprüchen der Väter), sind kurze Geschichten, bzw. wie der Titel sagt, Aussprüche von Vätern und einigen Müttern gesammelt. Es schien uns lohnend, auf diese Ursprungsform zurückzugreifen, da sie durch ihre offene Struktur einem Vergleich mit psychologischen Formen