noch gestatten sie ihnen, durch die Betrachtung heiliger Dinge auf die göttliche Lehre den Blick eines ganz reinen Auges zu richten.“17
K.S. Frank unterstreicht, daß diese Verweigerung nicht als Protest gegen eine verweltlichte Kirche zu werten sei, wie das einige Deutungen unterstellen, sondern daß sie von individueller Heilssorge motiviert war, wobei die Askese als der sichere Heilsweg, der Weg zum Paradies, angesehen wurde. Die Askese „soll zur ungestörten Kontemplation und mystischer Gottesschau führen; dazu gehören aber die Absage an die Welt, auch an die ‘Welt’ der Gemeinde, Verzicht auf eine bürgerliche oder gemeindliche Tätigkeit und das übrige Repertoire asketischer Praxis.“18
Speziell für den Bereich des spätrömischen Ägypten, aus dem sehr viele Anachoreten stammten, kommt ein den Auszug verstärkendes Motiv hinzu. P. Brown kommt aufgrund der Literatur des frühen ägyptischen Mönchtums zu der Einsicht, „daß wir es hier mit Menschen zu tun haben, die durch eine Krise der menschlichen Beziehungen in die Wüste getrieben wurden.“19 Andere Zeugnisse aus dem spätrömischen Ägypten belegen, daß die Dörfer eine Krise der Solidarität durchgemacht haben. Die Askesebewegung rekrutierte sich weitgehend aus der Schicht der einflußreichen wohlhabenden Bauern des Niltales, deren Zusammenleben durch die Abhängigkeit vom kostbaren Wasser bestimmt war und diszipliniert wurde. „Welchen sozialen Status er auch haben mochte, kein Ägypter des 4. Jahrhunderts konnte daran zweifeln, daß sein Land eines war, dessen Bevölkerung unter dem Unstern unaufhörlicher Angst vor dem Verhungern lebte.“20 Die Last der Besteuerung verstärkte die Spannungen und Reibungen des Gemeinschaftslebens in den Dörfern, es handelte sich um „unglaublich rücksichtslose Kleinbauern, für die Gewalttätigkeit mit der Faust und der Zunge gleichermaßen natürlich war.“21 Die Reflexreaktion ägyptischer Bauern in schwieriger Lage war Distanzierung (anachoresis). Man zog entweder in ein anderes Dorf oder suchte sich irgendwie von den Mitmenschen zu entfernen.
So hatte das fromme Anachoretentum große Anziehungskraft für die bäuerliche Gesellschaft der spätantiken Mittelmeerwelt. Die Kräfte und das Prestige des Anachoreten rührten davon her, „daß er vor den Augen einer Gesellschaft, die in lastende Verpflichtungen und rücksichtslose soziale Beziehungen verstrikt war, in heroischer Weise die Rolle des absolut autarken, allein auf sich gestellten Menschen spielte.“22 „Der Eremit wurde als ein Mensch angesehen, der sich auf die Suche nach seinem wahren Ich begeben hatte. Mit dem Faktum der anachoresis hatte er die Spannungen und Ungereimtheiten in seinen Beziehungen zu den Mitmenschen gelöst. In der Wüste, so erwartete man, würde er sich niederlassen, um im Kampf mit dem Dämonischen die Ungereimtheiten seiner eigenen Seele aufzulösen. Die Kräfte, über die der Asket verfügte, stammten aus einem langen Prozeß der Selbstfindung.“23 Dieser Auszug, diese Trennung gab der Asketen-Bewegung auch ihren Namen, nämlich Anachorese, d.h. „das Weggehen aus dem Lande“, „das Sich-Entfernen“, „das Abstandnehmen“, den „Auszug aus dieser Welt“.24 Später bezeichnet dieser Begriff den Unterschied zu den Koinobiten, den in Gemeinschaft lebenden Mönchen, auch wenn diese Unterscheidung nicht ganz unproblematisch ist.25
In eine ähnliche Richtung zielt die mit dem Asketentum verbundene Forderung nach Jungfräulichkeit, bzw. die zweite Mahnung von Johannes Cassian, sich nicht nur des Bischofs, d.h. der Gemeinde, sondern auch der Frau zu enthalten. Dabei ist zu beachten, daß Sexualität im Leben der Männer dieser Zeit eine andere Konnotation hatte als heute. „Die Frau stand für alles Stabile und Umgreifende im Leben der Männer. Wenn ein Mann von seiner Frau träumt, schreibt Artemidoros, denkt er gewöhnlich an seine Arbeit: ‘Die Frau steht entweder für den Beruf des Träumenden oder für seine geschäftlichen Verpflichtungen.’ “26
Jungfräulichkeit war in der Antike ein Status, den es durch einen sozialen Akt zu überwinden galt. Selbstverständlich billigte Platon der polis die vollkommene Kontrolle über die Leiber ihrer Jugend zu. Die Fruchtbarkeit der jungen Frauen müsse für die Geburt von Kindern eingesetzt und der Mut ihrer jungen Männer für die Fortpflanzung und die organisierte Gewalt des Krieges verfügbar gemacht werden. Dem gegenüber war die Bewahrung der Jungfräulichkeit ein asozialer Akt. Der Leib wurde der Verfügungsgewalt des Staates entzogen. Der Entschluß, ihren Leib heilig zu halten, dokumentierte ein Recht, nach eigenem Gutdünken über seinen Körper zu verfügen, ihn in dem jungfräulichen Stand zu bewahren und dadurch herauszulösen aus dem Kreislauf der Gesellschaft. Das galt gleichermaßen für Mann und Frau. „Der eigene Körper war in der Tat zu einem greifbaren locus (Ort) geworden, an dem bei Entscheidungen, die das konventionelle Gefüge der Gesellschaft zuinnerst berührten, die Willensfreiheit geübt werden konnte.“27
Auf diesem Hintergrund muß die Jungfräulichkeit des Mönchtums auch in einer Linie mit der Befreiung aus sozialen Zwängen gesehen werden.
„Den Körper als ganzen der Gesellschaft entzogen zu haben hieß, ganz konkret und persönlich eine Erklärung über die Natur der alten Form menschlicher Solidarität abzugeben - über die grundlegenden Bindungen der Gesellschaft, die (auf ihren kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht) heißen: sexuelle Bedürfnisse, sexuelle Vereinigung und damit die naturgegebenen Formen der Gesellschaft, die sich aus der sexuellen Vereinigung ergeben: Familie, Nachkommenschaft, Verwandtschaft. Statt dessen wurde nun das Recht des einzelnen geltend gemacht, für sich neue Formen der Solidarität zu suchen, die dem Rang freier Menschen gemäßer sind, die erlauben, in eine frei gewählte Harmonie der Willen einzutreten, die, wie die Christen der Spätantike glaubten, die Freude des ungeteilten Lebens der ‘Engel des Himmels’ ausmacht.“28
Das Ideal der Jungfräulichkeit hatte eine besondere Anziehungskraft für Frauen, denn was die christliche Gemeinde der Frau an gesellschaftlicher Anerkennung zu bieten hatte, war recht bescheiden. „Der verheirateten Frau bot die kirchliche Unterweisung das gut bürgerliche, etwas antiquierte Hausfrauenideal als Lebensziel an. Vom Gemeindeamt blieb die Frau grundsätzlich ausgeschlossen.“29 Unter diesen Umständen gab es für die Frau nur einen Weg zu einem bescheidenen Maß an Emanzipation und weitgehender gemeindlicher Anerkennung: Die Ehelosigkeit, das Leben in gottgeweihter Jungfräulichkeit.
Die jungfräulich lebenden Frauen blieben stärker an die Gemeinde gebunden, wohl auch wegen der Gefahren eines Einsiedlerlebens in der Wüste. Sie hielten sich aber durchaus von der übrigen Gemeinde getrennt auf und fuhren fort, Werke der Barmherzigkeit zu tun und sich der Gefangenen, Kranken , Waisen und Witwen anzunehmen.30 Gleichwohl gibt es Frauen, die als Eremiten lebten und anerkannte „Wüstenmütter“ wurden. Die Apophthegmata Patrum berichten von drei Müttern (Amma)31, wobei auffällt, daß sie dies ohne jegliche Einschränkung oder Unterscheidung tun, die Wüstenmütter sind den Wüstenvätern völlig gleichgestellt. Viele der Asketen waren einfache Leute, aber binnen kurzem erhielt die Bewegung eine zusammenhängende theologische Grundlegung. Schon in den Schriften des Klemens von Alexandrien (+ um 215), vor allem in den Stomateis („Teppiche“, eine Literaturgattung, die verschiedene Themen in bunter Reihenfolge behandelt) finden sich Grundzüge einer asketischen Theologie. Der Gläubige wird durch die christliche Wahrheit ein Wissender, ein „christlicher Gnostiker“32. Das Erkennen ist allerdings mehr als das Glauben und nicht alle Gläubigen können, obwohl sie alle das Heil erlangen, zu diesem Ziel des wahren Gnostikers gelangen, denn es ist der schwierige Weg der Vervollkommnung des Menschen. Die Mühen des Gnostikers betreffen nicht in erster Linie den Intellekt, sondern meinen die Erlangung der Herzensreinheit im Sinne sittlicher Vervollkommnung. Der Weg dazu ist der Weg der Liebe zum Nächsten und zu Gott. Gotteserkenntnis ist als dynamisches Fortschreiten und nicht als statischer Besitz zu verstehen. Deshalb bleibt dies lebenslange Aufgabe des Gnostikers.33
Auch nach Origenes (+ 254) steigt der wahre Gnostiker geistlich zu Gott auf, so wie die Apostel mit Christus auf den Berg der Verklärung, um ihn zu schauen. Das erste Erfordernis dafür ist die Selbsterkenntnis, der Christ muß wissen, was er tun und lassen soll, um auf dem Weg der Vereinigung mit Gott und Christus voranzuschreiten.34
Ständiger Kampf gegen die Leidenschaften und den Geist der Welt, der zur Sünde führt, kommen hinzu.
Dieser lebenslange Prozeß monastischer Askese wird als lebenslanges Martyrium verstanden, der Mönch wird nach und nach zum „Märtyrer“,