Regina Bäumer

Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele


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Ort wählen die Asketen die Wüste. Dafür lassen sich drei Gründe anführen:

      I.1.B.a. Die biblische Sicht der Wüste als Ort der Erwählung, des Bundes und der Prüfung.

      Der Bundesschluß erfolgte auf dem Weg des Volkes Gottes durch die Wüste (Ex 19ff.). Obwohl dieser Bund immer wieder durch die Untreue Israels gebrochen wurde, bleibt Gott seinem Volk gegenüber treu. Am Ende der Zeiten wird er sein Volk in die Wüste zurückführen (Hos 2,16), dem Ort der ersten Liebe (Jer 2,2-3; Hos 9,10). Die Wüste als Ort der Läuterung, Prüfung, Selbsterkenntnis und Vorbereitung ist ein weiteres Motiv (1 Kön 19,3-8; Mt 3,1-12; 4,1-11).

      I.1.B.b. Die Vorstellungen des zeitgenössischen Hellenismus von der Wüste als dem idealen Ort eines gesunden und zurückgezogenen Lebens.

      Nach Philon gab Gott sein Gesetz in der Wüste, weil die meisten Städte voll von unzähligen Übeln sind, von Freveln gegen die Gottheit wie von Verbrechen der Menschen gegeneinander.36 Außerdem sind die Städte wegen ihrer verschmutzten Luft zu meiden, die ein Leben in der Stadt ungesund macht. Deshalb haben sich die Therapeuten von Alexandrien an Orte begeben, die einen sehr gesunden klimatischen Zustand aufwiesen und wo die Luft sauber und leicht war.37 Bei Philon und anderen Autoren seiner Zeit ist eine romantische Sehnsucht nach Einsamkeit und Zurückgezogenheit festzustellen.

      Dieses Bild findet sich in wesentlichen Zügen auch bei den frühen christlichen Autoren wieder. Klemens von Alexandrien schreibt über Johannes den Täufer: „In der Wüste genoß der Täufer das ruhevolle Leben der Einsamkeit.“38 Ähnlich bei Origenes: „Johannes der Täufer floh den Lärm der Städte und ging in die Wüste, wo die Luft reiner ist und der Himmel weiter offen steht und Gott näher und vertrauter ist.“39 Hier wird angedeutet, daß das Zeithaben für Studium und Meditation die entscheidende Motivation zum Rückzug in die Wüste darstellte. Der Brief des Hieronymus an Heliodor ist geradezu eine Werbeschrift für die Wüste auf dem eben beschriebenen Hintergrund: „... O Wüste, die du dich zeigst in der Frühlingspracht der Blumen Christi! ... O verlassene Stätte, in der man sich des vertrauten Umgangs mit Gott erfreut! Was willst du, mein Bruder, in der Welt, der du erhaben über der Welt stehst? Wie lange soll der Häuser Schatten auf dich drücken? Wie lange soll dich der rauchgeschwängerte Kerker dieser Städte festhalten? Glaube mir, ich weiß nicht, was ich allein an Tageshelle hier mehr genieße. Hier kann man sich der Bürde des Körpers entledigen und sich zum reinen Glanz des Äthers emporschwingen. ...“40 Dazu bemerkt A. Guillaumont lakonisch: „In Wirklichkeit sollte Hieronymus nur ein paar Monate in dieser so ‘beglückenden’ Einsamkeit verweilen. Dann kehrte er wieder in die Stadt, nach Antiochien, zurück.“41

      I.1.B.c. Die religiös-mythische Deutung der Wüste als Bereich des Todes und der lebensbedrohenden Gefahr, als Ort der Dämonen42.

      Diese Deutung wird bestimmend für die Wüstenväter.43

      „Ganz gleich, ob Ägypten das Ursprungsland oder nur das klassische Land des frühen Mönchtums ist, auf jeden Fall begegnen wir dort Mönchen von ganz anderer Wirklichkeitsdichte, die in einer realistischeren Wüste leben. Für sie ist die Wüste etwas völlig anderes, als was uns bislang die an der Bibel, wie sie von Philon verstanden wurde, und an der griechischen Philosophie geschulten Literaten vor Augen gestellt haben. Die meisten von ihnen waren gebürtige Ägypter, Bauern44 aus den Dörfern des Niltals oder aus dem Nildelta.“45 Diese Mönche kannten von Jugend an den Gegensatz von bebautem Land und Wüste, der im engen Niltal viel schroffer ist als anderswo. Wo das Wasser des Nils nicht mehr hingelangt, beginnt fast übergangslos und sofort die Wüste.

      P. Brown konstatiert: „Die Siedlungen der ägyptischen Asketen des 4. Jahrhunderts verbanden geographische Nähe zum bewohnten Land mit einer Haltung unendlicher gedanklicher Distanz. ... Trotz ihrer körperlichen Nähe zum bewohnten Land waren die Mönche Ägyptens in der Vorstellung der Zeitgenossen überlegen, weil sie sich gegen einen Sandozean behaupteten. ... Der Mythos der Wüste war eine der dauerhaftesten Schöpfungen der Spätantike. ... Er identifizierte den Prozeß der Loslösung von der Welt mit dem Übergang aus der einen ökologischen Zone in die andere, aus dem bewohnten Land Ägyptens in die Wüste. Es war eine Grenze von brutaler Klarheit,...“46

      Die von P. Brown angesprochene Überlegenheit der Mönche dokumentiert die Begriffsgeschichte der Bezeichnung Mönch (μοναΧóς). Nach den Untersuchungen A. Adams war es Eusebius von Cäsarea, der den Begriff zwar wohl schon als Titel für christliche Asketen vorfand, ihn dann aber erstmals in folgender Weise definierte: „... die oberste Ordnung derer, die in Christus voranstreben, ist die der μοναΧοí.“47 Diese Mönche, so Eusebius weiter, sind selten anzutreffen und gehören nicht zum gemeinen Volk, und „darum werden sie nach Aquila μονογɛνɛíς genannt, da sie gleich geworden sind dem eingeborenen Sohne Gottes.“48 Sie sind μονήρɛι (Vereinzelte) und praktizieren τòν μονήρη καì άγνήν κατοροΰντɛς βίον (einsames und heiliges, glückliches Leben).“49 A. Adam resümiert: „Diese Ausführungen Eusebs sind mit Wahrscheinlichkeit als die Quelle anzusehen, von wo aus der Begriff μοναΧóς in den griechischen kirchlichen Sprachgebrauch übergegangen ist. ... Rund 30 Jahre nach dem Psalmenkommentar des Euseb [ca. 357] ist der Begriff μοναξóς bereits zur festen Bezeichnung geworden.“50

      Die mönchische Askese, die in der Wüste als dem eigentlichen Bereich der Dämonen geübt wurde, stellte sich vor allem als Kampf gegen diese Dämonen dar. Jesus selbst wurde vom Geist in die Wüste geführt, „damit er vom Teufel versucht werde“ (Mt 4, 1). Der Sieg Christi über den Teufel steht am Anfang seines Erlösungswerkes. Wie Christus kämpfte nun auch der Mönch mit dem Bösen. Im „offenen Kampf und ohne Tarnung“51 trat er dem Dämon entgegen und erwies sich so als Kämpfer Christi. Hier ergibt sich eine Parallele zum oben skizzierten Märtyrerbegriff, der sich auf die Asketen übertragen hatte. Aus den Märtyrerakten geht hervor, daß diese ihr Martyrium nicht als Kampf mit Menschen und wilden Tieren, sondern als Kampf mit dem Teufel und seinen Helfern, den Dämonen, begriffen.52 „Die Dämonen stifteten die Christenverfolgung an. Sie ersannen die Martern. Sie lockten zum Abfall. Sie waren es auch, die angesichts der Niederlage von den blutigen Verfolgungen abließen, um nun die Christenheit durch eine erschlaffende Friedenszeit zu schädigen. ... Es ist für das alte Mönchtum selbstverständlich, daß sich nach dem Aufhören der Christenverfolgungen die dämonischen Angriffe besonders gegen die Mönche richten.“53

      Dies verbindet sich mit einem weiteren Motiv: Durch das Kommen Christi hatte der Teufel keinen Ort mehr, an dem er herrschen konnte; einzig die öde und menschenleere Wüste blieb ihm noch. Als nun die Asketen in die Wüste eindringen, fürchtet er, „daß Antonius mit der Askese auch noch die Wüste anfüllt“54 und daß mit ihm die Scharen der Mönche ihn, den Teufel, aus seinem ureigensten Herrschaftsbereich verdrängen.55 „ ‘Die Welt’ zu fliehen bedeutete, eine festgefügte Sozialstruktur zu verlassen und sich für eine ebenso feste und ... ebenso soziale Alternative zu entscheiden56. Die Wüste war eine ‘Gegenwelt’, ein Ort, an dem eine alternative ‘Stadt’57 wachsen konnte.“58 Stadt und fruchtbares Land sind gemäß prophetischer Tradition (vgl. Jes 35, 1ff.) die Bilder für den Anbruch der Messiasherrschaft. So wird die Wüste zu einem theologischen und heilsgeschichtlichen Ort, einem Ort, den der antike Heide mied wegen der Dämonen, den der Christ aber bewußt aufsuchte, um den Kampf auszutragen, der das Glaubensleben eines jeden Christen ausmacht und bestimmt, den Kampf um die Errichtung der Herrschaft Gottes. Daraus ergibt sich folgerichtig: „Die Rede von den Dämonen ist keine Aussage über irgendwelche okkulte Phänomene und auch keine über rein psychische und psychologische Wirklichkeiten im Innersten des Menschen. Vielmehr beinhaltet das Wort vom Kampf mit den Dämonen eine theologische Aussage - und zwar über das Heil des Menschen. Der Mönch nimmt bewußt den Kampf mit den Dämonen auf sich, weil er erfahren hat, daß sein Leben wie das eines