Regina Bäumer

Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele


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Seelenführung. Der Anachoret suchte sich seinen geistlichen Vater selbst und wechselte ihn unter Umständen, im Koinobion wurde entweder der Klostervorsteher zum Seelenführer der Gemeinschaft oder es mußte eine Regelung innerhalb der Gemeinschaft gefunden werden. Das Wort Abbas (Vater), bzw. auch Amma (Mutter), ursprünglich die Ehrenanrede für die „Geistträger“75, denen man sich als Schüler anvertraute76, wurde immer mehr zur Bezeichnung des institutionalisierten Amtes des Klostervorstehers. Das ursprünglich charismatische, geistgefüllte Wort Abbas wird nach und nach zur rein juridischen Bezeichnung.77

      Ist bei Pachomius noch von der Einheit zwischen charismatischer Begabung und juridischer Funktion auszugehen78, so bestimmt er selbst bereits in seiner Regel, daß die Gebote der „seniores“ zu achten seien und daß diese vom Mönch nicht unbeachtet bleiben sollen79, damit er seine Gedanken prüfen kann.80

      Diese Spannung findet sich auch noch in der Regel Benedikts. Im 49. Kapitel heißt es bezüglich des Fastens: „Was aber jeder als Opfer darbringt, muß er seinem Abt unterbreiten, damit es mit seinem Gebet und seiner Zustimmung geschieht; denn was ohne Erlaubnis des geistlichen Vaters geschieht, gilt als Anmaßung und eitle Ruhmsucht, nicht als Verdienst. Deshalb soll man alles mit Zustimmung des Abtes tun.“81 Abt und geistlicher Vater sind also gleichgesetzt. Daneben zeigt aber die Tatsache, daß es neben dem Abt noch andere „seniori spirituali“82 gibt, daß der Prozeß der Unterscheidung von geistlicher und juridischer Vaterschaft bereits im Gange ist.83

      I.1.D. Die Apophthegmata und Vitae Patrum

      I.1.D.a. Quellenlage und Verfasserfrage

      Der Text ist in Coteliers Ecclesiae Graecae monumenta I 338-712 (Abdruck bei Migne PG 65,71-440) erhalten.

      Ein Vorwort des Redaktors berichtet davon, daß ihm „verworrene und ungeordnete“ Aufzeichnungen vorlagen, die von ihm selbst alphabetisch nach den Namen der heiligen Männer geordnet worden seien. Die anonym überlieferten Worte habe er inhaltlich geordnet.84

      Der Text des zweiten Teils ist verlorengegangen, in Coteliers Text und damit auch bei Migne PG 65 findet sich nur das Alphabeticon.

      Mit dem Alphabeticon hängt aufs engste eine zweite Sammlung zusammen, die in der lateinischen Form in Rosweydes Sammlung Vitae Patrum unter V und VI (Migne PL 73,851-1024) vorliegt. Photius kannte noch das entsprechende griechische Werk, das auch noch in griechischen Handschriften erhalten ist.

      Nach eingehender Untersuchung, die hier nicht referiert werden muß, kommt Bousset zu dem Urteil, daß Buch V und VI bei Rosweyde ein Auszug aus dem Alphabeticon ist und daß dies auch die einzige primäre Quelle darstellte. Die 270 Nummern des anonymen Materials, die sich darüber hinaus in Rosweydes Vitae Patrum V und VI finden, dürften dem verlorengegangenen, inhaltlich geordneten und anonymen Teil der Apophthegmata entstammen.85

      Die Apophthegmata beziehen sich in ihrer ursprünglichen Form auf das sketische Mönchtum und einige verwandte Kreise in einem Zeitraum von der Mitte des vierten bis zur Mitte des fünften Jahrhunderts. Die Blütezeit des sketischen Mönchtums fällt etwa in das Zeitalter des Patriarchen Theophilos (385-412), der wiederholt auftaucht.86 Als letzter in der Chronologie der Väter erscheint Abbas Poimen, dem fast ein Fünftel der Sprüche des Alphabeticons zugeordnet werden.

      W. Bousset hält den Schülerkreis Poimens für den Abfassungsort des größten Teils der Apophthegmata und kommt damit zu einer Abfassungszeit zwischen 460 und 500. Die ausführlichen Begründungen brauchen hier nicht referiert zu werden.87

      F. Dodel weist aufgrund der Übereinstimmung des Logions Antonios 10 (Apo 10) mit der Vita Antonii, die 357 von Athanasios verfasst wurde, darauf hin, daß um die Mitte des 4. Jahrhunderts bereits einzelne Apophthegmata oder kleine Sammlungen im Umlauf waren.88

      L. Regnault äußert sich in seiner französischen Übersetzung der Apophthegmata etwas zurückhaltender, mit Poimen hätten die Schule der Spiritualität der Wüste und auch das Genre der Apophthegmata ihren Höhepunkt erreicht.89

      K.S. Frank hält dies zumindest für eine Möglichkeit, die durch die zentrale Bedeutung Poimens in der Sammlung gestützt werde.90

      Poimen repräsentiert, so J. Driskoll, zumindest teilweise die erste Generation von Mönchen (oder eine Übergangsgeneration), die die mönchische Tradition nach der origenistischen Krise weitergeführt hat. Damit zusammen hängt eine Tendenz in den Apophthegmata, die von Origenes beeinflußten Mönche in der Darstellung eher unfreundlich zu behandeln.91

      Trotz der vielen Stellen, die von Poimen berichten, ist eine Rekonstruktion seiner Vita äußerst schwierig, da sich das Zeitgeschehen in den Poimenlogien praktisch nicht niedergeschlagen hat und sich aus den Angaben über seine Gesprächspartner eine weit über 100 Jahre reichende Lebenszeit ergäbe, d.h. einige dürften legendarischer Natur sein und Poimen in einen Zusammenhang mit berühmten Altvätern setzen wollen.92

      Einzig sicheres historisches Datum ist die Zerstörung der sketischen Mönchssiedlungen durch die Maziken im Jahre 407/8. „Die Welt hat Rom verloren, die Mönche die Sketis“, klagt Abbas Arsenios.93 Daraufhin zog Poimen mit seinen Brüdern nach Terenuthis am westlichen Nildelta und scheint dort geblieben zu sein.94

      K. S. Frank vermutet: „Getrennt vom ursprünglichen Ort und zeitlich schon weit entfernt von den Anfängen des Wüstenmönchtums, mag in dem Kreis, der sich in Terenuthis um Abbas Poimen scharte, die Erinnerung an die sketische Heimat und die Frühzeit des sketischen Mönchtums besonders gepflegt worden sein. Der verehrte Vater wurde zum Garanten der Überlieferung, der die Sprüche und Anekdoten der Alten weiterzugeben wußte, seine eigene Unterweisung in knappe Worte faßte, und sich nicht dagegen wehren konnte, wenn ihm andere Worte in den Mund gelegt wurden.“95

      Dies erklärt einerseits die Breite der Präsenz Poimens in den Apophthegmata, gerade auch als Überlieferer von Sprüchen und als Sprecher in Logien anderer Väter96, sowie gleichzeitig das Faktum, daß in der Überlieferung außerhalb der Apophthegmata fast nichts von ihm zu hören ist.

      I.1.D.b. Die literarische Form

      Die Sammlung der verschiedenen Apophthegmata zeigt keine formale oder inhaltlich Ordnung, außer der alphabetischen der Ausgabe bei PG. Formal lassen sich einzelne Gattungen bestimmen.

      I.1.D.b.α. Anekdotisches Apophthegma

      Da wäre zunächst das „anekdotische Apophthegma“ zu nennen97, Einzelgeschichten, die Anekdotisches berichten, entweder verbunden mit einem Logion oder auch ein „wortloser Spruch“, der in knappen Worten den Mönchsvater charakterisieren will.98 „Mit greifbarer Lebendigkeit steht in diesen kleinen Momentphotographien das Leben und Treiben der sketischen Mönche vor uns.“99

      I.1.D.b.β. Das Logion

      Neben der Anekdote ist es vor allem das einzelne Logion, der einzelne Ausspruch eines Altvaters, der im Kreis der sketischen Brüder eine offensichtlich sehr wichtige Rolle spielte. Der Väterspruch ist meist ein erfragtes, ein erbetenes Wort. Der Schüler, der jüngere Mönch kommt mit einem Problem, einer Frage zum Altvater, er sucht Antworten, meist nicht intellektueller Art, sondern praktischer und darin oft existentieller Art. Er will etwas begreifen, etwas durchschauen, was ihn verwirrt, was ihm zur Frage geworden ist, was sich als Problem erwiesen hat. E. Ghini hat unter der Überschrift „Der Schüler, ein Fragender“ die Fragen in den Apophthegmata untersucht und systematisiert100, sie kommt zu dem Urteil: „Die Pluriformität der Fragen der Schüler zeigt das totale Vertrauen, das sie in den Vater setzten, dem sie wie einem Sprachrohr Gottes zuhören... .“101

      Eine Form der Einleitung einer Frage in den Apophthegmata