Regina Bäumer

Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele


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auf, sprangen Parallelen mit der Gesprächspsychotherapie nach C.R. Rogers ins Auge.

      Neben dieser assoziativen Anknüpfung spricht für den Vergleich mit C.R. Rogers seine weitgehende Rezeption im Rahmen seelsorglichen Handelns.7

      Nach dem Erscheinen seines Buches „On Becoming a Person“ 1961, das Rogers unerwartet große Anerkennung brachte und eine millionenfache Auflage erzielte, wurde er für die nächste Dekade zum bedeutendsten Psychologen Amerikas. Gewisse Ideen von Rogers wurden so weitgehend akzeptiert und rezipiert, daß es schwierig ist, zu ermessen, wie revolutionär sie in ihrer Entstehungszeit waren.8

      Der personzentrierte Ansatz, der von C.R. Rogers entwickelt wurde, ist im Rahmen der pastoralen Praxis sehr weit verbreitet und bildet die Grundlage für verschiedene Ausbildungsgänge (z.B. Beratungs-, Telefon- und Krankenhausseelsorge)9. Die Grundideen Rogers’ finden sich allerdings oft auch unter anderen Überschriften wieder, wobei der Zusammenhang mit seinem Konzept dann meist nicht dokumentiert oder belegt ist, doch bei näherer Auseinandersetzung deutlich wird.10

      So könnte man sagen, daß C.R. Rogers und sein personzentrierter Ansatz für den ganzen Bereich der Pastoralpsychologie, der praktischen Seelsorgsarbeit, der Individualseelsorge eine ähnliche Rolle spielt wie die Wüstenväter und -mütter für die Geistliche Begleitung.

      Es geht nun in dieser Arbeit nicht darum, in einem weiteren Versuch zu definieren, was Geistliche Begleitung ist, oder die Grenzen zwischen Geistlicher Begleitung und Psychotherapie zu ziehen, sondern unser Ansatz ist zunächst ein rein informativer. Wir möchten interessierten Leserinnen und Lesern aus dem Bereich der therapeutischen und der seelsorglichen Arbeit Einblick geben in die Geistliche Begleitung der Wüstenväter und -mütter und in die Grundlagen der Gesprächspsychotherapie nach Rogers. Wir wollen Verknüpfungen herstellen und Unterschiede aufzeigen und gehen davon aus, daß diese Zusammenschau für beide Seiten interessant sein kann. Die Relevanz von C.R. Rogers für Geistliche Begleitung ergibt sich aus der bereits erwähnten rein pragmatischen Tatsache seiner Rezeption im Bereich der praktischen Theologie. Die Relevanz der Wüstenväter für therapeutische Arbeit heute ergibt sich aus den historischen Zusammenhängen. Die Wüstenväter und -mütter verstanden sich ausdrücklich als Therapeuten, denen die Heilung des ganzen Menschen wichtig war. Sie sind damit die Ahnen heutiger Therapeutinnen und Therapeuten. Wie jede Beschäftigung mit Geschichte identitätsstiftend sein und Impulse für die Gegenwart liefern kann, so auch die Beschäftigung mit der „Therapie“ zur Zeit der frühen Kirche. Es wird uns immer wieder darum gehen, Impulse aufzuzeigen, die sich Geistliche Begleitung nach dem Modell des frühen Mönchtums und Psychotherapie nach C.R. Rogers gegenseitig geben können. Dieser Austausch, so unsere Erfahrung, ist für beide bereichernd. Diese Bereicherung ist unser Ziel!

      Darüber hinaus sehen wir wichtige Konsequenzen dieser Betrachtung für die Gestaltung der Ausbildung von Seelsorgerinnen und Seelsorgern, die eigens formuliert werden sollen.

      Bei allem Bemühen, dieses Anliegen in schriftlicher Form vorzustellen, sehen wir deutlich die Begrenztheit des Unterfangens. Wir schließen uns M. Josuttis an, der für seine „Pastoraltheologie zwischen Phänomenologie und Spiritualität“ formuliert hat: „Ein Buch ist hier, wie auch in anderen elementaren Lebensbereichen, ein Medium, das Distanzen schafft, die man beim besten Willen nicht überspringen kann. Allenfalls kann es Impulse vermitteln, Neugierde wecken, Suchbewegungen auslösen: Wo kann ich das lernen, von dem hier die Rede ist? Wie kann ich eine/r werden, der/die andere auf dem Weg in das Leben kraft eigener Erfahrung führt?“11

      I. Geistliche Begleitung bei den Wüstenvätern und

      Therapeutische Begleitung bei Carl R. Rogers -

      Darstellung

      Das Toleranzedikt des Galerius und Licinius 311 beendete die letzte große sog. Diokletianische Verfolgung und gewährte den Christen Versammlungsfreiheit. Der oströmische Kaiser Konstantin siegte in der Schlacht an der Milvischen Brücke 312 über Maxentius und wurde damit auch Herrscher des weströmischen Reiches. Diesen Sieg schrieb er dem Christengott zu, dem seine Mutter, die Kaiserin Helena, schon diente. Im Toleranzedikt von Mailand 313 wurde dem Christentum völlige Gleichberechtigung mit allen anderen Kulten gewährt, der Staatskult abgeschafft und kirchliches Eigentum zurückgegeben. 391 schließlich wurde das Christentum Staatsreligion und alle anderen Kulte verboten.

      Bis zum Ende des vierten Jahrhunderts hatte also das Christentum die Gesellschaft praktisch erobert. Mit dem allgemeinen Ansehen und der gesellschaftlichen Etablierung wuchsen nicht nur Macht sondern auch Reichtum - sowohl einzelner als auch von Gemeinden. So war das Bischofsamt einer Stadt von auch nur mittelmäßiger Bedeutung zu einer anerkannten Stellung geworden, die ein Mann selbst aus nicht nur religiösen Motiven anstreben konnte. Viele Christengemeinden waren zu bedeutendem Grundbesitz gekommen und unterstützten zahlreiche Arme. Gleichzeitig wurde seit dem dritten Jahrhundert mit ständig wachsender Dringlichkeit die Frage gestellt, ob die Kirche eine einflußreiche Position in der höchsten Gesellschaft einnehmen könne, ohne dabei einen Teil ihrer moralischen Kraft und ihrer Unabhängigkeit einzubüßen.

      Seit Bestehen des Christentums gab es nämlich immer auch eine asketische Bewegung in den Gemeinden: einzelne Christen, die auf die Ehe und bis auf ein Minimum auf allen Besitz verzichteten, lebten das Ideal der Entsagung und der Hingabe an Gebet und Werke der Barmherzigkeit. Neben einer gewissen Vorliebe der antiken Umwelt für asketische Ideale gab es dabei spezifisch christliche Motive wie etwa die sog. Naherwartung, d.h. die Erwartung, daß Christus sehr bald wiederkommt und damit das Ende der Welt unmittelbar bevorsteht. In der Askese konnte bereits das Leben des Paradieses vorweggenommen, ein „engelgleiches Leben“ geführt werden.12 Hinzu kommt die allmähliche Ablösung des Märtyrerideals durch die Vorstellung von einem unblutigen Martyrium als Zeugnis des Christentums, das man im asketischen Leben verwirklicht sah. „Selbst nach der Befreiungstat Konstantins ist das Martyrium das Maß der Frömmigkeit.“13

      Eine besondere Gruppe in der Gemeinde bildeten die Jungfrauen, deren Zahl vom Beginn des 3. Jahrhunderts an so bedeutend ist, daß ihnen ganze Traktate gewidmet werden. Schon früh wurde die Jungfräulichkeit wegen des Verzichts, den sie voraussetzte, als eine Vorbereitung auf das Martyrium gesehen und später dem Martyrium gleichgesetzt. Ihr zahlenmäßiges Anwachsen mußte organisiert, mit öffentlichen Verfehlungen gegen das Ideal mußte umgegangen werden.14 Jungfrauen und Asketen bildeten nach und nach eine gewisse Elite in den Gemeinden und befanden sich gegenüber den sich etablierenden hierarchischen Ämterstrukturen in einer Außenseiterposition. Die Ordnung und Hierarchisierung der Gemeinden setzte nicht erst mit der konstantinischen Wende ein, sondern war schon Mitte des 3. Jahrhunderts in hohem Grad verwirklicht. A. von Harnack stellt fest: „... das starke Band, das sie [die Kirche] verband, war nicht mehr die religiöse Hoffnung und Bruderliebe, sondern eine hierarchische Ordnung, welche die christliche Mündigkeit und Freiheit, damit aber auch den Brudersinn zu erdrücken drohte.“15

      An der Spitze der Gemeinde steht der Bischof; alle Ämter, Funktionen und Dienstleistungen sind genau geregelt. Der Asket ist in dieser Ordnung nicht untergebracht, er könnte sich nur unter teilweisem Verzicht auf seine asketische Lebenshaltung und durch Anpassung in diese Ordnung einfügen.16 So steht ein asketisches, an möglichst klarer und z.T. radikaler Verwirklichung der Nachfolge Christi orientiertes und durchaus auch in der Gemeinde geschätztes Ideal des Christentums einer gewissen pragmatischen Bewegung gegenüber, die das „Christliche“ strukturieren und in das alltägliche Leben einpassen muß, da die Mehrheit das asketische Ideal nicht leben kann. Konflikte sind damit programmiert. Verschiedene Asketen entziehen sich dieser Situation durch Verweigerung um der Askese willen und distanzieren sich von der Gemeindeordnung. Johannes Cassian formuliert, selbst etwas peinlich berührt, später:

      „Es ist eine von Alters her bis jetzt bestehende Ansicht der Väter, die ich nicht ohne meine eigene Beschämung aussprechen kann, da ich weder meine Schwester meiden noch den Händen meines Bischofs