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Was fehlt?


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Brachland, eine Leerstelle, die der Leere der wissenschaftlichen Landschaft in diesem Kontext eine weitere hinzufügt. „Als Hindernis für die [dafür notwendige] Denkbarkeit Gottes hatte sich sowohl der traditionelle Gottesgedanke als auch das neuzeitliche Selbstverständnis des Denkens als Sicherstellen herausgestellt. Gott wurde diesem Denken als Rückversicherung des eigenen Sicherstellens zunächst notwendig (Descartes), im Prozeß des sich als Sicherstellen immer mehr durchschauenden Denkens aber zum Ungedanken (Nietzsche). Der für die Rückversicherung des Denkens notwendige Gottesbegriff erwies sich in der Konsequenz des sicherstellenden Denkens als undenkbar (Fichte). Die Einstellung, die das sicherstellende Ich sowohl sich selbst als auch allem anderen gegenüber bezogen hat, mußte Gott gegenüber entweder zu einem Zusammenbruch des Denkens oder aber zu einem Zerbrechen des vorausgesetzten Gottesgedanken, wenn nicht sogar zu beidem, führen. […] Der Theologie fällt in dieser Situation die Aufgabe zu, sowohl dem vorausgesetzten Gottesgedanken als auch dem Denken gegenüber zu einer Kritik zu verhelfen, die Gott in neuer Weise denkbar werden läßt. […] In unserem Zusammenhang ist die Glaubensgewißheit aber vor allem deshalb von Bedeutung, weil sie das Ich in eine andere Einstellung als die der Sicherstellung bringt. […] Sicherstellung ist die methodische Konsequenz des Zweifels und die existentielle Folge des Mißtrauens. […] Wo aber Vertrauen von Vertrauen getragen wird, bedarf es der Sicherstellung nicht. […] Demgemäß kommt der Theologie in einer durch sicherstellendes Denken bestimmten geschichtlichen Konstellation die Aufgabe zu, dem denkenden Ich inmitten seiner Sicherstellungen zugleich eine Entsicherung zuzumuten, die das Denken verantworten kann und die Gott als den zu denken erlaubt, der er ist. [… Es] bedarf […] einer genaueren Besinnung auf die entsichernde Gewißheit des Glaubens.“42

      10. Entsicherung inmitten von Sicherstellungen

      Verharrt Theologie nicht in der Leerstelle, beharrt sie nicht auf dem gesicherten Raum, wird sie Teil des Tosens, des Zerreibens, des Chaos, des Sterbens und Gebärens, des Schöpfens, wird Teil und Motor des Werdens. Wie praktische Ästhetik nach Ziemer, so denkt auch Theologie „nicht nur über Verletzbarkeit nach, sondern produziert diese selber im Aufbrechen angestammter Verfahren mit und verabschiedet sich damit zwangsläufig aus dem erhöhten Status einer allwissenden Disziplin zugunsten einer Öffnung gegenüber Alltagserfahrungen und künstlerischen Interventionen. Auch das theoretische Selbstverständnis basiert also auf dem Sensorium der Verletzbarkeit. […] Verletzbarkeit […] anzuerkennen und als Moment gesellschaftlicher Organisation zu stärken, ist das Ziel dieser Reflexion. Die Verletzbarkeit des Körpers […] zeigt uns, wie gefährdet die eigene vermeintlich gesicherte Position ist und welchen Wert es haben kann, diese entgegen allumgreifender Sicherheitsdispositive stark zu machen. Die Bezugsgröße der Verletzbarkeit vergegenwärtigt uns eine ästhetische, künstlerische und nicht zuletzt auch zutiefst ethische Haltung, die das Andere und Fremde als solches sichtbar macht, es als Differentes stehen lässt und auf Augenhöhe positioniert.“43

      Diese Leerstelle ist der wunde Punkt, die entscheidende Frage für die Theologie, die Kirche, den Menschen. Eberhard Jüngel macht eindringlich deutlich, „daß ein total sichergestellter Mensch aufhörte, Mensch zu sein. […] Ein total sichergestellter Mensch wäre ein bloßes Stück Welt, ein roboterhafter Doppelgänger des Menschen, eine schauerliche Karikatur des Menschen. Denn – und das ist unser positives theologisches Argument, nun auch positiv ausgesprochen – der Mensch ist darin Mensch, daß er sich auf einen anderen als er selbst zu verlassen vermag. Dazu gehört aber, daß er sich selbst zu verlassen vermag. Menschsein heißt: sich verlassen zu können.“44

      Theologie in diesem existentiell notwendigen Sinne heißt, die Leerstelle, das Tote zu verlassen, aufzuhören, abgesicherte Leerstellen in die Leere der Undenkbarkeit Gottes hinein zu produzieren, sondern sich im Denken des Glaubens selbst zu entsichern, um sich mitnehmen zu lassen in das Leben und um mitnehmen zu können in die Begegnung des Wortes Gottes. „Nur dem aus sich herausgesetzten Ich ist Gott gegenwärtig.“45 Das gilt analog für die Theologie. Um diese ausgesetzte und aus sich herausgesetzte Wissenschaft zu werden, braucht sie riskante Denkgesprächsräume statt universitär gesicherter Lehrstühle, deren Gestalterinnen sich in Form und Inhalt der Räume der Fermentierung verpflichten. Die Praktische Theologie braucht durchlässige Wissenschaftsräume, die durch die Gegensätzlichkeit von Theorie und Praxis hindurchgehen, sich nicht auf der einen oder anderen Seite gegen die jeweils andere positionieren, sich nicht abgrenzen und isolieren, sondern es zu ihrem Profil machen, selbstverständlich überkonfessionell, interreligiös, interkulturell, interaktiv mit allen theologischen Disziplinen, anderen Wissenschaften, mit den Menschen Aporien nicht zu überspringen, sondern sie zu vollziehen, und darin dem Druck, schnelle und einfache Antworten und Ordnungen zu liefern, widerstehen. Theologie kann Nachdenklichkeit kultivieren als das Denken eigener Wege – öffentlich, in der Gesellschaft, in der universitären Betriebsamkeit, nachdenklich, gar schweigend sich der Schonungslosigkeit des Kreuzes aussetzen, dem Tod und von daher die Wahrheit des Evangeliums suchen, eine Wahrheit auf Bewährung, ratlos mit offenem Ausgang, vielleicht ohne Ergebnis, ohne Trost.

      11. Plädoyer für eine priesterlich-sakramentale Theologie

      Der gegenwärtigen Praktischen Theologie fehlt in weiten Teilen die Theologie als Wissenschaft des Wortes Gottes, eine priesterlich-sakramentale Theologie, nicht die Theologie der Priester, eine priesterlichkatholische Theologie, die sich schonungslos dem ganzen Leben aller Menschen aussetzt – in all seinen Dimensionen: sozial, spirituell, intellektuell, rituell, sinnlich-emotional und damit bewusst und entschieden durch die Gegensätzlichkeit von Gott und Mensch, Zufall und Kontingenz, Denken und Sein durchlebt.

      Diese Theologie entsteht im Ausgesetztsein und im Aussetzen, aus dem Rückzug, aus dem Warten, dem Aushalten, dem Vollzug, dem Schweigen, der Nicht-Produktivität, dem Leben, dem Durchleiden und Durchfreuen, Worten, Zeichen, Gestalten, Ausdrucksformen des Lebens im Angesicht des Todes durch das Kreuz hindurch, im Vergessen des Vorher und im immer wieder Anfangen. Als priesterlich ist diese Theologie zu bezeichnen, weil sie sich bewusst im Zwischen, im Gegensatz positioniert, sakramental, weil sie dieses Zwischen hält und füllt mit Sprachereignissen, mit Worten und Zeichen, die über sich hinaus in den Raum des Nichtnotwendigen weisen, das Mehr-als-Notwendige denk- und fühlbar werden lassen. Eine solche Praktische Theologie hat nichts gemein mit einer Theologie der Herrschaft, die sich einer auf der Herrschaft von Priestern fußenden Kirche und ihren engen Denkräumen verpflichtet sieht, sie ist der Gegenentwurf einer Theologie und einer Kirche, die sich entsichert in das volle Leben hinein verschwendet, ein Mehr-als-notwendig des Denkens und des Seins.

      Wem fehlt diese priesterlich-sakramentale Theologie? Mir würde sie fehlen, mir fehlt die Freiheit der Theologie, quer und leidenschaftlich zu denken in Begegnungen, im Ereignis des Wortes voll von Beziehung. Mir fehlen, würden die weiten Denk- und Seinsräume fehlen, die Experimentiermöglichkeiten Praktischer Theologie, über das Bestehende hinaus zu denken, zu lehren, forschend zu lernen, zu leben.

      Literatur

      Barth, K., Einführung in die Evangelische Theologie, Zürich 62006.

      Deleuze, G./Guattari, F., Kapitalismus und Schizophrenie. Tausend Plateaus, Berlin 31997.

      Henrich, D., Theorieformen moderner Kunsttheorie, in: Ders./Iser, W. (Hg.), Theorien der Kunst, Frankfurt a.M. 1993, 11-32.

      Hoyer, B., Seelsorge auf dem Land. Räume verletzbarer Theologie, Stuttgart 2011.

      Jüngel, E., Bemerkungen zur Katholizität evangelischer Theologie, (Greifswalder Universitätsreden 130), Greifswald 2007.

      - Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 72001.

      Mennekes, F., Joseph Beuys: Christus DENKEN, Stuttgart 1996.

      Rahner, K., Grundkurs des Glaubens, Einführung in den Begriff des Christentums, Freiburg 1976.

      Rendtorff, T., Theologie der Moderne. Über Religion im Prozeß der Aufklärung, Gütersloh 1991.

      Smend, R., Bibel und Wissenschaft: Historische Aufsätze, Tübingen 2004.

      Ziemer, G.,