Mächten des Verderbens durchwalteten Welt einen Weg zu Gott, dann besteht Grund zu der Annahme, dass Aporien, wenn man sie sich nur eingesteht, sich zu einem Problembewusstsein verarbeiten lassen, das weiter führt. Theologie weiß, dass die Aporie des Denkens Leidenschaft ist. Von solcher Leidenschaft bewegt, fängt die Theologie immer wieder auf’s neue an, dem Worte Gottes nachzudenken.“8 Dieses Nachdenken erfordert ein schonungsloses Exposure, ein Sich-Aussetzen und Ausgesetztsein. Die Schonungslosigkeit des Todes, des Kreuzes, Gottes auszuhalten und zu durchdenken, zu Ende zu denken, nicht einzuknicken und weichzuspülen, nicht zu vereinfachen und nicht zu vertrösten, ist die Aufgabe der Theologie. Ihre Aufgabe ist es, sich der Ausweglosigkeit des Kreuzes auszusetzen, der Undenkbarkeit Gottes, der Unverfügbarkeit von Auferstehung – und nicht einen Gott aus dem Hut zaubern, der im Letzten dann doch die Position wechselt und der Übervater wird, der ER, der Mann, der er immer war, der liebe Gott mit der Hand, in die man fällt, der Richter, der die Freien nicht an seiner Seite sitzen lässt, weil sie sich gegen ihn entschieden haben, weil der Ahnung nicht getraut wird, werden kann, Gott als das ganz Andere zu denken, bedingungslos, sperrig gerecht, ein Geheimnis, die Wahrheit des Evangeliums, ein sich hartnäckig entziehendes Mysterium, unlösbar verbunden mit dem Risiko der Sinnlosigkeit – eine Ahnung, eine Idee, eine Erzählung – die keinen Absolutheitsanspruch erhebt, sondern als Ferment wirkt.
4.Exposure-Theologie
Wo ist die schonungslose, widerständige, sich aussetzende Theologie wider alle Vernunft als elementarer Lebensakt der Kirche aller Menschen und als elementare Life Science, eine Wissenschaft mit Option, für die Menschen, gegen Vereinfachung und Banalisierung, für die Komplexität des Über-, Quer- und Hinter-Allem – ein offener Denkraum, in dem in Musing und Abduktion Transformation erwartet wird, eine Wissenschaft, die weiß, dass „Gotteserkenntnis schon immer unthematisch und namenlos gegeben [ist] – und nicht erst dann, wenn wir anfangen, davon zu reden. Alles Reden darüber, das notwendig geschieht, ist immer nur ein Verweis auf diese transzendentale Erfahrung als solche, in der sich immer der, den wir ‚Gott‘ nennen, schweigend dem Menschen zusagt – eben als das Absolute, Unübergreifbare, als das nicht eigentlich in das Koordinatensystem einrückbare Woraufhin dieser Transzendenz, die als Transzendenz der Liebe auch eben dieses Woraufhin als das heilige Geheimnis erfährt.“9
Wo ist Gott? Wo ist Gott in der Theologie? Eberhard Jüngel beschreibt die Situation der Theologie, wie sie in Gesellschaft und wissenschaftlicher Community gesehen wird. „Vielfach und auf vielfältige Weise hat das Reden von Gott den menschlichen Geist in Verlegenheit gebracht. Am Ende einer langen Geschichte des Redens von Gott scheint die Verlegenheit heute zur Ausweglosigkeit geworden zu sein. […] Denn das scheint ausgemacht zu sein. Wir leben im Zeitalter der sprachlichen Ortlosigkeit Gottes. Ihr entspricht die immer noch zunehmende Undenkbarkeit Gottes und die – auch unter ihrem Gegenteil schlecht verborgene – Sprachlosigkeit der Theologie. Diese ist übel dran.“10
Die Theologie ist übel dran, weil sie, auch sie, nicht von Gott sprechen, Gott nicht denken kann, nicht unter den Bedingungen postmoderner Moderne, nicht so, dass das Denken und Sprechen ernst zu nehmen wäre im Kreis der Wissenschaften, eine Relevanz entwickeln würde für den Menschen von heute. Der Theologie fehlt Gott. Selbstverständlich fehlt ihr nicht das Wort, aber was bezeichnet das Wort „Gott“? Was bezeichnet Theologie mit dem Wort „Gott“? Eberhard Jüngel leitet sein Denken und Sprechen von Gott von den Grundsätzen der Sprache und Sprechakte her. „Die Zeichen geben also zu denken. Sie geben jeweils etwas zu denken, nämlich genau das, was sie bezeichnen. […] Das Wort ist also das für die Funktion des Bezeichnens bezeichnendste Zeichen.“11 Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet Gott „etwas Unüberbietbares […]: Gott kann alles. Gott entscheidet alles. Gott wirkt alles. Gott ist alles, ist schon immer alles in allem. Ja, Gott ist ‚mehr‘ noch als ‚alles‘. […] Gott ist in jeder Hinsicht perfekt – wobei die temporale Komponente durchaus mitzudenken ist: Gott kann immer schon ganz und gar auf sich zurückblicken, sein Sein ist frei von Werden. […] Gott ist über allem, er ist also auch über uns, er ist uns schlechthin überlegen. […] Was das Wort ‚Gott‘ als Zeichen zu denken gibt, ist dann im Grunde unausdenkbar, ist auch durch Denken nicht zu erfassen, ist nur als das Unbegreifbare zu begreifen.“12 Die Theologie ist übel dran, denn damit steht sie an ihrem Ende. Was ist ihr Inhalt und ihr Anspruch, wenn sich ihr Gegenstand nicht denken lässt? Theologie als Leerstelle.
Jüngel sieht die Theologie an dieser Stelle in der Sackgasse der mächtigen augustinischen Tradition.13 Den Ausweg entdeckt er in einer weiteren Funktion der Sprache neben der des Bezeichnens. Sprache spricht an. „Im Sprachereignis wird vielmehr das Sein eines Sachverhaltes so zur Sprache gebracht, dass es das Sein des Menschen anspricht und dieser durch das ihn anredende Wort aus sich herausgerufen und in dem ihn anredenden Wort zu sich selber gebracht beziehungsweise von sich selber entfernt wird.“14 Gott als eine Funktion, ein Ereignis von Sprache? Wenn Gott sich in der Sprache des Menschen ereignet, ist es nicht mehr möglich, Gott über dieser Sprache und damit über dem Menschen zu denken. Im Sprechereignis „Gott“ sprechen Gott und Mensch und geben sich – die Theorie konsequent weitergedacht – gegenseitig zu denken, gehen über sich selbst hinaus und geben sich Anteil aneinander. Das Evangelium als Zentrum christlicher Theologie verkündet den Menschen Jesus als Wort Gottes. „Das Menschsein dieses Menschen ist für das, was das Wort ‚Gott‘ zu sagen hat, nach neutestamentlicher Auffassung von äußerster Relevanz. Und das nicht nur im Blick auf das Leben, sondern erst recht auf den Tod dieses Menschen. Deshalb haben wir uns bei dem Versuch, Gott als den sich im Menschen Jesus Mitteilenden und Aussagenden zu denken, stets der Tatsache zu erinnern, daß dieser Mensch gekreuzigt wurde, daß er im Namen des Gesetzes Gottes getötet wurde.“15
5.Bequemlichkeit der Undenkbarkeit Gottes
Theologie und Kirche scheinen sich in der Bequemlichkeit des prinzipiell undenkbaren Gottes und der damit verbundenen eigenen Bedeutungslosigkeit in Wissenschaft und Leben gut eingerichtet zu haben. Kirchlicherseits lässt es sich offensichtlich auch und gerade ohne Theologie gut leben, besonders ohne eine Theologie, die den Finger in die Wunde einer Macht legen könnte, die sich immer noch aus dem Besitzanspruch auf die Wahrheit eines exklusiv denkbaren und sich ebenso exklusiv offenbarenden Gottes speist. Das reformatorische „allein aus Glauben“ wird hier unredlicher Weise zum Programm gegen eine wissenschaftlich wie praktisch ernsthafte Auseinandersetzung mit der Denkbarkeit und Sagbarkeit Gottes unter den Bedingungen postmodern-modernen Lebens. Die Neuzeit stellte Theologie und Kirche vor die Frage, ob Gott notwendig sei, und beantwortete die Frage damit bereits. Denn „wer aber so fragen muß, wer die Notwendigkeit Gottes in Frage stellen muß, der hat sie im Grunde auch schon verneint. […] Gott ist weltlich nicht notwendig“16, auch nicht, um die Welt vor den Abgründen der Unmenschlichkeit zu schützen. Der „Mensch [kann] ohne Gott menschlich sein“, er „hat das Kriterium seiner eigenen Notwendigkeit und Wirklichkeit nicht mehr in Gott, sondern er versteht sich – sei es als notwendig, sei es als nicht notwendig – aus sich selbst.“17
Die Neuzeit macht das bis dahin selbstverständliche Zentrum des Alls „Gott“ zur Leerstelle. Damit wird die Herrschaft Gottes in Zweifel gezogen. „Der weltlich notwendige Gott wurde allemal begriffen als Gott der Herr. Und was ein Herr ist, schien ebenfalls ausgemacht. Von Gottes Herrschaft war die Rede im Sinne seiner Allmachtsausübung. Der weltlich notwendige Gott wurde begriffen als der allmächtige Herr, dessen Liebe und Erbarmen gegenüber seinem Herrschaftsanspruch grundsätzlich sekundär und nachgeordnet erscheinen. So denkt man sich ja auf Erden einen Herrn: daß er zunächst einmal Macht hat und daraufhin dann vielleicht auch barmherzig sein kann – oder eben auch nicht. Und entsprechend denkt man sich dann auch Gottes Herrsein und Herrschaft. Er ist mächtig, fähig und frei, zu lieben oder auch nicht zu lieben.“18 Die neuzeitliche Theorie entthront Gott, aber nicht die Macht der Kirche. Sie verliert zweifelsohne über die Jahrhunderte an Einfluss, aber sie hält erfolgreich theologisch, liturgisch und in der Legitimation ihrer Strukturen und Ämter am (Sprach-)Bild der weltlich notwendigen Herrschaft Gottes fest. Und offensichtlich profitiert auch die Theologie von der Verschleierung der Leerstelle – selbst der Preis der eigenen Sprachlosigkeit,