der Welt und anderen lebendigen Entitäten geschiedenes Naturstück, das uns über die Sinnesvermögen einen Zugang zur Welt verschafft und uns ein Selbstgefühl gibt. Wir erfahren durch den Leib Widerständigkeiten, die uns die physikalisch fassbare Außenwelt, aber auch den fremden Willen anderer Leiber erfahren lässt.
Der individuelle Leib impliziert aber auch Intersubjektives. Damit ist nicht nur das gemeint, was Merleau-Ponty ‚Zwischenleiblichkeit‘ nennt, also quasi eine präkognitive Disposition des menschlichen Handlungsraumes durch die Nähe anderer Leiber wie im Verhältnis von Mutter und Kind, sondern ein Leiberlebnis und Leibverständnis, das ich mit Angehörigen meiner Kultur und Epoche teile. Indische Yogis erleben ihren Körper anders als wir. Der Leib ist immer etwas transzendierendes, seine organische Disposition Übersteigendes. Unser Selbst- und Weltverständnis kann also nicht von unserer Körperlichkeit her verstanden werden, sondern ausschließlich von unserer Leiblichkeit her.
Verändert sich aber durch technisches Handeln die körperliche Disposition des Menschen, hat dies auch Auswirkungen auf das Leibverständnis. Ärzte berichten davon, dass die Patientenerwartung zunehmend der eines Kleinkindes gleicht, das nach dem Sturz weinend zur Mutter rennt und ‚Heile machen‘ ruft. Der Arzt soll das körperliche Gebrechen sozusagen instantan beheben. Der eigene Leib wird zunehmend als eine Maschine empfunden, die gewartet und repariert oder auf neue Anforderungen auf- oder umgerüstet werden kann. Diese Erwartungen werden zum Teil von den Gesundheitsinstitutionen evoziert bzw. initiiert, etwa wenn eine fortschreitende Präventionsmedizin sich als Wartungsdienst begreift und die Grenzen zwischen ‚Gesundheit‘ und ‚Krankheit‘ zunehmend verwischt. Ein Sofortismus hat alle Sphären des gesellschaftlichen und individuellen Lebens erfasst und prägt zunehmend auch Erwartungshaltungen gegenüber der Medizin.
These 3: Traditionelle Vorstellungen der Natur als etwas, das sich selbst hervorbringt, ebenso wie traditionelle naturrechtliche Prämissen genügen nicht mehr, um den gegenwärtigen Transformationsprozess des Menschen und dessen künftiges Selbstverständnis zu fassen
Es stellt sich die Frage, ob naturrechtliche Voraussetzungen, die theologisch auf der Gottesebenbildlichkeit des Menschen beruhen, noch genügen, um die sich im gegenwärtigen Zeitalter der Transformation des Menschen verändernde ‚conditio humana‘ fassen zu können.
Ohne Frage liegt hier eine neue Herausforderung für die Theologie, die den zentralen kirchlichen Auftrag der Vermittlung der Heilsbotschaft betrifft. Es geht um die Frage, wer das Wesen ist, dem die Heilsbotschaft vermittelt werden soll.
Das christliche Naturverständnis geht von der kreatürlichen Eigenständigkeit des Menschen aus. Dabei wird die Natur des Menschen durchaus als offen, also als veränderlich angesehen. Es wird also keineswegs ein starrer Naturbegriff angenommen, sondern durchaus einer, der Veränderlichkeit etwa im Sinne der Deszendenztheorie einschließt.
Nun ist, wie erwähnt, die ‚conditio humana‘ ein Begriff, der das Feld körperlich-organischer Dispositionen transzendiert. Zu ihr zählen Weisen der Gemeinschafts- und Gesellschaftsorganisation, gehören auch kulturelle Dispositionen, die unabdingbar sind für das nackte Überleben, aber auch Bedingung eines gelingenden Lebens des Menschen sind.
Zur ‚conditio humana‘ gehört nicht zuletzt auch die technische Disposition des Menschen, wie sie von Helmuth Plessner im ersten anthropologischen Grundgesetz von der natürlichen Künstlichkeit des Menschen formuliert wurde. Die neue Qualität sieht nun aber so aus, dass die Kultur sich in anderer Weise in unseren Leib einschreibt, als es die klassische Lebensweltphilosophie und die Phänomenologie im Verhältnis von Leib und Lebenswelt annimmt. Es geht nicht mehr um Prägungen und Anpassungen, auch nicht darum, dass die organische Disposition des Menschen in seiner Vorgegebenheit angenommen und gewürdigt wird, sondern um die technische Gestaltung und Hervorbringung dieser körperlichen Dispositionen. Es steht damit schlicht und ergreifend die Natalität des Menschen infrage. Der Mensch ist dann nicht mehr Ausdruck eines Neuanfangs, sondern etwas, das von fremden Mächten geformt bzw. disponiert ist, ein Wesen, das sozusagen nicht mehr Herr im eigenen Haus ist, gerade, weil es sich zum Herrn der Schöpfung gemacht hat. Das Fatale an den neuen Möglichkeiten informations- und biotechnologischer Aufrüstung des menschlichen Körpers liegt darin, dass die Implantate und die extrakorporalen Überwachungssysteme zunehmend autonom agieren. Der Mensch hätte dann in seiner körperlichen Disposition eine Technologie freigesetzt, die sich in einem nicht unerheblichen Maß einer unmittelbaren Steuerung und Kontrolle entzieht. Der entglittene Besen des Zauberlehrlings treibt sozusagen in uns selbst sein (Un-)Wesen.
These 4: Die moderne Technik, die Martin Heidegger als eine Endgestalt des stellenden, alles einem Kalkül unterwerfenden metaphysischen Denkens sah, erweist sich als ein ‚vorletzter‘ Ausdruck des metaphysischen Denkens, insofern die Endgestalt erst dann erreicht wäre, wenn das Denken des Menschen selbst technisch unterwandert, also Ausdruck einer quasi autonomen Technologie ist
Es stellt sich in der Folge von Heideggers Destruktion der Metaphysik die Frage, ob die bisherige Endgestalt der Metaphysik, die Heidegger in der zu seiner Zeit modernen Technik sah – und die für ihn der Inbegriff des stellenden, alles unter seine Verfügung bringenden Denkens ist –, nicht dann noch eine Überbietung erfährt, wenn das technische Denken den Menschen selbst von innen her, also seinen organischen Dispositionen her kolonialisiert, wenn dieses Denken zu einer gestaltenden, die organische Disposition transformierenden und substituierenden, technischen Praxis wird.
Der Mensch wird zunehmend als ein technisches Artefakt, als im Labor hergestelltes Biofakt oder eine Art Cyborg gesehen, in dem bio- und informationstechnische Verfahren konvergieren. Dieses letzte metaphysische Denken würde sich dann auch in – innerhalb eines gewissen Rahmens – ‚autonom‘ agierenden intelligenten Implantaten und Prothesen artikulieren und somit in die biologische Substanz des Menschen dringen. Der Mensch erfährt sich so nicht nur als ein in einer natürlichen Deszendenzlinie, sondern zugleich als ein in einer technischen Entwicklungslinie stehendes Wesen.
Intelligente Implantate und Prothesen können nun nicht nur körperliche Vermögen steigern bzw. neuartige körperliche Vermögen verschaffen, sie können auch intellektuelle Vermögen beeinflussen. So wird bereits in der klinischen Psychiatrie mit Hirnimplantaten experimentiert, die bei an schweren Depressionen Leidenden Gehirnpartien lahmlegen und so für eine Stimmungsaufhellung ohne Medikamente mit schweren Nebenwirkungen sorgen sollen.
All diese intelligenten Implantate und Prothesen können natürlich auch von außen eine Überwachung und Steuerung erfahren. Dies heißt freilich noch nicht, dass das Denken des Menschen von außen in einem expliziten Sinne gesteuert werden kann, dies würde ja bedeuten, dass ein ‚Es‘ denkt, womit auch die Rede von einem autonomen und überhaupt individuellen Wesen, das verantwortlich handeln kann, obsolet wäre. Es ist aber durchaus, ähnlich wie unter medikamentösem Einfluss, vorstellbar, dass ein Stimmungswandel auch informationstechnologisch herstellbar ist. Die Haut als Außengrenze des Körpers ist dann überwunden, wenn intrakorporale Vorgänge wie bei der Blutwäsche von außen gesteuert werden können. Diese Steuerung betrifft aber alle physiologischen Dispositionen, auch diejenigen, die Auswirkungen auf unsere Denkleistungen haben.
Die Situation, in der wir uns derzeit befinden, sieht so aus, dass der Mensch sich zunehmend zu einer Art Cyborg transformiert, Technologie also in seine leibliche Disposition eindringt und ihn zu einem Wesen transformiert, das sich quasi technischen Kalkülen unterwirft; dementsprechend werden auch andere Erwartungen an Gesundheit bzw. Funktionalität der eigenen körperlichen Vermögen gestellt. Auch der Umgang mit dem Altern wird wohl einen Wandel erfahren und es werden damit auch neue Einstellungen zum Alter und zum Altern entstehen.
All dies hat nicht nur Auswirkungen auf unser Selbstverständnis, sondern auch auf unser Sozialverhalten. Damit ist noch keineswegs gesagt, dass posthumanistische Steigerungsphantasien realisiert werden können, dazu sind in diesen Konzepten noch zu viele logische Widersprüche, tatsächlich auch zu viel Ideologie, Ökonomie und Metaphysik enthalten. Andererseits haben diese Visionen aber bereits heute Auswirkungen auf unser Selbst-, Gesellschafts-, und Weltverständnis.
Die letzte Stufe des metaphysischen Denkens wäre nun ein selbständig gewordenes technisches Kalkül, in das der Mensch in seiner körperlichen Substanz quasi eingebunden ist.