erfolgreich machbar ist.
Ja, mehr noch: wie es so schön und vielversprechend einer der Einflussreichsten in dieser Branche, der in St. Gallen sitzende Fredmund Malik, kürzlich in der „ZEIT“ formulierte: „Das Unternehmen muss dem Wandel voraus sein, um dessen Regeln maßgeblich mitzugestalten“7.
Dazu braucht es natürlich ganz andere Tools und Lösungen als bisher, denn der typische Angstansatz, den sicherlich einige der hier Anwesenden noch aus dem Religionsunterricht der eigenen Schulzeit oder aus Predigten kennen, hoffentlich auch nur aus der Schulzeit, der wird auch im ökonomischen Beratungskontext immer wieder gerne gewählt: mach den Leuten Angst und bring die Erlösung/Problemlösung gleich mit. Da heißt es dann: mit herkömmlichen Managementmethoden werden Konzerne (z.B. Siemens) in der digitalen Transformation untergehen. Nur gut, dass Malik dann auch die neuen erfolgversprechenden Lösungskonzepte parat hat: „Für das Meistern dieser Anforderungen gibt es Lösungen, die aus den Komplexitätswissenschaften stammen, einer Kombination mehrerer Wissenschaften. Allen voran gehört dazu die Kybernetik – die Wissenschaft funktionierender Systeme und ihrer Selbstorganisation –, aber auch die Gehirnforschung sowie die Bionik, also die Übertragung von Lösungen aus der Natur auf Technik und gesellschaftliche Organisationen“8.
So etwas zu sagen, ist nur dann möglich, wenn dazu und davor eine gnadenlose Abstraktion der Realität durchgeführt wird, also ontologisch gesehen das Ganze des Seienden auf Vorhandenheit reduziert wird und anschließend das Ganze der als relevant bestimmten Vorhandenheitsbrocken in Relationen bzw. in Funktionsbeschreibungen aufgelöst wird.
Zur Steuerung, Lenkung und Gestaltung von Unternehmens- wie Führungsprozessen werden aus Personen Menschen gemacht, Menschen werden als kognitiv-biologische Lebewesen definiert, die als primär anreizorientierte Triebbündel agieren. Die relevanten Schalt- und Steuerungsmechanismen dieser Triebbündel befinden sich im Gehirn. Kenntnisse der Gehirnabläufe liefern die Fundamente für gelingende Interaktionen. Gelingende Interaktionen liegen vor, wenn die Akteure Mehrleistung generieren zum Wohle des Gesamtsystems auch auf Kosten, also zu Lasten des produzierenden Funktionselements, das heißt des Akteurs.
In funktionalen Führungsparadigmen gibt es keine „Handlungen“ mehr, weil es keine „Personen“ mehr gibt. Und dort, wo Personen fehlen, haben Begriffe wie Autonomie, Gut-und-böse-sein-Können, Gerechtigkeit, Verantwortung, Glaubwürdigkeit, Endlichkeit, Unverfügbarkeit, Schuld und Sehnsucht keinen Sinn mehr. Das Geheimnis Mensch wird so gnadenlos ausgepinselt mit der von einer popularisierten Wissenschaft gelieferten Schwarz-Weiß-Palette. Er wird in abgrenzbare Bezirke aufgeteilt und, man muss es zugestehen, auch im Malen nach Zahlen kommt etwas heraus.
Und weil dann doch ein Bild aus bloßen Grauschattierungen ziemlich eintönig wirkt und allerlei Teambildungsspielchen bzw. Reorganisationsmaßnahmen auch nicht helfen und alles irgendwie beim Alten bleibt, trotz vielfältigster Aktionen des „HR“ (department for human resources), kommt dann doch die andere Seite, die weichen Faktoren bildende, die nicht-objektive, die jenseitige, im Zwie- und Dämmerlicht verortete Seite von Mensch und Unternehmen ins Blickfeld. Wie im Privatfernsehen die Mysteryserien wuchern, sprießen im Unternehmens- und Führungskontext die Werte.
Werte sollen und müssen zu Ankern werden, zu Verbindlichkeitskonstanten, denen sich alle unterordnen. Aber welche Werte und woher? Im Normalfall werden diese von der Firmenleitung oder von einer Arbeitsgruppe gesetzt beziehungsweise aufs Tablett gehoben und dann steht eben in der Firmenzeitung oder auf den Internetseiten des Unternehmens: „Wir wollen mit (hier die Werte ihrer Wahl) für unsere Kunden …“
Zur Auftaktveranstaltung werden dann auch gerne hauptamtliche Wertevertreter – sprich Ordensangehörige und Ordensobere – eingeladen, die gleich einen ganzen Sack voller Werte mitbringen und dazu auch noch ein paar christliche Werte offerieren und, wenn es ganz schlimm kommt, von einer „Christlichen Führung“ sprechen.
Der Effekt im Unternehmen geht gewöhnlich gegen Null. Doch was sich die Ordensoberen bzw. die Orden damit selbst antun (die Indienststellung des Glaubens), das ist eine ganz andere Frage, die vor einiger Zeit Rainer Bucher an die Benediktiner gestellt hat: „Mit welcher Herausforderung unserer Kultur, unserer Gesellschaft heute verbindet man etwa Ihren Orden, die Benediktiner? Ich frage nicht: verbinden Sie in Ihrem Selbstverständnis Ihren Orden, sondern verbindet diese Gesellschaft mit Ihrem Orden“9.
Am schlimmsten, am wenigsten fassbar und geradezu fassungslos aber sind für mich die Unternehmen, die auf einem christlichen Selbstverständnis gegründet sind, sich auf diese Wurzeln berufen und sich im Alltag bedenkenlos „angesagten“ Managementphilosophien ausliefern. Dies geschieht, indem sie Berater und Geschäftsführer konsultieren und einstellen, die durch ihre kybernetisch-funktional-chaostheoretische Sicht auf die unternehmerische Gegenwart Folgen generieren, die weder den Menschen (Mitarbeitern wie Bewohnern) dienen – noch den Bilanzen (und auch dann wären sie nicht legitimiert, wenn ihnen das gelänge) nutzen. Systeme, die Personen systematisch übersehen, produzieren ein gerüttelt Maß an Demotivierung oder innerer Kündigung. Die Vorstände dieser dienenden Einrichtungen sind ja nicht selten Theologen! Ich erwarte nicht, dass diese die aktuellen theologischen Forschungsstände in den einzelnen Disziplinen kennen, aber die Grundaussagen ihres Glaubens in Bezug auf den Menschen sollten sie kennen – und eben ihnen entsprechend handeln.
Doch dort wo Angst herrscht, die Farben der Wissenschaft, also Schwarz und Weiß herrschen, da ist es schwer, nach anderen, farbigen Maßstäben zu handeln.
Darin sehe ich die Aufgabe einer Theologie heute. Wenn Theologie verstanden wird als Rede des Menschen von seinem Gott, als, so Alexius Bucher, Glaube im Modus des Denkens10, dann ist der Gott Jesu Christi als ein menschenliebender Gott zu begreifen. An diesen menschenliebenden Gott zu glauben, führt ins Freie und gibt Sicht über Schwarz und Weiß hinaus.
Aber wie soll jemand an die befreiende Nachricht glauben, wenn er in dem, der von diesem Gott erzählt, alles andere als einen Befreiten sieht, sondern sich einem gegenübersieht, der eine noch eingeschränktere Farbpalette mitbringt.
Was uns Theologen fehlt und von uns erwartet würde, vermögen wir dann zu erkennen, wenn wir die Lebenswelt der Gläubigen, der Suchenden, wie auch der Gleichgültigen zum Thema machen und anschauen, was Menschen umtreibt. „Der Theologe hat in nachmetaphysischer Epoche nur eine Chance: Er versucht, die erfahrbare Welt des Menschen im Licht unter den Bedingungen jener Interpretationsvorlage zu deuten, wie sie ihm in Wort und Werk des Glaubensstifters und dessen heilsamer Wirkgeschichte initiatorisch begegnet.“11
Anders und abschließend formuliert: Der Theologe, dem das unverschämte Glück übereignet ist, zeigen zu können, dass es weit mehr als Schwarz und Weiß und die entsprechenden Grauschattierungen gibt, er ist dazu da, den Menschen die Farbpaletten für die Bilder ihres Lebens zu erweitern und von diesen Farben zu künden.
Mit dem Gott Jesu Christi steht ein unabsehbarer Farbenreichtum zur Verfügung, bei dem wir schon bei einer Farbe über die Grenze des Erfassbaren kommen, wie es so treffend Herbert Grönemeyer in seinem Stück vom Himmel formuliert: „Es gibt Milliarden Farben und jede ist ein anderes Rot“.
Wir Theologen haben den Menschen die Milliarden Farben von Rot, Grün, Blau, von Azur, Gelb, Braun, … anzubieten. Die Leinwand des Lebens ausmalen, das können die Menschen dann schon selbst.
Literatur
Bloch, E., Etwas fehlt – Glück und Utopie. Ein Gespräch mit Theodor W. Adorno, in: Apel, K.-O./Böhler, D. u.a. (Hg.), Praktische Philosophie/Ethik, aktuelle Materialien, Reader zum Funk-Kolleg, Bd. 1, Frankfurt a.M. 1980, 405-413, 484.
Bucher, A.J., ‚Das Weltkind in der Mitten‘. Vom theologischen Interesse an der Philosophie, in: Müller, G. (Hg.), Das kritische Geschäft der Vernunft. Symposion zu Ehren von Gerhard Funke, Bonn 1995, 55-74.
Bucher, R., Stabilität in einer „Fluid Church“. Die Chance der Orden in der Transformationskrise der katholischen Kirche, in: zur debatte 8/2012, 28-30.
Malik, F., Auf ins Ungewisse. Mit herkömmlichen Methoden werden Konzerne in der digitalen Transformation untergehen, in: