Theologie und Kirche laufen damit absehbar und in Teilen bereits angekommen ins Leere.
Man „wird dabei die Vermutung nicht unterschlagen können, daß der Herrschaftsanspruch des Wortes ‚Gott‘, wenn er als ein die Freiheit des Denkens beeinträchtigender Anspruch auftritt, das Wesen Gottes theologisch kaum zutreffend begriffen haben dürfte. […] Gottes Allmacht ist vielmehr als die Macht seiner Liebe zu verstehen. Nur die Liebe ist allmächtig. Gottes Herrschaft ist deshalb als das Regiment seiner Barmherzigkeit und Gottes Recht dementsprechend als das Recht seiner Gnade zu verstehen.“19 Und spätestens hier hört das Wort „Gott“ auf, ein Denk- und Sprachspiel von Theologie und Kirche, ein Spielball zwischen vorgeblich wissenschaftlicher Reflexion und institutioneller Praxis zu sein, muss ein Schlussstrich unter das unwürdige Machtspiel gezogen werden. Hier stehen Würde und Menschlichkeit, das Leben selbst auf dem Spiel. Eberhard Jüngel zeigt den fatalen Zusammenhang zwischen der Behauptung der Allmachtsherrschaft Gottes und dem Drang des Menschen zur Abhängigkeit bzw. zur Unterdrückung. Er stellt die Frage, ob „die Identifizierung der allmächtigen Herrschaft, von der der Mensch schlechthin abhängig sein soll, mit Gott, nicht die Kaschierung des elementaren anthropologischen Tatbestands ist, daß der Mensch in schlechthinniger Abhängigkeit vom Menschen existiert, weil der Mensch über den Menschen total herrschen will.“20 Hinterlässt also die Vertreibung Gottes aus dem Zentrum gar keine Leerstelle, sondern deckt einen menschlichen Abgrund auf?
„Die Theologie hätte also, wenn sie die Entdeckung der weltlichen Nichtnotwendigkeit Gottes nicht als Fremdkörper akzeptiert, sondern aus theologischen Gründen selber vollzieht, zur Erhellung des Selbstverständnisses des neuzeitlichen Menschen insofern einen fundamentalen Beitrag zu leisten, als sie zu einer vertieften Einsicht in den Sachverhalt verhelfen könnte, daß der Mensch durch die Bestreitung der weltlichen Notwendigkeit doch die anthropologische Funktion noch nicht gelöscht hat, die bis dahin eines Gottes Funktion gewesen sein soll. Die Theologie könnte einen Beitrag zur Umwertung dieser Funktion leisten, insofern sie die Tendenz nach totaler Herrschaft über Menschen als eine ursprüngliche Tendenz zur Vergötzung des Herrschens und zur Versklavung des Menschen enthüllt.“21 Die Auswirkungen dieser theologischen Leerstelle lassen sich gegenwärtig in unglaublich brutaler Form als Schneise der Vernichtung von Menschen und Kultur durch den sogenannten Islamischen Staat beobachten. Theologie könnte die Welt nicht retten, selbst wenn sie sich seit der Neuzeit als Wissenschaft von und in der Akzeptanz der Nichtnotwendigkeit Gottes erfunden und profiliert hätte. Zugleich gilt es die Chancen und Möglichkeiten der Theologie zu nutzen, sich dieser Grundaporie menschlichen Lebens auszusetzen. Exposure heißt in diesem Zusammenhang, sich hartnäckig denkend und handelnd dem Zusammenfallen, der Gleichzeitigkeit von Macht und Liebe zu nähern. An „einem theologisch angemessenen Begriff der Herrschaft Gottes (wäre) die Erkenntnis zu gewinnen, daß Herrschen und Dienen sich keineswegs paradox zueinander verhalten müssen und daß Herrschaft keineswegs notwendig die Knechtschaft anderer impliziert.“22
6.Eine Frage der Führung
Ist die Frage nach Gott eine Frage der Führung? Gegenstand christlicher Theologie wären 2015 Jahre Führung, die neuzeitliche Leerstelle wäre mit Führung statt mit Vergötzung von Herrschaft zu füllen, Theologie als Wissenschaft einer neuen Idee von Führung, die Mündigkeit und Freiheit fördert. Praktische Theologie wäre nicht nur Reflexion kirchlicher Praxis, sondern würde neue Praxis initiieren – in Kirche und Wissenschaft, eine Praxis, die sich weder in Kirche noch in Wissenschaft über Ausschluss und Herrschaft realisiert, die ihren Wert nicht über Knechtschaft und Ausgrenzung definiert. Dafür ist in Kirche und Wissenschaft eine andere Theorie des Gegensätzlichen nötig, die nicht auf eine Auflösung in eine Über-Unter-Ordnung hinein setzt, sondern den Gegensatz durchdenkt, ihm standhält, in der Grundirritation vom Ende der Herrschaft Gottes und dem immer wieder neuen Anfang der Allmacht der Liebe, der Gnade ausharrt. In dieser Irritation hat sich Wahrheit immer wieder neu zu bewähren, endet die Herrschaft der letzten Schlüsse, des schon immer Gewussten, der klaren und beständigen Deutungen.
Eberhard Jüngel positioniert als Proprium des Christlichen Gott genau inmitten der Irritation: „Daß Gott, obwohl er der zwischen Sein und Nichtsein Entscheidende ist, dennoch nicht nur oberhalb dieses Gegensatzes von Sein und Nichtsein, sondern inmitten dieses Gegensatzes Gott ist, das ist nun […] als Pointe christlicher Rede von Gott zur Geltung zu bringen.“ „Gott bestimmt sich zum Menschsein des Menschen Jesu, um gerade in und mit diesem Menschen Gott zu sein.“ Er „selbst aber bestimmt sich dazu, nicht ohne den Menschen Gott zu sein.“ Deshalb „gehört schon zu Gottes Göttlichkeit seine Menschlichkeit. Das ist es, was die Theologie endlich zu lernen hat.“23 „Wie denn überhaupt zu befürchten ist, daß die Theologie nicht an den Bastionen des Unglaubens, sondern vielmehr an ihrer eigenen Verschlafenheit zugrunde geht.“24 Jüngel ist die Ungeduld anzumerken, mit der er für ein theologisches Bewusstsein kämpft, dass Gott „nicht notwendig [ist], weil mehr als notwendig“25. Gott ist mehr als notwendig. „Es ist theologisch unhaltbar, daß nur das Notwendige wesentlich sei. Auch der Zufall hat sein Wesen, auch das Kontingente ist wesentlich.“26
7.Annäherung durch Unterbrechung
Fehlt der Theologie die Einsicht in das Wesen und die Bedeutung des Zufalls? Hat sie sich eingerichtet in der Allmachtsbequemlichkeit, die die Aporie des Kreuzes, der Ohnmacht und Schwachheit, der Menschenbindung Gottes meidet? Mit Bonhoeffer denkt Jüngel „Gott als den sich aus der Welt herausdrängen Lassenden und gerade so sich auf die Welt Beziehenden“27, als einen der „die Welt am Kreuz als die ihn nicht ertragende erträgt“, weshalb „das Sein Gottes in der Tat als ein die Alternative von Anwesenheit und Abwesenheit sprengendes Sein zu denken [ist]“.28 Fehlt der Theologie der Glaube? Fehlt ihr der Glaube als die „ursprünglichste Weise des Mitgenommenwerdens durch Gott […] in das Ereignis des redenden Gottes [… und die] ins Sein gerufene Relation des sich auf den anredenden Gott einlassenden Menschen […], als Verhalten, in dem der Mensch gleichursprünglich sowohl Gott als auch sich selbst entspricht“29? Fehlt der Theologie die Freiheit als „Akt, in dem ein Ich sich auf ein anderes Ich so einläßt, daß es dieses andere Ich genau das sein lässt, was es ist“30?
„Wenn Gott sich als selber redend zu erkennen gibt und als solcher zu denken ist, dann hängt die Beantwortung dieser Fragen vom Verständnis dessen ab, was Wort ist. Wäre Wort nur ein informierendes Zeichen, das der Sprechende hinter sich zurücklassen kann, ohne selbst darauf bezogen zu bleiben, dann wäre Nachdenken in der Tat ein museales Unternehmen. Aber gerade dieses Verständnis von Wort scheitert am Wesen des Wortes Gottes. Denn wenn der Glaube die durch dieses Wort ermöglichte Einstellung des Menschen zu Gott ist, in der der Mensch sowohl sich selbst als eben auch, und zwar gleichursprünglich, Gott entspricht, dann hat eine solche Entsprechung den Charakter der Begegnung von Gott und Mensch. Gottes Wort ist dann nicht ein Relikt, dem gegenüber Gott weit entfernt und beziehungslos seine Wege ginge, sondern dieses Wort ist voll von Beziehung“. Demgegenüber „ist die Funktion des Wortes, in dem Gott sich als der von sich aus Redende erweist, als die einer ansprechenden Unterbrechung zu verstehen, durch die der Ansprechende dem Angesprochenen in unvergleichlicher Weise nahe kommt. Das Wesen des ansprechenden Wortes ist Annäherung durch Unterbrechung.“31
Das Wort Gottes ist also nicht einfach Information, sondern Ereignis, in dem Nähe und Distanz, Anwesenheit und Abwesenheit, Widerstand und Anziehung, Gott und Mensch zugleich und gleichrangig präsent sind. Im Wort unterbricht Gott als Redender Ordnungen und Routinen, den Lauf des Seins, nicht durch ein Machtwort, sondern durch Beziehung. „Denken kann Seiendes nur denken, wenn es den Gegensatz von Denken und Sein nicht überspringt. Es muß ihn vollziehen.“ Im Versuch, „Gott zu denken, wird das Denken mitgenommen, indem es den Glauben und sein Geglaubtes denkt. Glauben aber ist die unmittelbare Weise des Mitgenommenwerdens durch Gott. Der Glaube ist ein Aus-sich-Herausgehen des Ich ohne Ende. Er kennt kein Zurück. Denn der Glaube ist immer schon bei dem Geglaubten.“ Nachdenken „ist dann allerdings – so, wie Glaube ein ursprünglicher Akt der Selbstbestimmung ist – das genaue Gegenteil eines ‚Denkens‘, das sich der Anstrengung eigenen