und Autoren, aber auch die Leserinnen und Leser dieses Buches mögen diese Wanderstiefelstapfen möglicherweise als zu groß empfinden: Nicht jede oder jeder begründet eine neue Ordenstradition, ruft eine einflussreiche Erneuerungsbewegung ins Leben oder hinterlässt Texte und Bücher, die in unzähligen Sprachen übersetzt um die Welt gehen. Und doch stehen die Perspektiven dieses Buches für die unzähligen Menschen, deren Gefühl der Fremde in der Kirche in einer guten Tradition steht und dabei auch heute einen transformierenden Kern für Gemeinde und Kirche und einen Aufbruch in neue Generationen der Nachfolge Jesu Christi darstellt.
… ein Chaos, das Neues entstehen lässt
Die aktuellen Umbrüche der Kirchenlandschaft(en) sorgen für Unübersichtlichkeit und Unsicherheit. Die Reaktionsmuster auf diese insgesamt vielleicht gar nicht so neue, aber nach den volkskirchlichen Sicherheiten ungewohnte Situation bewegen sich zwischen zwei Polen, welche jeweils eine neue Zuverlässigkeit herzustellen versuchen: Es zeigen sich innere wie äußere Blockaden zur Aufrechterhaltung ererbter, aber leer gewordener Strukturen und Theologien auf der einen Seite und aktionistische Versuche, dem Alten gegenüber synthetisch Neues entgegenzustellen, auf der anderen.
In dieser komplexen Gemengelage sind es vor allem die leisen Stimmen der Wandernden und Wundernden, die, vielfach überhört, auf eine Perspektive aufmerksam machen, die keinem dieser beiden Dynamiken zuzuordnen ist: eine traumwandlerische Unsicherheit. Ein Wandern und Wundern, das aus dem Vermissen von Orten und Formen christlicher Nachfolge entsteht, die einer Sehnsucht nach einem Mehr an Kirche, an Gemeinde, an Evangelium, an Jesusmäßigkeit entspricht. Sofern die Kirche der Zukunft also tatsächlich zu ihrem weiteren Bestehen eine mystische sein wird, wie es Karl Rahner einmal postuliert hat, wird sie dabei auch aus Wandernden und Wundernden bestehen. Denn sie teilen das grundlegend mystische Gefühl, etwas erfahren zu haben, das aus dem Chaos etwas Neues entstehen lassen kann – vielleicht auch nur im Vermissen, in einer Ahnung, in einer Wanderlust. Aber in jedem Fall so real, dass es keinen Zugang (mehr) ermöglicht zu Bestehendem, Üblichem und Ererbtem.
In allen Aufsätzen des Buches wird diese Spannung deutlich – mal mehr, mal weniger explizit. Das Wandern und Wundern, die Fremde in der Kirche mögen dabei eine persönliche und existentielle Frage sein, beginnen sie doch vielfach mit der Dekonstruktion der eigenen Berufung und mit der Suche nach etwas, das sich in Derzeitigem insofern als Leerstelle finden mag. Allerdings geht es Wandernden und Wundernden nicht darum, eigene Interessen zu verfolgen oder als Person in den Vordergrund zu treten – durch sie tritt lediglich eine Fremde zutage, die die Selbstzweckhaftigkeit kirchlicher Erscheinungsformen infrage stellt. In der Literatur der Anglikanischen Gemeindegründungsbewegung der Fresh Expressions of Church spricht man an dieser Stelle vom „Pioneer Gift“ (das Pionier-Charisma) bzw. vom „Gift of not fitting in“ (das Geschenk und die Gabe, nicht hineinzupassen), Johann Baptist Metz hat in Bezug auf die Orden einmal von „produktiven Vorbildern“ und von der „Schocktherapie des Heiligen Geistes“ gesprochen. In beiden Redeweisen findet sich das Moment der Fremde wieder, durch die etwas Neues ins Leben kommen kann.
Anders formuliert lässt sich also sagen, dass das Gefühl der Fremde in der Kirche entsteht, weil Kirche noch keine Vollendung erlangt hat und über sich selbst hinaus verweist. Die Fremde in der Kirche ermöglicht Umkehr, sensibilisiert auf die Notwendigkeit der metanoia hinsichtlich des Neuwerdens der Kirche und ein erneuertes Bewusstsein christlicher Sendung in Bezug auf das Reich Gottes. Fremd sein in der Kirche ist ein Fremd sein für die Kirche – anstelle der ganz anderen. In diesem chaotischen Gefühl der Unsicherheit beginnt bereits etwas Neues.
… eine Gabe, die verbindet, versöhnt und heilt
Das Wandern und Wundern steht in langer Tradition, ist eine Herausforderung, die sich an unzähligen Ecken und Enden in der Kirche ereignet und in komplexen Zeiten regenerative Perspektiven auf das Neue und den Wandel eröffnet. Es kann sich konkret darin äußern, dass sich jemand fragt, warum die eine Stunde am Sonntagmorgen ab 10 Uhr so wenig mit dem Rest der Woche zu tun hat, warum auch kaum mit dem, was um das Kirchgebäude im Dorf oder im Stadtteil passiert. Warum der eigene Musikgeschmack, die eigene Ästhetik, die eigenen Lebensvollzüge so wenig relevant sind für die vorfindlichen Formen kirchlichen Lebens. Warum man in der Kirche andere Tee-Sorten trinkt, andere Dinge isst und überhaupt anders Gastgeber ist, als man das in anderen Bezügen erlebt und selbst vollzieht. Warum man zum Beispiel auch die eigenen pastoralen Angebote selbst kaum wahrnehmen würde und tief im Inneren für irrelevant hält. Warum so wenig Platz in der Gemeinde ist für die eigenen Fragen, Gaben und den Alltag. Warum Dinge „schon immer so“ oder „noch nie derart“ gemacht wurden – oder warum diese beiden Sätze in jedem Fall schon immer gute Argumente waren und noch nie Experimentierfreude geweckt haben.
Bei allen diesen Fragen wird man selten alleine bleiben, wenn man es vermag, sie nicht nur laut zu stellen, sondern achtsam nach Wegen zu suchen, sie als Ansatzpunkte für den Wandel in der Kirche zu sehen. Wie könnte zum Beispiel Gemeindeleben aussehen, das auch unter der Woche und für den eigenen Stadtteil relevant ist. Es gilt dabei nun nicht, die Fremde zu instrumentalisieren, sondern umgekehrt zu fragen, warum sie nicht als Geschenk und Gabe in den bestehenden Gemeinden und kirchlichen Strukturen zur Geltung kommen kann, sofern sie keinem Selbst(verwirklichungs)zweck unterliegt und verantwortungsbewusst gestaltet wird.
Sind jene beispielhaft skizzierten Fragen nicht stellvertretend gestellt für jene, die mit Kirche und Gemeinde nichts mehr oder noch nie etwas zu tun hatten? Stellen die Wandernden und Wundernden aus ihrer Entfremdung heraus nicht die gerade so wichtigen Fragen nach der Relevanz der Kirche und damit eine Verbindung her zwischen der Kirche und denjenigen, die sich ihr nicht mehr verbunden fühlen oder noch nie verbunden fühlten? Bildet jene Fremde nicht dann auch einen Ausgangspunkt für einen Neuanfang zwischen der Kirche und jenen Menschen, in deren Dienst sie steht? Ist dieses Charisma der Fremde dann nicht auch ein Dienst an der Vielfalt, dem ökumenischen Gedanken und ebenso der Sendung der Kirche?
Nicht selten haben jene Wandernden und Wundernden einen intuitiven Zugang zu den unterschiedlichen Arten von Ökumene, ebenso zu historischen Traditionen der Kirche und sind Agentinnen und Agenten für die Versöhnung unter den und innerhalb der Konfessionen. Aus den eigenen Erfahrungen heraus können sie anderen ihr Anderssein zugestehen und Zeugnis ablegen für ein wörtliches Verständnis von Katholizität, welche den Blick auf das Ganze ermöglicht.
Ein weiterer, vielleicht sogar der wichtigste Aspekt im Hinblick auf Versöhnung soll nun diese kleine Einführung abschließen: Freilich gelingt es den Wandernden und Wundernden, mit ihrem Charisma neue Zugänge zum Evangelium und regenerative Formen der Kirche zu entdecken. Und doch ist das Grenzgängertum an den Ecken und Enden der Kirche meist mit Selbstzweifel, mit Scham, mit Einsamkeit und mit viel Ringen, Zaudern und Hadern verbunden. Es vermittelt das Gefühl der Einsamkeit, kostet Kraft und ist nicht nur für die Menschen anstrengend und mühselig, die sich den bestehenden Formen von Kirche verbunden fühlen. Dazu ist es also auch notwendig, die Wichtigkeit dieses Dienstes anzuerkennen, den Wandernden und Wundernden Vertrauen auszusprechen, sie zu stärken, zu begleiten und ebenso in Bezug auf ihre Gabe, ihre Rolle und ihr Charisma für Versöhnung zu sorgen: Umso mehr können sie sich der eigenen wunden Stellen, jener Wunden bewusst werden, die anderen ein Wunder werden können.
Das Buch
In dem vorliegenden Buch nähern wir uns also der hier nur kurz skizzierten Fremde in der Kirche an. Wir glauben, dass damit ein Brückenstein gelegt werden kann hin zu einer neuen Deutung des wandernden Volkes Gottes. Ein Schritt im Einüben einer Kultur des Kirche-Sein, die vom Wandern und Wundern geprägt ist und hoffnungsvoll das Entstehen und Werden von Kirche ins Gespräch und mit Bestehendem und Ererbtem in Verbindung bringt – Vielfalt ist dabei Wortschatz, die Sendung der Kirche Grammatik des Diskurses.
Ökumene findet sich dabei auf allen Ebenen und in vielerlei Dimensionen: nicht nur in den Erfahrungen unterschiedlicher konfessioneller Hintergründe und Berufungen, sondern auch im Zusammenhang mit unterschiedlichen Aggregatzuständen der jeweiligen Kirchenentwicklung. So sind sie auch als fragmentarische Momentaufnahmen im Prozessgeschehen zu verstehen, die zu großen Teilen fragil und in hohem Maße vergänglich aufmerksam machen auf konkrete Facetten der Veränderungsprozesse der Kirche. Daher lassen sich die Aufsätze untereinander kaum vergleichen und sind exemplarisch für einen Teil von gemachten