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Geist & Leben 4/2017


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ihm gründete er einen Club der Naturfreunde: Das Interesse an der Naturwissenschaft trieb ihn zeitlebens um.

      Mit vierzehn Jahren machte er zwei spirituelle Erfahrungen, die ihn im Innersten bewegten. In der Liebfrauenkirche von Neuenburg, in die er sich öfters zurückzog, überkam ihn am 8. Dezember 1911, dem Fest der Gnadenwahl Mariens, eine jähe Ahnung des „schöpferisch Jungfräulichen“: „Ich empfand einen betörenden Ruf, der mein Leben umstülpte.“ Die zweite Erfahrung schenkte ihm die Begegnung mit einem protestantischen Schulkameraden, der in ärmlichen Verhältnissen lebte, eifrig die Bibel las, sein Zimmer mit Zitaten aus dem Johannes-Evangelium schmückte, aber aus wirtschaftlichen Gründen nicht studierendurfte. Gemeinsam diskutierten sie über die Lebensbedingungen der Armen, über die Bergpredigt und die Seligpreisungen. Erschüttert musste Maurice dann erfahren, dass der Freund sich in seiner Ausweglosigkeit das Leben genommen hatte.

      Inmitten dieser protestantischen Umwelt entwickelte er die Absicht, katholischer Priester zu werden. Als Vorbereitung auf das Seminar verbrachte er zwei Jahre, 1913 bis 1915, an der Klosterschule Einsiedeln, wo er die Matura in deutscher Sprache bestand. Hier erlebte er, wie er oft betonte, „die glücklichste Zeit“ seines Lebens. „Einsiedeln wurde mir zur Seelenheimat.“ Er liebte die getragene Liturgie, das Schweigen der Mönche, das elegische Salve Regina vor der Schwarzen Madonna, die barocke Üppigkeit, die klare Landschaft im finsteren Wald. Unter dem Namen „Bruder Benedikt“ wurde er Benediktiner-Oblate.

       Das Nein des Bischofs und zwanzig Jahre Pilgerschaft

      Es folgten Studien am Priesterseminar. Nur mit Mühe ertrug er die Neuscholastik, die ihm das Göttliche in ein Verlies einzuriegeln schien. Bereits 1919, mit 22 Jahren, wurde er zum Priester geweiht und in eine Genfer Pfarrei geschickt. Der junge Vikar machte schon bald auf sich aufmerksam. Er kritisierte das herkömmliche Gottes- und Menschenbild, setzte im Religionsunterricht auf „profane Autoren“ statt auf den Katechismus, diskutierte mit Jugendlichen über gesellschaftliche Fragen, über die Ehe, über geschlechtliche Erziehung. 1921 veröffentlichte er einen Artikel über das Frauenstimmrecht, das in der Schweiz erst 1971 eingeführt wurde. So durchbrach er das erlernte „theologische System“ – bis ihn ein argwöhnischer Mitbruder bei Bischof Marius Besson (1876–1945) anschwärzte. Dieser verwehrte ihm ab 1925 jede Seelsorge im Bistum: Er sei ein Querdenker und Freibeuter, „und die Kirche liebt Freibeuter nun einmal nicht sonderlich“. Zundel schloss seinen Abschiedsgottesdienst mit Jugendlichen mit den Worten: „Betet, betet, dass ich den Glauben nie verliere.“ Und mit dem bitteren Zusatz: „Auf alle Fälle ist es besser, durch die Kirche selbst zermahlen zu werden, als außerhalb.“

      Der Bischof schickte ihn zuerst an die thomistische Hochschule Angelicum in Rom, damit er dort seine Theologie „nachfasse“. Zundel wählte Philosophie und schrieb eine Doktorarbeit über den Einfluss des Nominalismus auf das christliche Denken. Von Rom aus veröffentlichte er 1926 unter dem Namen „Bruder Benedikt“ sein erstes Buch Le Poème de la sainte Liturgie. Nun hoffte er auf eine neue Aufgabe im Heimatbistum. Aber der Bischof hintertrieb ihm hier jede pastorale oder akademische Tätigkeit. Es ergab sich ein Exil – bis zum Tod des Bischofs. Freunde vermittelten dem Verbannten 1927 eine Anstellung in Paris, zuerst als dritter Vikar in der Pfarrei Charenton. Da meinte er, vor innerer Austrocknung sterben zu müssen. Später wird er diese Nacht als grausame Erfahrung preisen. „In dieser Zeit erfuhr ich, bis in die Höhle meines Fleisches hinein, das Schweigen, die Armut, das Kreuz. Ich erfuhr, dass ich selber meinen eigenen Weg im Denken und Handeln finden musste. Ohne diese Phase des Absterbens wäre ich nie so weit gegangen.“ Nach sechs Monaten wurde er Kaplan bei den Benediktinerinnen der Rue Monsieur. Hier begann er wieder zu atmen. Es ergaben sich Freundschaften, vorab mit dem Mailänder Giovanni Battista Montini, dem späteren Papst Paul VI. (1897–1978). Dieser erkannte in ihm „ein Genie als Dichter, als Mystiker, Schriftsteller und Theologe, und dies alles aus einem Guss, mit Geistesblitzen“.

      In dieser Zeit machte Maurice Zundel die spirituelle Grundentdeckung seines Lebens. Anhand der Gestalt des Franz von Assisi erlebte er die „Armut“ als Lebensimpuls von allem: das Loslassen, das Leer-Werden, die Sehnsucht über sich selbst hinaus. Auch das Göttliche ist Leere. „Im Licht der Leere ist die Inkarnation, das Geheimnis Jesu und das Geheimnis der Kirche zu lesen.“ Zundel ermaß die Folgen. „Alles galt es zu ändern, alles in Frage zu stellen: die gesamte Bibel, die gesamte Überlieferung, die gesamte Liturgie, die gesamte christliche Moral, die gesamte Philosophie, das gesamte Verständnis von Erkenntnis und Wissenschaft, von Eigentum und Recht, auch das gesamte Verständnis von Hierarchie.“ Alles war umzudrehen, von außen nach innen.

      Der Pilgerweg setzte sich fort. Zundel wurde Kaplan bei den Assumptionisten in London, wo er mit Sympathie den Anglikanismus studierte. Aber er wollte in die Schweiz zurück. Es gelang ihm, hier die Aufgabe eines Kaplans an einem Mädchenpensionat zu erhalten. Doch kaum da, winkte der Bischof ab. Eine Schule des gleichen Frauenordens bei Paris nahm ihn auf, ebenfalls als Kaplan. Hier entstanden drei Bücher: 1934 das vollständig überarbeitete Le Poème de la sainte Liturgie, 1935 Notre Dame de la Sagesse (Unsere Liebe Frau von der Weisheit) und 1935 L’Évangile intérieur (Das innerliche Evangelium). Das letztere waren 15 Betrachtungen, die er vom Juli bis Oktober 1935 im Radio Luxemburg gehalten hatte.

      Von Paris aus fuhr Zundel 1937 für ein Studienjahr an die Bibelschule der Dominikaner in Jerusalem. Dort widmete er sich Hebräisch- und Griechischstudien sowie neueren Fragestellungen der Exegese. Wieder in Paris, veröffentlichte er 1938 ein neues Buch: Recherche de la personne (Suche nach der Person). Auf Geheiß des Heimatbischofs wurde es aus dem Handel gezogen. Es behandle Fragen um Ehe und Liebe auf zu realistische Art. Das schicke sich nicht für einen Priester.

      Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wollte er erneut in der Schweiz Fuß fassen. Er fand Unterkunft im Glockenturm von Bex im Kanton Waadt. Aber da ihn der Bischof in der Arbeitslosigkeit beließ, hörte er auf den Ratschlag von Freunden und zog nach Kairo, wo ihm der Karmel Matarieh Herberge bot und mannigfache pastorale Dienste in Ägypten ermöglichte. Hier begegnete er auch dem Islam, las den Koran, lernte Arabisch. Er verkostete islamische Mystiker, insbesondere Al-Hallädsch (857–922), der von sich gesagt hatte: „Ich selbst bin die Wahrheit“ und deswegen als Irrlehrer hingerichtet und gekreuzigt wurde.

       Das Ja des Papstes und internationale Anerkennung

      Bischof Marius Besson verstarb 1945. Maurice Zundel konnte endlich heimkehren, wurde „Hilfspriester“ in Lausanne und wirkte von hier aus bis zu seinem Tod als Prediger, Vortragsredner, Schriftsteller und spiritueller Meister im In- und Ausland. Hoch geschätzt waren seine „schweigende Seelsorge“ und sein brillantes Wissen in Philosophie, Literatur und Naturwissenschaft. Freilich, er blieb umstritten. Noch in den 1960er Jahren wurde uns in der Westschweiz nahegelegt, seine Vorträge und Schriften zu meiden.

      Da trat Giovanni Battista Montini auf den Plan. Er war, wie erwähnt, Zundel Ende der 1920er Jahre in Paris begegnet. Er las seine Schriften und trug sich nun als Papst mit dem Gedanken, ihm die Kardinalswürde zu verleihen, „zum Dank für die neuen Wege, die er dem christlichen Denken eröffnet hat“. Dies verbürgt Ambroise-Marie Carré (1908–2004), Theologe und Schriftsteller aus dem Dominikanerorden, Mitglied der Gelehrtengesellschaft Académie française.3 Er hielt im Februar 1965, gegen Ende des Konzils, im Vatikan die Vorträge für die Fastenexerzitien. Dabei teilte ihm der Papst seine Absicht mit. Aber Carré meinte, Zundel würde die Verpflichtungen, die mit diesem Titel verbunden sind, eher peinlich und lästig finden. Mit Genugtuung hingegen würde er wohl, wie er selbst jetzt, hier die Fastenexerzitien predigen. Der Papst behielt Zundel im Auge. Er ließ ihn im Februar 1967 bitten, „ein Buch über die religiöse Problematik unserer Zeit“ zu schreiben. Er wies in der Enzyklika Populorum progressio über den Fortschritt der Völker vom 26. März 1967 und in seiner Ansprache am Internationalen Thomisten-Kongress 1970 in Rom ausdrücklich auf ihn hin – und lud ihn 1972 tatsächlich als Exerzitienmeister ein. Diese Vorträge erschienen ein Jahr nach seinem Tod unter dem Titel Welcher Mensch und welcher Gott? Es war sein 21. Buch.

      Zur internationalen Anerkennung zählt auch die Rezeption im deutschen Sprachraum. Das betrifft vorab das Liturgiebuch, in den 30er Jahren das bekannteste Buch Zundels. Kein Wunder, dass die Liturgische