sowie den Sold- und Uniformierungsbestimmungen (§ 3) befasst haben, beschäftigen sich (mit Ausnahme von §10) sämtliche restlichen Paragrafen der Instruktion von 1804 entweder direkt oder indirekt mit dem Hauptauftrag der Vaganten- und Bettlerverfolgung: Freihaltung des Kantons (§4), Zuständigkeitsdistrikte (§5), Postenwechselbestimmungen (§ 6) und Aufforderung zu einer «allgemeinen Jagd» nach dem Postenwechsel (§ 7), genaue Standorte der jeweiligen Posten (§8), Unterstreichung der Bedeutung ordnungsmässiger Pässe (§ 9), Verfolgung der in den Signalementen gesuchten Verbrecher (§ 10), Koordination betreffend Zuweisung der Bettler in die Richtung der Grenzen ihrer Herkunftsländer (§ 11), Unterstützungspflicht der Gemeinde- und Gerichtsobrigkeiten (§12), Rapportpflicht (§13), Aufsichtspflicht des Landammanns oder des ersten Gerichtsvorstehers (§ 14) sowie Dienstvergehen und deren Bestrafung (§ 15).111
Diese erste Landjägerinstruktion nun wurde nebst dem Hauptauftrag durch ein weiteres Tätigkeitsfeld ergänzt. Dabei handelte es sich um den Auftrag an die auf den Zollstationen in Martinsbruck, Castasegna und Splügen und auf der St. Luzisteig stationierten Landjäger, den Zolleinnehmern in ihren Verrichtungen zu helfen.112 Widersprüchlich ist in diesem Zusammenhang einzig das Jahr der definitiven Aufbietung der Landjäger am Grenzzoll (im Sinn ihrer festgeschriebenen Hauptverwendung für diesen Dienst): Eine spezielle Instruktion für diese Landjägergruppe findet sich 1806 im Protokoll des Kleinen Rates.113 Demgegenüber sprach der spätere Standeskassier Florian Nett in einer wesentlich später verfassten Stellungnahme betreffend Bekleidung und Beaufsichtigung der Landjäger vom «Jahr 1807. wo die ersten Landjäger, namentlich als Assistenten für die Zollposten angestellt wurden».114
Das Dingfestmachen von Verbrechern schliesslich war ein drittes Tätigkeitsfeld, welches bei einheimischen Gesetzesbrechern erst nach Aufforderung der Gerichtsvorsteher erfolgen konnte. Die Kantonsbehörden durften die Landjäger insofern, und dies gilt es besonders zu unterstreichen, nur dann zur Verhaftung aufrufen, wenn es sich um ausgeschriebene ausländische Gesetzesbrecher (Signalemente) handelte oder wenn ein Gericht zu einer Verhaftung eines Angehörigen aufgerufen hatte.115
Die drei in der ersten Instruktion beschriebenen Tätigkeitsfelder entsprechen in der Ahlf’schen Umschreibung der Polizeikultur insofern den harten Faktoren, als es sich um typische polizeiliche Handlungen handelte. Schnell sollte sich zeigen, dass diese Felder insbesondere während der Mediationsphase durch eine Vielzahl von administrativen Verrichtungen, bei denen die Polizeibeamten als Handlanger der Regierung und als Scharnierstelle zwischen dieser und der Bevölkerung fungierten, begleitet wurden. Entscheidend war hierbei einerseits der Zeitfaktor, da die Landjäger das kleinrätliche Anliegen schneller zur Exekution bringen konnten, als dies über den üblichen Briefverkehrsweg möglich gewesen wäre. Andererseits waren die Polizeibeamten in personifizierter Übermittlungsform aber auch zur unmittelbaren Lösung des Sachverhalts vorteilhaft, gerade wenn es zusätzlicher Auskünfte bedurfte und der Landjäger diese gemäss Einschätzung seiner Auftraggeber einzuholen imstande war.116 Diese administrativen Verrichtungen für den Kleinen Rat indes scheinen mit dem wachsenden (und sich diversifizierenden) kantonalen Institutions- und Beamtenapparat nach der Mediationsphase tendenziell abgenommen zu haben.117
Hinzu kamen jedoch neue Aufgaben im Zusammenhang mit dem 1817 neu errichteten kantonalen Zuchthaus Sennhof, mit der 1840 eröffneten Zwangsarbeitsanstalt Fürstenau (Beaufsichtigung der Zuchthaus- bzw. Arbeitsanstaltsinsassen) sowie Verkehrs-, Gesundheits-, Gewerbe- und andere polizeiliche Bestimmungen der folgenden Jahrzehnte, welche eine langsame, aber schleichende Zuständigkeitserweiterung der Landjäger auf die einheimische Bevölkerung erkennen lassen.118 Durch die äusserst föderalistische Struktur des Kantons Graubünden und die Abhängigkeit der obersten Landespolizeibehörde von der Aufsicht und Unterstützung der Landjäger durch die Ortsobrigkeiten fielen dem Bündner Polizeisystem auch von dieser Seite zusätzliche Handlungsfelder zu. In der Regel wurden die damit verbundenen Tätigkeiten nicht speziell entgolten. Eine Ausnahme bildeten zuweilen spezifische Aufgebote, welche von den Auftraggebern nach expliziter Anfrage an das Verhörrichteramt erfolgten. Ein Beispiel etwa ist die Vergütung durch den Besitzer eines Churer Gasthauses für die während zwei Bällen am Churer «Fasching» dienenden Landjäger Casper Sprecher, Simeon Fleisch und Stephan Clavadetscher. Der Gastwirt Alexander Risch hatte gemäss Notiz des Verhörrichters die drei Landjäger mit total fünf Gulden119 entlöhnt, welche dann unter diesen aufgeteilt worden seien. Deren Verpflegung sei darüber hinaus unentgeltlich im Gasthaus erfolgt.120 Ein analoges Beispiel ist auch für das Jahr 1826 belegt, als die Landjäger Joseph Casparin, Joseph Maculin, Sixtus Seeli, Hercules Derungs d. Ä. und Casper Sprecher von Bundsstatthalter Melchior La Nicca für die am «Fasching» durchgeführten Wachen entschädigt wurden.121
5 Landjägerreglement, 1840. Auszug aus der Amtlichen Gesetzessammlung des Kantons Graubünden.
Diese bereits früh stattfindende und durch die lokalen Machtgewalten von oben erfolgende Implementierung von Organisationsstrukturen erfuhr schliesslich in späteren Instruktionen eine partielle Legitimierung. Sie wurde durch resümierende Paragrafen festgehalten, welche ihrerseits jedoch eher vage formuliert waren. So sah die Instruktion von 1813 vor, dass die Landjäger nebst der Befolgung der
«in der […] allgemeinen Instrucktion enthaltenen Pflichten […] den betreffenden Gerichts-Obrigkeiten so weit untergeordnet [seien], dass sie die Aufforderungen, welche dieselben in Criminal oder Polizey-Angelegenheiten an die Landjäger ergehen zu lassen veranlasst [seien], unhinterstellige Folge zu leisten [hätten]».122
Letzten Endes handelte es sich bei der Einbindung dieses Wortlauts in einen Artikel um den Versuch, die Akzeptanz des Polizeikorps bei den lokalen Obrigkeiten zu erhöhen.123
2 Organisatorische Bestimmungen
Wenn nach den organisatorischen Bestimmungen gefragt wird, so genügt es nicht, einen kurzen Abriss über die entsprechenden Paragrafen innerhalb der jeweiligen Instruktionen zu geben. Zwar soll das Augenmerk hauptsächlich auf ausgewählte Themen gerichtet werden, die in den Instruktionen als bedeutsam zu betrachten sind. Unter dem Begriff des formal-normativen Polizeisystems ist aber explizit nicht ein plakativ publiziertes Polizistenregelwerk zu verstehen. Dieses formale Organisationssystem ist zu umfassend, um anhand einer 16-seitigen Instruktion wie derjenigen von 1840 abgedeckt zu werden. Deshalb müssen die Instruktionsverfügungen den dazu passenden (Alltags-)Korrespondenzen zwischen den Landjägern und dem Leitungsgremium gegenübergestellt werden. Dabei sind es vor allem die Routineentscheidungen in den Führungsetagen, denen eine grosse Bedeutung beigemessen wird. Mit Routineentscheidungen sind ausdrücklich und selbstredend keine Einzelfälle gemeint. Im Folgenden werden die zu untersuchenden organisatorischen Bestimmungen nach thematischen Gesichtspunkten durchschritten.
6 Chur, vor 1835. Aquatinta von D. A. Schmid, C. Burkhardt. Im Vordergrund das kantonale Gefängnis mit dem Sennhofturm, im Hintergrund vor der Martinskirche und mit sieben Mansardenfenstern der Untere Spaniöl, die Wohnstätte des Verhörrichters und Polizeidirektors Baron Heinrich de Mont.
2.1 Hierarchieverhältnisse
Sobald über die Organisation einer Institution gesprochen wird, taucht die Frage der Hierarchie auf: Wer entscheidet über wen? Wer hat welche Kompetenzen? Wer muss ausführen? In einem militärisch geführten System wie dem Polizeikorps spielten solche Hierarchiefaktoren eine nicht zu vernachlässigende Rolle, denn sie hatten mitunter entscheidenden Einfluss auf die darin vorkommenden Beziehungsstrukturen und Prozesse.
Transferiert auf das Bündner Landjägerkorps 1818–1848 sind betreffend Hierarchieverhältnisse insbesondere drei Differenzierungsebenen zentral: Erstens interessieren die sogenannten Dimensionen der Einflussnahme (politisch-exekutiv-instruierend sowie militärisch-disziplinarisch). Zweitens ist die Unterscheidung zwischen der Adresse der Auftraggeber (Kantons- und Lokalbehörden) bedeutsam. Drittens gilt es, die drei