Martín Camenisch

" Hoch Geachter Her Verhörrichter …"


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Untersuchung in erster Linie auf die letztgenannten beiden Gruppen gerichtet ist. Dies liegt mitunter daran, dass diese Landjäger den Faktor der Gerichtsautonomie am stärksten zu spüren bekamen und diesbezüglich im wahrsten Sinne des Wortes zwischen den Fronten standen. Dabei muss ergänzt werden, dass der Begriff Laufposten als zeitgenössische Bezeichnung aus dem Quellenmaterial übernommen wurde und spätestens gegen die Jahrhundertmitte verbreitet gewesen zu sein scheint.124

      Im Zusammenhang mit dem oben erwähnten Hauptauftrag zeigt sich, dass der Kleine Rat (die Regierung) als leitendes Gremium des Landjägerkorps fungierte. Diese Funktion, die der Kleine Rat seit Entstehung des Korps (1804) innehatte, wurde gemäss Kantonsverfassung von 1814 auch nach Einberufung des Verhörrichters im Herbst 1817 weiterhin beibehalten. Die Regierung fungierte nach dessen definitivem Antritt im Juli 1818125 jedoch nur noch als oberstes Entscheidungsgremium und war folglich nicht mehr für die täglichen Verrichtungen und die disziplinarische Aufsicht der Polizeibeamten zuständig. Entscheidend war in erster Linie der Wunsch nach Professionalisierung des Polizeiwesens, da der Kleine Rat mit den sonstigen Regierungsgeschäften vollkommen überlastet war.

      Mit dem erwähnten Verhörrichter konnte das Korps einem eigens dafür verantwortlichen Kantonsbeamten übertragen werden.126 Die damit verbundene Professionalisierungsabsicht der obersten Kantonsbehörden wird nicht zuletzt auch am Werdegang des neugewählten Verhörrichters ablesbar: Der zur Zeit der Wahl 30-jährige Heinrich de Mont war am 13. Februar 1788 auf Löwenberg bei Schluein in der Surselva geboren worden und dann im Alter von zehn Jahren mit seiner Familie nach Fürstenburg bei Burgeis ins Tirol gezogen, wo sein Vater, Baron Peter Anton Moriz de Mont (1766–1830), auf der Residenz des Churer Bischofs als Schlosshauptmann amtete.127 Es folgten Gymnasialstudien in Meran und das Studium der Rechtswissenschaften in Innsbruck und Landshut. Nach eineinhalbjährigem Praktikum beim Landgericht Ingoldstadt bestand de Mont 1811 die Staatsprüfung als Jurist in München. Daselbst war er bis 1814 zuerst als Assistent des Stadtgerichts und danach beim Bayrischen Oberappellationsgericht angestellt. Unmittelbar vor seinem Dienstantritt im Juli 1818 fungierte Heinrich de Mont als Adjunkt am Landgericht Klausen bei Bozen im damaligen Tirol.

      In seiner neuen Funktion als Verhörrichter blieb de Mont bis zur Reorganisation der Polizeileitung 1845/46 in den allermeisten Fällen Leiter des operativen Geschäfts und zentrale Weisungsinstanz.128 Danach ging diese Funktion auf den neu geschaffenen Posten des Polizeidirektors über, den der bisherige Verhörrichter Heinrich de Mont als erster Vertreter bekleidete. Mit dem neuen Posten, welchen de Mont persönlich vorgeschlagen hatte, 129 wurde die Ausgliederung des Polizeiwesens aus der Verfügungsgewalt des Verhörrichteramtes beabsichtigt, da sich der neu zu wählende Verhörrichter (gewählt wurde als Nachfolger de Monts der Untervazer Georg Orion Bernhard) nach enormem Zuwachs in allen Verwaltungsdomänen und nach dem Willen des Grossen Rates künftig nur noch auf die Funktion eines Untersuchungsrichters konzentrieren sollte. Durch die Aufspaltung übernahm der erste Polizeidirektor des Kantons Graubünden insbesondere auch die grosse Abteilung betreffend Einvernahme der Heimatlosen mit all den damals definierten Lösungsansätzen zur Verminderung des Heimatlosenwesens. Grund dafür war einerseits die Tatsache, dass die Landjäger durch ihren Hauptauftrag sehr stark in diese Abteilung involviert waren, und andererseits der Umstand, dass der neue Polizeidirektor Heinrich de Mont dieses Fach während seiner Zeit als Verhörrichter massgebend ausgebaut und geprägt hatte.

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      7 Landjägerposten im Kanton Graubünden, um 1841.

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      De Mont wurde während seiner ganzen Amtszeit (1818–1848) von den Landjägern entweder mit Verhörrichter/ Polizeidirektor oder wegen seines auf den Besitz der Löwenberg in Schluein verweisenden Adelstitels mit Herr Baron angesprochen. Er war mit Ausnahme der Wahl neuer Landjäger, für die er der Regierung einen Vorschlag unterbreiten konnte, 130 für sämtliche Organisationsfragen des Landjägerkorps zuständig. Eine Ausnahme bildete der teilweise ausgegliederte Bestand der Landjäger an den Grenzposten. Diese Polizeibeamten waren durch ihre Aushilfsfunktion für die Zolleinnehmer auch denselben unterstellt. Da die Zolleinnehmer durch die generierten Einnahmen zugunsten der Staatskasse ihrerseits dem Standeskassier unterstellt waren, galt dieser Untergebenenstatus, was ihre Tätigkeit am Zoll betraf, entsprechend für die Landjäger an den Grenzposten. Anderweitig, das heisst betreffend übrige polizeiliche Verrichtungen, waren die Landjäger am Grenzzoll weiterhin dem Verhörrichter (ab 1846 dem Polizeidirektor) unterstellt, womit gleichzeitig auf ein starkes Konfliktpotenzial, welches über die ganze Untersuchungszeit für Streitigkeiten sorgte, verwiesen sei; die davon betroffenen Parteien waren insbesondere der Standeskassier und der spätere Oberpolizeibeamte (Verhörrichter bzw. Polizeidirektor) in der Leitungsetage sowie die Zolleinnehmer und die verschiedenen Landjäger auf einer tieferen Hierarchiestufe.

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      8 Baron Heinrich de Mont (1788–1856), Verhörrichter (1818–1845) und Polizeidirektor (1845–1848) des Kantons Graubünden.

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      9 Hierarchieverhältnisse im Bündner Polizeisystem 1804 bis 1848.

      Die für die Tätigkeit am Grenzzoll bestimmten Landjäger durfte der Standeskassier aus dem bestehenden Landjägerkorps auswählen, wodurch er sich die Freiheit nehmen konnte, die tauglichsten und besten Polizeibeamten zu selektieren:

      «Die Wahl der Zollpostlandjäger steht […] einem jeweiligen Standescassier laut Groß Raths-beschluß, aus dem Landjägercorps, frei, und zwar aus guten Gründen, weil da nicht auf Ancienität, Gunst oder Ungunst, sondern auf Tüchtigkeit, und Rechtschaffenheit gesehen werden muß.»131

      Zwischen den Landjägern am Grenzzoll und denjenigen auf den sogenannten Laufposten bestand kein gesetzliches Hierarchieverhältnis.

      Ab 1811 war mit den Grenz- und Passkommissären, welche für die Visierung fremder Reisepässe, deren Vergabe an einheimische Bürger sowie für Patente zuständig waren, eine zusätzliche Beamtengattung aufgestellt worden.132 Bezüglich Zusammenarbeit sowie Hierarchieverhältnis zwischen den neuen Kantonsbeamten und den Landjägern war in der kleinrätlichen Verfügung nichts erwähnt worden. Ihr Aufgabengebiet überschnitt sich jedenfalls markant, weil die Landjäger fremde Aufenthalter, denen die Visierung oder Erteilung eines Reisepasses durch die Passkommissäre verwehrt worden war, über die Grenze zu führen hatten:

      «Alle verdächtige Fremde[,] welche keine oder ausgeloffene Päße haben, alle unpatentirte Hausierer, alle Vaganten, Landstreicher und Bettler haben [die Landjäger] anzuhalten, dem Grenzbeamten zur Untersuchung ihrer Papiere vorzustellen, benöthigten Falls beÿ demselben mit einem Laufpaß versehen zu laßen, und dann an die nächsten Polizeÿ-Diener zur Weiterschaffung zu überliefern.»133

      Bei den Kommissären handelte es sich oftmals um Mitglieder der lokalen Obrigkeit, welche diesen Auftrag nebenamtlich versahen. Diese Eingebundenheit in lokale Machtverhältnisse war denn auch der Grund dafür, dass die Amtsausführung der Kommissäre nur marginal verfolgt und höchstens von Chur aus gerügt wurde.134 Trotz Instruktionsreformen konnte dieser Missstand bis in die 1840er-Jahre nicht behoben werden. Einen allmählichen Umschwung bedeutete dann die im Zusammenhang mit der Fremdenpolizeiordnung verfügte Aufstellung zusätzlicher Kommissäre im Innern des Kantons, das heisst nicht an dessen Grenzen, wodurch alle Mitglieder dieser Gattung nunmehr als Polizeikommissäre tituliert wurden.135

      Zwar nahmen einige wenige Kommissäre die Stelle später nicht an, jedoch verdeutlicht der Vergleich der Titulierungen (u. a. Arzt, Leutnant, Oberstleutnant, Hauptmann, Major, Landammann, Geschworener, Statthalter, Bundsstatthalter), welche Personen die Regierung für dieses Nebenamt auserkoren hatte. Im Zusammenhang