Je militärischer das Polizeisystem strukturiert war, desto wichtiger war dieser Faktor: Der Militärsoldat kommunizierte vergleichsweise seltener verbal mit seinem Feind, wohingegen der Polizeibeamte früher oder später auf einen gewissen Grad kommunikativen Austauschs mit seinem Gegenüber angewiesen war. Ob der Polizeidiener nun Feind oder Verbündeter war (und es muss, wie sich im Verlaufe vorliegender Untersuchung noch mehrfach zeigen wird, nicht weiter ausgeführt werden, dass er beides verkörpern konnte), spielte letztlich eine sekundäre Rolle. Er hatte dem Gegenüber, das nicht zu seiner Bezugsgruppe gehörte, durch seine Uniformierung einen schnellen Anhaltspunkt zu geben, der bei demselben dann eine (erwünschte) Reaktion auslösen sollte: Der angegangene Heimatlose oder fremde Arbeiter sollte im Fall eines nahenden Landjägers bereits vor Beginn der Ansprache wissen, wer dieser war. Diese nonverbale Kommunikation ging selbstredend über allenfalls vorhandene Sprachbarrieren hinaus. Zu mehreren dieser in der untenstehenden Tabelle aufgelisteten positiven Bedeutungsdimensionen nun finden sich im untersuchten Quellenmaterial entsprechende Beispiele. Zu einigen anderen der tabellarisch aufgeführten positiven Nebeneffekte des intendierten Polizeisystems sind keine Belege zu entdecken. Angesichts ihrer Universalität innerhalb des Polizeiwesens und als Folge der Uniformierungstradition, bei der auch Uniformierungsaspekte aus dem Militärwesen übernommen wurden, sind sie jedoch als sogenannte systembildende Konstanten zu bezeichnen. Diese positiven Nebeneffekte sind bezüglich ihres Sinngehalts in der Ideologie des formalen Polizeisystems zu sehen, denn sie entsprachen weitgehend den Zielen der Führungsgremien und dürften im Hinblick auf den Polizeialltag naturgemäss als vorwiegend dienlich gewertet worden sein.
14 Landjäger Kaspar Branger (1809–1884) von Saas im Prättigau.
15 Symbolische Bedeutungsdimensionen der Polizeiuniformierung.
Die gegenüber der Öffentlichkeit unterstrichene einheitliche Uniformierung als (1) Tradition einer militärischen Institution erfolgte im Bündner Landjägerkorps vergleichsweise spät. Eine einheitliche Ausrüstung als wesentliches Merkmal militärischer Organisation wurde erst 1837 durch den Grossen Rat gutgeheissen und vom Kleinen Rat per Januar 1838 in Kraft gesetzt.186 Die Akzentuierung des Landjägers als (2) Vertreter und Befugter des Kantons wird im Quellenmaterial beispielsweise in den Stellungnahmen des Standeskassiers beziehungsweise Zeughausinspektors erkennbar: 1837 hiess es, der Tschako sei mit der «Kantonscocarde» und einem «kleinen Schild» mit den Initialen «C. GB.» für ‹Kanton Graubünden› versehen.187 Die (3) Vermittlung von Ordnung und Disziplin (u. a. auch zwecks Vertrauens- und Sicherheitsgefühl im Volk) wird beispielsweise im Entscheid des Kleinen Rates, wonach Landjäger nie in zivilen Kleidern auftreten sollten, ersichtlich.188 Die (4) rasche Unterscheidung nach Verbündetem/Feind ergibt sich als logische Konsequenz der letztgenannten Punkte. Beim (5) Schutz der eigenen Persönlichkeit ging es, mit den treffenden Worten eines in Behrs Studie vernommenen Polizisten, weniger um die «Herstellung einer Rollendistanz», sondern vielmehr um die «Vergewisserung», dass der Polizeibeamte «sich nicht persönlich angesprochen fühlen musste», da allfällige Beleidigungen vielmehr «auf seine Rolle als Repräsentant des Gewaltmonopols» gezielt hätten.189 Die Bedeutung der (6) Respekteinflössung ist gemäss Wirsing vergleichbar mit einer «Form von symbolischer Gewalt, die den Einsatz von physischer Gewalt entbehrlich machen sollte».190 Die (7) rasche Erkennung der Militärhierarchie war eine Bedeutungsdimension mit vergleichsweise langer Tradition. Dass gerade diese an der Uniform ablesbare Rangordnung unterstrichen und auch so von den Landjägern rezipiert wurde, zeigt sich in einem Rapport des Feldweibels Nikolaus Hartmann an den Verhörrichter. Die Uniform des Feldweibels war offenbar normalerweise mit einer speziellen «Schnur» versehen. Der etwas verwirrte Feldweibel erkundigte sich nun nach Erhalt der neuen Uniform im März 1840, weshalb diese «Schnur» darauf nicht angebracht sei:
«[…] dan mus ich Sie fragen ob man mich entehrt, namlich entsezt habe, weil man mir keine Schnur auf den Rok getan hat, es were mir Leid, ich glaubte es nicht verdient zu haben, besonders weil man mir die Goldporten bereits 30 Jahre, im Ihn u. Auslande so zu sagen ununterbrochen gegeben hat».191
Die von den Leitungsgremien gegen innen erwünschte und gerade auch durch das Tragen der Uniform hervorgerufene (8) Identifikation mit dem System wird als solche nicht direkt angesprochen, ergibt sich jedoch als logische Konsequenz eines intendierten Polizeisystems. Inwiefern dazu ergänzend innerhalb des Bündner Landjägerkorps eine Identifikation kraft Machtgefühl vorhanden war, soll in einem späteren Abschnitt zum Polizeialltag erörtert werden.192 Ein weiterer Symbolisierungsfaktor war die (9) Selbstsicherheit durch Zugehörigkeitsgefühl. Der Zusammenhang zwischen Uniform und Selbstsicherheit zeigt sich, obwohl von den Führungsorganen nicht explizit so erklärt, am Beispiel des Landjägers Jakob Jecklin, der seinen Sohn offenbar in Armatur und Uniform Gefangene transportieren liess.193 Gegen innen stärkte die Uniformierung das Selbstbewusstsein und den Mut des Trägers. Hinzu kam die Aussenwirkung dieser Symbolik, mit der Respekteinflössung und nicht zuletzt auch Befugnislegitimierung intendiert wurden. Schliesslich bildete das (10) Pflichtbewusstsein eine überaus relevante Bedeutungsdimension, da in Uniform das Wegschauen weniger gut möglich war. Beispielsweise forderte der Verhörrichter den um Urlaub anfragenden Landjäger Martin Casanova auf, sich bei seiner Heim- und Rückreise in Uniform fortzubewegen.194
Es mag nun Schicksal dieser symbolischen Uniformierung sein, dass jeder der intendierten Aspekte der Uniformierung auch eine dem Desiderat der Polizeiführung entgegengesetzte, aus ihrem Blickwinkel betrachtet negative Bedeutungsdimension besitzt. Dabei verkommt die Symbolik gewissermassen zum attributiven Hilfsmittel unerwünschter Ziele und im Sinn der Kontingenz zum negativen Nebeneffekt dessen, was das Polizeisystem eigentlich erreichen möchte: Ein Verfolgter etwa konnte sich dank rechtzeitiger Identifikation des Polizeibeamten einen Fluchtvorteil verschaffen, der militärisch Untergebene konnte sich einem nahenden Ranghöheren entziehen oder ihm den Gehorsam verweigern. Diese beiden Beispiele verdeutlichen, dass die Exposition aus Sicht des formalen Polizeisystems sowohl Vor- als auch Nachteile hatte. Letztlich aber wurde in der Praxis, was sich auch in der Beibehaltung der Uniformierungspflicht ausdrückt, der positive Faktor erwartungsgemäss als gewichtiger eingestuft. Dies hängt insbesondere auch mit der Legitimierungsfrage zusammen und kann als Schutz zugunsten des einfachen Bürgers gewertet werden, denn dieser sollte erkennen, dass eine Amtsperson mit besonderen Zugriffsrechten zugegen war. Nicht zuletzt hatte die Uniformierung begünstigenden Einfluss auf das gegen aussen gerichtete Gruppenbewusstsein. Aber auch hier kann, analog zu oben, auf dessen Kehrseite verwiesen werden: Gruppenbeziehungsweise Korpsmitglieder, die sich mit der Gruppe nicht mehr identifizieren konnten, strebten den Verzicht auf die expressive Symbolik der Uniform an. Dies verweist indirekt auch auf die zweite Bedeutungsdimension der Uniformierung: Die von oben intendierte Identifikation mit der Uniform konnte Schaden erleiden, womöglich gar nicht erst zustande kommen, wenn der Polizeibeamte sich mit der Arbeit, mit den vorgegebenen Tätigkeitsfeldern und anderen Umständen nicht identifizieren konnte.
2.3 Postenzuteilung und Unterkunft
Die Postenzuteilung wurde in den Instruktionen nur an einer Stelle erwähnt. Dort hiess es, dass die Landjäger «in der Regel außerhalb ihres Gerichts stationirt und, mit Ausnahme derjenigen, welche bei den Zollstätten durch Geschicklichkeit und Zuverlässigkeit sich auszeichnen, je nach Erforderniß, von Zeit zu Zeit abgewechselt werden [Hervorhebungen M. C.]» sollten.195 Für die Zuteilung und das Eintreten auf Postenwechselgesuche war der Verhörrichter zuständig. Als Faustregel gab er anfragenden Landjägern immer das Intervall von zwei Jahren an, 196 wobei dieser vorgegebene Zeitraum keineswegs konsequent eingehalten wurde. Dasselbe galt auch für die Landjäger an den Zollposten, welche teilweise über die ganze Untersuchungszeit auf ein- und demselben Posten verweilten, während andere Korpsmitglieder den Zollposten etliche Male wechseln mussten197 (wobei in solchen Fällen auch der Standeskassier Mitspracherecht hatte). Abgesehen von einer Gruppe von Landjägern, welche eher privilegiert behandelt wurde oder bei denen der Verhörrichter aus irgendeinem Grund keine Versetzungen anordnete, 198