Martín Camenisch

" Hoch Geachter Her Verhörrichter …"


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Dem um Verbleib anfragenden Landjäger Jakob Guler etwa wusste der Verhörrichter zu bescheiden, dass man es «schwer haben werde, [dem] Ansuchen zu entsprechen».199

      Über den neuen Posten wurden die Landjäger zuweilen bis kurz vor Beginn des Dienstantritts im Ungewissen gelassen. Üblicherweise mussten sie dem eintreffenden und sie ablösenden Korpskameraden ihren alten Posten zeigen und dann «zur weitern Bestimmung» nach Chur gehen.200

      In manchen Fällen versprach der Verhörrichter Landjägern bereits lange Zeit im Voraus einen Wunschposten. Dies konnte die Folge eines besonderen Verhältnisses zwischen Landjäger und Verhörrichter sein. Dabei konnte die Versetzung an den Wunschort auch einer Belohnung für die geleistete Arbeit gleichkommen. Im entgegengesetzten Fall konnte der Verhörrichter eine Versetzung auch als Bestrafungsform anweisen. Dies widerfuhr beispielsweise Landjäger Giovanni Battista Monigatti, welcher für sein Fehlverhalten gegenüber Landjäger Andreas Flütsch gerügt wurde:

      «Auf seinen Rapport vom 26ten dieses Monats wird erwiedert, daß niemand ihn verklagte, sondern seine Versetzung lediglich seinem schlechten Benehmen, daß er seinen Dienstgenoßen in einem sehr kritischen Moment verließ, zuzuschreiben seÿ.»201

      Ein weiteres Motiv für die Versetzung oder Nichtversetzung war die Rücksichtsmassnahme zugunsten einzelner Landjäger, insbesondere bei auftretenden gesundheitlichen Beschwerden. Der um einen Postenwechsel bittende Jakob Guler erhielt vom Verhörrichter beispielsweise eine Absage, da «jener Posten bereits dem Landjäger Derungs überlaßen wurde», womit der dienstältere Landjäger Hercules Derungs d.Ä. gemeint war.202

      Allgemein kann festgehalten werden, dass der Verhörrichter bei der Vergabe der Posten im weitesten Sinne zwei wesentliche Aspekte zu berücksichtigen versuchte: Von zentraler Bedeutung, und diese Erkenntnis kristallisierte sich beim Verhörrichter im Lauf der Jahre immer klarer heraus, war die Sprache. Im dreisprachigen Kanton Graubünden war der Verhörrichter auf Landjäger angewiesen, die die Sprache der jeweiligen Lokalbevölkerung verstehen und sprechen konnten. Diese Qualifikation spielte bei der Wahl neuer Landjäger eine nicht unbedeutende Rolle.203 Da Deutsch und Italienisch im Gegensatz zum Rätoromanischen innerhalb der Führungsgremien als behördliche Korrespondenzsprachen gebraucht wurden, war deren Beherrschung auch ein Kriterium für die Postenzuteilung. Der Mangel an italienischsprachigen Landjägern war denn auch ein Grund, weshalb dieselben durchgehend in den Valli, das heisst den Bündner Südtälern Poschiavo, Bergell, Misox und Calanca, postiert wurden. Dementsprechend unterlagen die Posten in diesen Landesteilen häufig nicht dem offiziellen Rotationsprinzip, da dort die Substituierungsmöglichkeiten ungleich schwieriger waren. Der in Roveredo stationierte Landjäger Giovanni Monigatti etwa wurde nach seiner Anfrage um Versetzung vom Verhörrichter in beinahe entschuldigendem Tonfall aufgefordert, auf seinem Posten zu bleiben, weil zu wenige italienischsprachige Landjäger im Korps vorhanden seien.204 Durch die Nähe ihrer Sprache zum Italienischen wurden ferner auch viele Rätoromanen in den südlich des Alpenkamms gelegenen Kantonsgebieten eingesetzt. Zu den romanisch geprägten Gegenden gehörten das Bündner Oberland (Surselva), Teile des Imbodens (Plaun) und des Domleschgs (Tumliasca), das Schams (Val Schons), ein Grossteil des Albulatals (Val d’Alvra), das Oberhalbstein (Surses), das Engadin (Engiadina) und das Münstertal (Val Müstair). In der Surselva im Speziellen befanden sich die Posten in Disentis und Ilanz, später auch die Posten in Trun sowie in Furth (Uors) im Lugnez (Val Lumnezia). Das Oberhalbstein-Gebiet im Besonderen wurde mit dem Posten in Savognin abgedeckt. Das Prinzip, romanischsprachige Landjäger in entsprechenden Gegenden zu belassen, ist zwar analog zu den italienischsprachigen Kantonsgebieten zu erkennen, wurde aber nicht durchgehend angewandt. In zwei Gegenden waren teilweise über Jahre hinweg dieselben Landjäger (Ulrich Maculin in Disentis, Joseph Janett in Savognin) postiert. Die übrigen romanischen Regionen hingegen zeigen keine längeren Kontinuitätslinien in der Besetzung eines Postens mit ein- und derselben Person.

      Die von der Polizeileitung intendierte Akzentuierung der Sprachfrage war insbesondere auch Resultat schlechter Erfahrungen. Der Jeninser Christian Bantli etwa fühlte sich in Roveredo sichtlich unwohl, als er dem Verhörrichter im Juli 1830 rapportierte: «Ich mus villes unrächt leiden da ich in der hiesigen Tialekt nicht stärker ben; so wärt mier villes zur last gelegt weill ich mich nicht beßer aus reden kan und die anderen können sich hälfen.»205 Analog zu Bantli war auch der Schierser Bartholome Schaleben im romanisch dominierten Ilanz mit der Sprachsituation äusserst unzufrieden. In einer Rechtfertigung nach vorgeworfenen Dienstnachlässigkeiten bei der Aufspürung unerlaubter Aufenthalter antwortete Schaleben dem Verhörrichter:

      «Ich bite sie wil ich einen nachtheil habe in der Romanisch Sprache mier einen Lichtern Posten zu geben oder wan es nicht anderst kan sein so wil ich auf Chur kommen & der Dienst beÿ den Züchtlingen machen.»206

      Als Notiz fügte der Verhörrichter dem Rapport bei: «Den 18/9 mündlich bemerkt, müße sich beßer einstellen.»207 Aus den zitierten Beispielen lässt sich erahnen, dass deutschsprachige Landjäger des Italienischen oder Romanischen eher selten kundig waren. Stellvertretend dafür kann auch das Beispiel des Landjägers Paul Haag aufgeführt werden, welcher dem Verhörrichter die Papiere des Schriftenlosen Longatti von Chiavenna übersandte, in der Meinung, es handle sich hierbei um die erforderlichen Unterlagen. Daraufhin erhielt er die Antwort, dass

      «anher gesandte Schrift […] nicht nur kein Heimathschein, sondern gerade das Gegentheil [sei], indem in derselben erklärt [werde], daß die Oberbehörde dem Longatti keine Schriften gebe bis er sich selber stelle».208

      Landjäger Haag hatte den Inhalt der Schriften sichtlich missverstanden.

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      16 Mehrheitssprachen im Kanton Graubünden, 1860. Gemäss Zahlenwerten in FURER, Volkszählung, S. 15.

      Auch die Konfession des Landjägers konnte bei der Postenvergabe eine Rolle spielen, sie war jedoch eher in Phasen oder Fällen potenzieller Brisanz ein Kriterium. Falls sich der Landjäger im fremden Konfessionsumfeld nicht wirklich heimisch fühlte, war das noch kein Grund für eine Versetzung. Der bereits erwähnte Christian Bantli beispielsweise fühlte sich in Roveredo nicht nur in sprachlicher, sondern auch in konfessioneller Hinsicht isoliert und ersuchte den Verhörrichter um Ablösung:

      «Ich glaube, das es ihnen; und mier nicht in sinn kommen ist; da sie mich hier nach Roveredo Commandierten wo ich vorfreüden; an nichts mehr denkte; und auch ietz noch kein andere uhrsach wuste als gärne hier zu sein; weill; Herren und gemeine; seind freüntlich und mannierlich gegen mier; ich mus sagen; ville von den gemeinen seind gar zu freüntlich; und wolten ich solte auch mit ihnen in die Kirchen und in die Mäße gehen; und auch ein Christian wärden; aber das hofe ich wärden mier meine Heren; und oberen nicht zu mutten; den der abfall, find ich auf keiner seiten; wäder nützlich noch schön; wo es nicht die Noth erfordert; und aber; wan sie; Lieber Herr Paron; darin keine rücksicht nehmen; und mich an einen Evangelischen; oder Paritetischen [gemischtkonfessionellen, M. C.] Ort Plazieren; wo ich von Zeit zu Zeit. meinen öffentlich Gottes Dienst; oder unsere kirchen; oder mit einem menschen unserer seiten ein Wort verstendig sprechen konte ach Lieber Herr Paron; wolten sie so guth sein und in dißer Sach; das heißt; wägen Religionshalben; es wirt. ihnen bekan sein; das ich bis 11 stund wägs über den barg bis hinter Rhein [das reformierte Hinterrhein jenseits des San-Bernardino-Passes, M. C.] kein mensch meiner seits; errufen noch zu erwarten hatte. [/] Lieber Herr Paron; solte ich sie mit meiner freüntlichen Bitten und um guten rath anhalten; beleidigen so währ es mier sehr leid; und wolte lieber nichts gesagt haben und solte; ein; oder; anderen; meinen guten freünden kommen; und für mich ein gutes wort reden; so hofe ich; sie wärden es mit einem gnädigen; ohr an hörrn; überhaubt; ich schwöre es beÿ meinen Gott; wan ich der hiesigen Religion wehre so könt ich kein beßeren Posten erwellen […]. Solte mier meine bitte. gewährt wärden; so hoffe ich der grund deßen; wärde das hiesige Pöbel wärd es nicht vernemmen; sonst wärden sie entzetzt; weil sie glaubten ein guten Christian aus mier zu machen.»209

      Auf Bantlis Anfrage wusste der Verhörrichter zu entgegnen, «daß jeder Landjäger 2 Jahre lang auf einem Posten aushalten