Martín Camenisch

" Hoch Geachter Her Verhörrichter …"


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der Landjäger nicht im Voraus einen konkreten Posten mit einem tieferen Mietzins ins Auge gefasst hatte) nicht immer lukrativ war. Hierbei spielte auch der Transport des Hausrats eine entscheidende Rolle. Landjäger Johann Weber, dem ein Postenwechsel von Madulain (Engadin) auf die St. Luzisteig zugesichert worden war, ersuchte den Verhörrichter deshalb auch darum, «daß diese Versetzung noch beim Schlittweg erfolgen möchte», damit er seine «Robe vortheilhafter überbringen könne».223 Gemäss einer Notiz des Verhörrichters wurde ihm dies auch erlaubt.224

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      18 Splügen, um 1840. Aquatinta von unbekanntem Künstler. In der Bildmitte die alte Holzbrücke über den Hinterrhein mit der Verbindung zum Splügenpass in die Lombardei.

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      19 Ponte, um 1835. Kolorierte Aquatinta von J. J. Meyer, R. Bodmer. Im Hintergrund die Ruine Guardaval; hinter der linken Häuserzeile führt der Weg zum Albulaberg.

      Aus Sicht eines formalen Polizeisystems kann festgehalten werden, dass die ideale Unterkunft drei Kriterien des Verhörrichters erfüllen musste: Erstens wünschte er einen Ort an der Landstrasse. So wurde zum Beispiel Landjäger Georg Niggli aufgefordert, «zu Runkella [Rongellen oberhalb der Viamala, M. C.] und zwar irgend in einem Haus an der Landstraße, Quartier zu nehmen».225 Zweitens sollte sich ein Landjäger, wenn in unmittelbarer Nähe eine Unterkunft vorhanden war, an einer Weggabelung postieren. Das Beispiel des Landjägers Balthasar Kocher zeigt, dass versucht wurde, beide Bedingungen gleichzeitig zu erfüllen: In seinem Rapport schrieb er, nachdem er sich in Küblis niedergelassen hatte, dass er im erwünschten Dalvazza (an der Strassengabelung Richtung St. Antönien, wo unerlaubt über das Montafon Einreisende abgefangen werden sollten) zwar vorerst keine Unterkunft gefunden habe, jedoch sei der «unterschied nicht groß», denn er sei «an der Straße» und sehe aus seinem Fenster, «was vorbeÿ paßier[e]».226 Drittens und ganz im Sinn des Hauptauftrags sollte die Unterkunft an Orten mit einer erhöhten Dichte an fremden Arbeitern und Aufenthaltern gewählt werden. Als Beispiel hierfür können die obigen Angaben des Verhörrichters an Sixtus Seeli erwähnt werden, welcher sich, wenn schon nicht in Splügen, dann in Bärenburg (Andeer) oder in der Nähe der Schmelze von Ausserferrera, wo ausländische Arbeiter im Erzabbau angestellt waren, niederlassen solle.227 Ein analoges Beispiel ist die Weisung an Landjäger Martin Casanova: Obwohl der für Roveredo bestimmte Casanova mit der Unterstützung des Kommissärs in San Vittore wegen der tieferen Miete dorthin ziehen wollte, forderte der Verhörrichter ihn auf, unbedingt in Roveredo zu bleiben:

      «Da bereits ein Landjäger in St. Vittore stationiert ist, so hat Casanova ohne weiters in Roveredo zu bleiben und zu sehen wo er Quartier bekomme, allenfalls könnte er eines auf der linken Seiten der Moesa nehmen um beßer zu sehen was auf dem Weg dem Waßer nach herauf und vom Berg gegen Klevner-See [Lago di Chiavenna, M. C.] herkomme.»228

      Eine Unterkunft, die sämtliche drei Kriterien erfüllte, war die Ideallösung im Sinn der Polizeileitung: Landjäger Johann Weber beispielsweise wurde aufgefordert, sein Haus so zu wählen, dass er von Ponte aus, an der Landstrasse liegend, immerwährend Sicht zum Albulaberg habe.229 Ponte lag als westlicher Teil des heutigen La Punt-Chamues-ch an einer Wegkreuzung zum Albulapass, über den die gemäss formalem Polizeisystem definierte Zielgruppe der Fahrenden und Heimatlosen zu verkehren pflegte.

      Als Vermieterinnen und Vermieter treten in den Akten unter anderem Pfarrer230, ehemalige Söldner231, Handelsmänner232 oder sonstige Privatpersonen auf. Die in anderen Staaten, vor allem in Frankreich, praktizierte Unterhaltung von Mehrmannquartieren kam dagegen nicht vor. Hierin folgte Graubünden der deutschen Usanz.233 Aus Gründen der Korpsbestandsfragen und den sich gleichzeitig daraus ergebenden weiten Zuständigkeitsgebieten war ein Mehrmannquartierprinzip im jungen Kanton Graubünden letztlich gar nicht umsetzbar.

      Wenn die Landjäger wegen einer grösseren Tour, eines Transports, einer Heim- oder Visitenreise nach Chur nicht in ihrer gemieteten Unterkunft übernachten konnten, schliefen sie in einer von der lokalen Obrigkeit bereitgestellten Lokalität. Je nach Situation handelte es sich um eine Schlafgelegenheit in einer öffentlichen Unterkunft234, bei Obrigkeitsmitgliedern oder auch sonstigen Landleuten. Der in Thusis stationierte Landjäger Jakob Jecklin beispielsweise berichtete, dass er während seiner Patrouille Richtung Oberhalbstein bei Landammann Josias Bergamin in Obervaz übernachtet habe.235 Die konkrete Angabe der Übernachtung machte Jecklin in diesem Fall nur deshalb, weil er sich für seine Abwesenheit in Thusis, welche durch die von Chur entsandten Landjäger Christian Haag und Georg Niggli zur Sprache gekommen war, zur Rechtfertigung gezwungen sah. Wohl um die Wahrheit seiner Aussage zu betonen, dass er während dieser Zeit auf einer Patrouille gewesen sei, unterstrich er den Namen des Landammanns von Obervaz umso dezidierter. Beispiele für die Wahl der Übernachtung bei Obrigkeitsmitgliedern finden sich sonst (von deren mehrmaliger Anwendung kann ausgegangen werden) in den Rapporten der Landjäger kaum. Dies lässt eher auf die Normalität dieses Unterfangens schliessen.

      Dem Neuling Joseph Anton Schuoler, provisorischem Landjäger im Bergell, schlug der Verhörrichter vor, «auf Alpen oder bei Landleüten seine Verpflegung und Quartier» zu nehmen.236 Als provisorischer Landjäger hatte Schuoler noch keine feste Unterkunft und erhielt vom Verhörrichter einen Vorschlag, welcher sich nach der Usanz anderer Landjäger richtete. Zuweilen konnten die Polizeibeamten auch bei anderen Landjägern Unterschlupf finden. In seinem längeren Rapport beispielsweise, der in Form eines Tagebucheintrags geschrieben war, berichtete der in Scuol stationierte Landjäger Michael Mutzner dem Verhörrichter, dass er spätabends bei Landjäger Christian Grass d. Ä. in Madulain angekommen sei: «[I]ch getraute mir nicht weiter. und schaute ob ich beim Grass LJr bleiben konte den ich getroffen. und da gebliben bin.»237 In anderen Fällen suchten die Landjäger je nach Witterungslage auch Wirtshäuser auf.238 In gewissen Fällen, gerade während der Sommerzeit, schliefen sie auf längeren Reisen zuweilen auch im Freien. Landjäger Christian Bantli etwa antwortete dem Verhörrichter auf die Weisung, die Uniform möglichst immer tragen zu müssen, dass er diese nur fürs Schlafen «in der Wilde» ausziehe.239 Dem provisorischen Landjäger Jan Gees schlug der Verhörrichter, nachdem sich dieser wegen des vielen Herumrennens über die zahlreichen kostspieligen Übernachtungen in schlechten Wirtshäusern beklagt hatte, vor, allenfalls selber eine provisorische Hütte zu bauen, wie dies andere provisorische Landjäger auch getan hätten:

      «Will Gees in Roveredo bleiben, so wird man antragen, daß ihm [in] alla Baßa eine Hütte errichtet werde, oder allenfalls kann er sich von Holz und Aeste selbst eine [Hütte] zur Noth machen, wie andere prov. Landjäger es auch thaten […].»240

      Diese erwähnten Gewohnheiten und Vorschläge zeigen trotz ihrer immanenten Eigenschaft zur Beschreibung der Alltagspraxis, dass sie zwar nicht in proklamierter Form einer Musterlösung, jedoch durchaus im weitläufigen Bereich der aus Sicht der Polizeileitung akzeptierten Normen einzuordnen sind.

      Die Fortbewegung war eines der zentralsten Elemente des Landjägerdaseins. Dies traf am offensichtlichsten bei der grossen Mehrheit der Landjäger auf den Laufposten zu. Der Begriff Laufposten ist während der ersten Jahre seit Aufstellung des Bündner Polizeikorps im überlieferten Quellenmaterial kaum anzutreffen. Er avancierte insofern zum Charakteristikum für die entsprechenden Landjäger, als das Laufen zum Namenspaten der entsprechenden Berufsgattung wurde. In der Instruktion von 1828 hiess es, dass die Landjäger

      «außer den Sonn- und gebotenen Feiertagen und einem beliebigen freien Tage in der Woche, täglich, wenn aber mehrere Landstreicher bemerkt werden, oder es sonst irgend nothwendig ist, ohne Ausnahme täglich, herum zu patroullieren [hätten]».241

      Am augenfälligsten wird dieser permanente Bewegungszustand bei der Konsultation der ersten Instruktion, als das Kantonsgebiet wegen des geringen Korpsbestands in noch grössere Bezirke unterteilt war. Die in Disentis (Surselva), Splügen (Misox und Hinterrheintal) und Oberhalbstein