Vorstehern vor zu stellen, den selben auf alle verdächtige Leüte aufmerksam zu machen, alle verdächtige Häuser, Schlupfwinkel, Ausörter zu zeigen, dann anher zu kommen.»264
Die hier anzutreffende Raumkonstellation ist schnell nachgezeichnet: Der Aktivraum oder eben der hauptsächliche Aufenthaltsraum der Gejagten ist der Passivraum des sich sittlich korrekt Verhaltenden beziehungsweise des im Kantonsgebiet Tolerierten.265 Diese räumliche Abgrenzung wird in den Begriffen «Ausörter» und «Schlupfwinkel» besonders klar erkennbar. Dabei suggeriert insbesondere letztgenannter Begriff eine Art Randzone, in die sich die Zielgruppe zurückzog oder eben (zurück) schlüpfte. Das Verb (sich zurück)schlüpfen verweist ganz allgemein auf die Vorstellung des Verborgenen und Versteckten, wodurch es sehr gut mit dem im Zitat zweimal auftauchenden Adjektiv verdächtig zusammenpasst und dieses verstärkt. Die Bezeichnung der Schlupfwinkel war im polizeilichen Raumdiskurs fest verankert und erfuhr auch in den Instruktionen eine Schlüsselrolle:
«Jeder Landjäger soll alle in seinem Bezirke befindliche verdächtige fremde, […] alle verdächtige Häuser, auch alle Ausörter, Schlupfwinkel, Feldküchen und Züge, wo Vaganten und Fremde gewöhnlich zu übernachten oder sonst zu lagern und zu gehn pflegen, möglichst auskundschaften, jede diesfällige Auskundschaftung sogleich dem Verhörrichter-Amt anzeigen, auch für sich, zur bessern Bezeichnung an die etwaigen Nachfolger, aufzeichnen. […Er soll] alle erwähnten Orte, auch Waldungen und Nebenstrassen, besuchen […].»266
Das Zitat zeigt, dass erwartungsgemäss nicht alle topografischen Bezeichnungen metaphorischen Charakters waren, dass aber selbst konkret interpretierbarere Begriffe wie «Waldungen» und «Nebenstrassen» das ständig anzutreffende Bild des Dunklen und Furchterregenden suggerieren. Dadurch verkam die vom polizeilichen Diskurs geprägte Topografie des Landjägerraums zum Credo der Polizeibeamten: Der gebrauchte Wortschatz führte zu einer Kodifizierung der Umwelt, die nach Unterscheidungskriterien wie Licht- und Schattenzonen gegliedert war und die Probabilität hinsichtlich des Ertappens von Zielgruppenpersonen ermöglichen beziehungsweise erhöhen sollte. Hierin zeigt sich die Machtkomponente des Diskurses, indem er definiert, was «als wahr oder falsch, normal oder anormal, dazugehörig oder ausgrenzbar zu gelten hat»267.
Deutlich wird, wie solch abgrenzende Betrachtungsweisen relativ einfach zu ideologischen Automatismen, das heisst zur Einteilung des physischen Lebensraums in abgestufte Gefahrenzonen führten: Den ablösenden Landjägern wurden die Rollen und die Raumgliederung mit den jeweiligen Konnotationen268 bei einem Postenwechsel in Form einer bereits vorgezeichneten mentalen Karte (der Instruktionsparagraf sprach ja bekanntlich von einem Aufzeichnen) präzise übertragen. Oberstes Ziel war die Reinhaltung des Bezirks vor unerwünschten Personen. Diese Richtlinie wird auch in den Landjägerrapporten manifest: Nachdem etwa der provisorische Landjäger Christian Grass d.Ä. im April 1834 Johann Webers Posten in Ponte übernommen hatte, berichtete er am letzten Arbeitstag desselben Jahres, dass er seinen «Bezirck vom Frömden Bätelgesindel zimlich Rein hab[e] jezt».269 Das Kantonsgebiet war in diesem diskursiven Kontext ein Raum, der unbeschmutzt sein sollte. In seiner kurzen Zusammenfassung zu den Verrichtungen des Landjägerkorps wurde dieser Aspekt vom Thusner Pfarrer Leonhard Truog (1760–1848) ganz besonders hervorgestrichen: «Die Landjäger sind […] in allen Gegenden des Cantons vertheilt [… und] säubern es […] von gefährlichem Gesindel.»270 Im bestmöglichen Fall sollten die dunklen Zonen ausgeleuchtet, von Schmutz befreit und auf die Dauer rein gehalten werden, so wie es Grass im Verlauf eines Dreivierteljahres durchgeführt zu haben versicherte. Die akzentuierten Dichotomisierungen von gut und schlecht, rein und unrein, sittlich und unsittlich, eingegliedert und randständig haben eine lange Tradition, die im sich konstituierenden bürgerlichen Rechtsstaat und dem damit verbundenen Instrument der Verwaltungssystematisierung und Datenerhebung zementiert wurden. Diese Gouvernementalität271 war jedoch nur aussagekräftig und auch für weitere Verwaltungsschritte anwendbar, wenn sie lückenlos war und keine Schattenzonen gewährte.
Auffallend ist in diesem Raumbefreiungsdiskurs die wiederholt auftauchende Symbolik von Jäger und Gejagtem. Dass es sich bei diesen Begriffen (die Landjäger trugen ihre Hauptverrichtung bereits im Namen) nicht um eine reine Metapher handelte, zeigt sich daran, dass unter Jagd die Verfolgung einer realexistierenden und in den Augen der Bürgergesellschaft durchaus als wild gesehenen Menschengruppe subsumiert wurde. Dieser Jagddiskurs ist seit Beginn des Landjägerkorps (1804) anzutreffen: «Die Landjäger fangen ihre Function mit einer allgemeinen Jagd auf das im Land befindliche Gesindel an, um selbiges, so viel möglich auf einmahl aus dem Land zu schaffen.»272 Die Spuren ebendieses Diskurses lassen sich bis in die Entstehungs- und Anfangsphasen moderner Polizeiinstitutionen zurückverfolgen. Auf dem Gebiet der Drei Bünde waren dies die berüchtigten Treibjagden, wobei der Vergleich der Menschengruppe mit Wild durch das Verb treiben noch verstärkt wurde. Bemerkenswert ist, dass bereits die Bezeichnung der ersten Bündner Protopolizisten (Harschiere) vom französischen Wort archer (Bogenschütze) stammt.273 Der Polizeibezirk ist in dieser Begriffswelt ein Jagdrevier beziehungsweise -land, wobei mit letztgenanntem Begriff wiederum auf die tendenzielle Ruralität des polizeilichen Zielraums verwiesen wird: Im Gegensatz zum Polizeijäger (Stadt Chur) oder zu den Weibeln in den Gerichtsgemeinden hatte der Landjäger seinen Blick in erster Linie auf die spärlich besiedelten Zonen, das heisst auf all die erwähnten Ausörter und Schlupfwinkel zu richten. Dass Kantone wie Zürich oder Bern nach Aufstellung des Landjägerkorps einen Teil desselben auch für die polizeiliche Tätigkeit im Stadtgebiet bestellten, war eine Folge des im Vergleich zu Graubünden wesentlich zentralistischeren Aufbaus dieser ehemaligen Alten Orte der Eidgenossenschaft, wodurch die Verwendung der Landjäger(bezeichnung) innerhalb der Stadtmauern kein vergleichbares Konfliktpotenzial barg. Es ist wohl unbestreitbar, dass der Name beziehungsweise die Idee des Landjägerkorps auf dessen ausserurbane Aktivitäten zurückgeführt werden kann. Dabei ist es für zentralistisch gesinntere Kantone wie Bern oder Zürich (und mit diesem Ansinnen sind die Anfang des 19. Jahrhunderts bestimmenden Eliten gemeint) nicht infrage gekommen, für das Stadt- und Landgebiet zwei verschiedene Namensbezeichnungen zu wählen. Die überproportional häufigere Verwendung der neuen Polizeibeamten auf dem Land dürfte in dieser Hinsicht wohl für die Namensgebung ausschlaggebend gewesen sein.
Zur Vervollständigung sei erwähnt, dass der Begriff Landjäger eine typische Bezeichnung für die Polizeibeamten der süddeutschen Länder und der deutschschweizerischen Kantone war. Wirsing hat am Beispiel des württembergischen Polizeiwesens exemplifiziert, dass dessen Umbenennung von Gendarmeriekorps auf Landjägerkorps im Jahr 1823 auf die damaligen Wünsche der liberalen, antifranzösischen Mehrheit zurückgeführt werden könne. Die Bezeichnung «Gendarmerie» sei mit der französischen, repressiven Geheimpolizei der Rheinbundära, welche «jedwede Politisierung und Formierung der Öffentlichkeit unterbunden hatte», assoziiert worden.274 Diese antifranzösische Haltung dürfte auch im Fall der eidgenössischen Kantone der Grund gewesen sein, bei der Gründung der Landjägerkorps nicht wieder auf die vorrevolutionäre, frankofone Bezeichnung Harschier zurückzugreifen.
Bei den erwähnten Aufenthaltsorten der verfolgten Personen konnte es sich, um zu den Bündner Verhältnissen zurückzukehren, sowohl um solche in der freien Natur (etwa Höhlen, Waldabschnitte oder Schluchten) als auch um verlassene Höfe oder Verstecke unter Brücken handeln. Der eingangs erwähnte Privatraum konnte, wenn er von Einheimischen als Schlupfwinkel offeriert wurde, ebenfalls zu dieser Verdachtszone gezählt werden. In diesem Zusammenhang genügt das kurze Beispiel des in Alvaneu Bad stationierten Landjägers Leonhard Fausch, welcher dem Verhörrichter im Herbst 1832 mitteilte, dass ein Deserteur von einem Einheimischen namens Paul Anton Heinz Unterschlupf erhalten habe und von diesem versteckt worden sei.275 Für die Überschreitung dieser spezifischen Raumgrenze bedurfte es jedoch der Einwilligung der jeweiligen lokalen Obrigkeit. Aus diesen Überlegungen wird ersichtlich, dass die polizeilich definierte Lebenswelt der Landjäger und ihr Arbeitsraum keineswegs nur mit Begriffen aus der konkret-physischen Umwelt umschrieben werden können. Durch ihre metaphorische Dimension verwiesen viele Begriffe des Raumdiskurses auf anthropogene Beziehungs- und Machtstrukturen des Gesellschaftssystems. Damit soll keinesfalls auf eine Einzelerscheinung in der Polizeigeschichte, jedoch auf die Eigentümlichkeit des polizeilichen Raumdiskurses im Allgemeinen verwiesen werden. Das sich durch Licht- und Schattenzonen hindurchziehende Spiel