Zuerst geschah dies nur in provisorischer Form.136 Später fand diese Bestimmung dann aber auch Eingang in die Instruktion von 1868: Paragraf 27 besagte, dass sich die Grenzlandjäger gemäss Instruktion der Grenzpolizeikommissäre zu verhalten hätten, wobei Letztere widrigenfalls sofort Bericht an die Polizeidirektion in Chur zu erstatten hätten. Paragraf 19 der Instruktion für die Bezirkspolizeikommissäre besagte, dass dieselben die in ihrem Bezirk stationierten Landjäger in Bezug auf «Erfüllung der ihnen obliegenden Dienstpflichten, ihre Aufführung und den Stand ihrer Ausrüstung» zu überwachen und diesbezügliche «Contraventionen» gemäss Paragraf 20 ebenfalls auf direktem Wege der Polizeidirektion zu berichten hätten.137
10 Ausschreibung des Kleinen Rates des Kantons Graubünden betreffend Ernennung von Polizeikommissären, Chur 03. 12. 1840.
In Bezug auf Einkassierung und Austausch von auszustellenden Reisepässen waren die Kommissäre ihrerseits dem Standeskassier verpflichtet. Mit der Reorganisation der Kommissärämter vom 11. Juli 1840 wurden sie mit der regelmässigen Berichterstattung an den Verhörrichter beauftragt.138 Damit setzte erst im Verlauf der 1840er-Jahre ein wirkliches Hierarchieverhältnis zwischen Polizeikommissären und Landjägern ein, wobei zu betonen gilt, dass ein solches, je nach Polizeikommissär und Ort des jeweiligen Landjägers, teilweise bereits zuvor bestanden hatte.139
Die korpsinterne, militärisch-disziplinarische Inspektion der zahlreichen, in ihren Bezirken stationierten Landjäger war mit einigen Ausnahmen de facto während der ganzen Untersuchungszeit nicht vorhanden. Ein sichtbares militärisches Hierarchieverhältnis bestand in erster Linie nur innerhalb des Zuchthauses Sennhof in Chur, wo ein Feldweibel beziehungsweise Wachtmeister und ein Korporal den dortigen einfachen Landjägern hierarchisch übergeordnet waren: Der Feldweibel (in der Regel auch als Wachtmeister tituliert) war «für das Oeconomische des Hauses», der Korporal für die vier Landjäger zuständig.140 Diese Aufteilung galt spätestens seit dem Jahr 1826, als der verstorbene Feldweibel Christian Kessler durch Nikolaus Hartmann ersetzt wurde: Er war nicht mehr wie sein Vorgänger auch für das Kantonsarsenal und das Magazin zuständig, sondern sollte sich ausschliesslich auf den Landjägerdienst konzentrieren können.141 Zudem muss an dieser Stelle betont werden, dass die Unteroffiziersgrade im Gegensatz zur Anfangsphase des Polizeiwesens und nach dem Ausbau des Beamtenapparats erst allmählich genauer unterschieden wurden – der militärische Rang des Korporals war in der ersten Instruktion für den Unteroffizier abwechselnd mit Wachtmeister, Unteroffizier oder Korporal angegeben worden.142
Ein zentraler Punkt in der erwähnten Instruktion für den Unteroffizier war insbesondere die Beaufsichtigung der Landjäger auf den Lauf- und Grenzposten:
Der Korporal (dem die Aufsicht über die restlichen sieben Landjäger zustand, M. C.) solle die Gefreiten in ihrer pünktlich zu erfüllenden «Schuldigkeit» betreffend Disziplin, Montierung und Bewaffnung inspizieren (§ 1) und sie zu diesem Zweck alle zwei Monate visitieren (§5). Bei der ersten Inspektionsreise solle er mit den jeweils in ihren Bezirken stationierten Landjägern einen «Streifzug» durchführen143 (§7; in der diskursiv-semiotischen Komponente des Begriffs als einen regelrechten Säuberungszug und in diesem Sinne als machtrepräsentativer Akt zu verstehen, 144 M. C.). Dieser solle in der Surselva beginnen, über das Domleschg, Oberhalbstein, Churwalden, Maienfeld, Prättigau und das Engadin gehen und im Bergell enden. Der Korporal solle immer von den Landjägern des jeweiligen Bezirks begleitet werden und denselben (gewissermassen als militärische Eintrichterung der Pflichten, M. C.) «von Zeit zu Zeit» die Instruktionsverpflichtungen vorlesen (§ 8). Bei seiner Rückkehr solle er dann davon dem Kleinen Rat «umständlichen Bericht» abstatten (§ 9).
Trotz dieser vergleichsweise klaren Bestimmungen wurde im Lauf der Jahre schnell ersichtlich, dass der Korporal, da er laut Instruktion die übrige Zeit in Chur verweilte, wo er der Regierung jederzeit für administrative Verrichtungen zur Verfügung stehen musste145, angesichts beschränkter staatlicher Finanzmittel und der für den weitläufigen Kanton stark beschränkten Anzahl Landjäger seiner Visitationspflicht nicht nachzukommen vermochte. Mehrere Verbesserungsversuche in dieser Angelegenheit wurden nicht umgesetzt, 146 womit die intendierte Inspektionsbestimmung Makulatur blieb. Die Verhörrichteramtskommission etwa berichtete Ende 1844, dass den 1840 via Instruktion festgelegten Inspektionsreisen des Landjägerunteroffiziers kaum Folge geleistet worden sei, weil der Wachtmeister als «Hausmeister des Zuchthauses» allzu sehr an dieses gebunden gewesen sei.147 Damit war eine militärisch-instruierende Aufsicht des Landjägerkorps für die gesamte Untersuchungszeit so gut wie nicht vorhanden. Inspektionen des Verhörrichters seinerseits blieben angesichts seines umfangreichen Arbeitspensums und seiner untersuchungsrichterlich bedingten Gebundenheit an die Kantonshauptstadt Chur ohnehin die absolute Ausnahme. Die Tragweite des Problems wird fassbar, wenn in einem Bericht des Verhörrichters zu lesen ist, dass er einzelne Landjäger «jahreweis» nicht sehe beziehungsweise gesehen habe.148
Damit die Hierarchiefrage vollständig geklärt werden kann, muss schliesslich auf die Rolle der Ortsobrigkeiten verwiesen werden. Da sich die obersten Kantonsbehörden bewusst waren, dass die Landjäger wegen der Weitläufigkeit Graubündens in ihren alltäglichen Verrichtungen mehr oder weniger auf sich allein gestellt waren, appellierte der Kleine Rat im Zusammenhang mit dem oben erwähnten «Streifzug» bereits 1804 an die lokalen Obrigkeiten, den Landjägern im Fall wiederholt dingfest gemachter arbeitsfähiger Bettler149 bei deren summarisch durchzuführender Verwahrung behilflich zu sein:
«Die Italjenischen Bettler und Landstreicher werden nach den italjenischen Gränzen, die deutschen gegen die Steig, und die Schweitzer über die Untere Zollbruk wegweisen, mit der Warnung falls sie wiederkehren beÿ Waßer und Brod eingespert zu werden. [/] Diese Strafe soll auch wirklich an den Wiederkehrenden vollzogen werden, wenn es Leute sind, welche im Stand wären durch Arbeit ihren Unterhalt zu verdienen. [/] Die Obrigkeiten werden zu Veranstaltung der Vollziehung dieser Züchtigung aufgefordert werden.»150
Diese Unterstützung sei gemäss Paragraf 12 immer dann «unverzüglich» zu leisten, wenn die Landjäger bei ihrer Pflichtausübung unmittelbar darauf angewiesen seien, wobei aber keine konkreten Orientierungsbeispiele aufgeführt wurden. Des Weiteren, und hier kam die Hierarchiefrage ins Spiel, sei der Landammann oder erste Gerichtsvorsteher zur Aufsicht der Landjäger verpflichtet (§ 14). Es sollten die Obrigkeitsmitglieder dem Kleinen Rat auch die halbmonatlichen Rapporte der Landjäger einsenden (§13).
Die föderalistisch gesinnten Obrigkeiten waren jedoch, so zeigte sich schnell, an einer Unterstützung eines zentralistischen kantonalen Korps kaum interessiert und kamen ihrer Pflicht nur halbherzig nach: Rückblickend schilderte der Kleine Rat in seinem Amtsbericht vom Jahr 1814, dass «von den meisten Gerichts- und Ortsvorstehern dem ersten Artikel der bey Aufstellung der Landjäger unterm 30. Mai 1804 erlaßenen Publication entweder gar nicht oder höchst unvollkommen entsprochen» worden sei.151 Im Gegenteil hatten zahlreiche Gerichte stattdessen die Landjäger sogar für Dienstleistungen in Anspruch genommen, gerade wenn es sich um die Verwahrung ortseigener Gefangener handelte. Dabei hatten sie sich oftmals nicht dazu verpflichtet gesehen, die Landjäger für die Gefangenenüberwachung zu entschädigen, da dieselben bereits einen fixen Sold durch den Kanton bezogen. Dies betraf im Besonderen Gerichte, welche mit finanziellen Problemen kämpften. Der Kanton seinerseits beklagte sich zuweilen sogar, dass die Gerichte den Landjägern zu hohe «Zehrungskosten» auferlegen würden, da auch diese vom Kanton beglichen werden mussten.152 Es wurde nun dieser ganze Missstand insofern bekämpft, als die Landjäger mit der Instruktionsreform von 1813 gesetzlich verpflichtet wurden, Aufforderungen der Gerichtsobrigkeiten in sämtlichen Belangen des Kriminal- und Polizeiwesens «unhinterstellige Folge zu leisten».153 Diese Reform ist als unmissverständliches Signal an die Ortsobrigkeiten zu deuten, denn einerseits wurde diesen eine gesetzlich legitimierte Dienstleistung angeboten, und andererseits versprach sich der Kanton dadurch eine breitere Akzeptanz der Polizeiinstitution sowie eine stärkere Einbindung und mehr