Ernst Guggisberg

Pflegekinder


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viele Gemeinden es jetzt noch nicht einsehen, dass nur durch eine sorgfältige Erziehung der heranwachsenden armen Jugend der erblichen Armuth gründlich gesteuert wird». Diese Ausgaben trügen reichlichen Zins ein, «während mit dem blossen Fütterungssystem, wie es so vielerorts angewendet wird, den Gemeinden von Generation zu Generation immer grössere Armenunterstützungen erwachsen».51 Im Kanton St.Gallen habe die Regierung den ersten zielführenden Schritt unternommen, indem sie 1873 eine Armeninspektion durch fünf Ärzte eingeführt habe. Diese kamen zum Schluss, «dass die Erziehung der Kinder in gut geleiteten Anstalten derjenigen in Kosthäusern weitaus vorzuziehen sei, namentlich aber das Verdingsystem im Abstreich, wie das noch in einigen wenigen Gemeinden vorkomme, höchst verwerflich» sei.52 Neben der propagierten Lösung der Anstaltserziehung kamen die Verfasser auch auf die Armenerziehungsvereine zu sprechen, die durch den «wackeren Seminardirektor Kettiger» ins Leben gerufen worden seien und jetzt noch «mit grossem Segen» fortwirkten.53

      1894 übernahm ein Ausschuss der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft unter dem Präsidium von Pfarrer Conrad Denzler (1844–1897) die Aufgabe, eine «möglichst genaue und zuverlässige Übersicht über die sämtlichen Anstalten und Einrichtungen für Armenerziehung und Armenversorgung in der Schweiz zu erstellen».54 Diese wurde 1896 von Wilhelm Niedermann unter dem Titel «Die Anstalten und Vereine der Schweiz für Armenerziehung und Armenversorgung, Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft» publiziert, um «den am Werke der Armenerziehung und Armenversorgung beteiligten Behörden und Privaten ein möglichst zuverlässiges und umfassendes Mittel an Hand zu geben», sodass «das für einen speziellen Versorgungszweck jeweilen am besten Passende herauszufinden» sei und «eine wesentliche Lücke» nun ausgefüllt werde.55

      Niedermann besprach 788 Anstalten und Vereine und kam zum Schluss, dass für die kleine Schweiz dies jeden «Menschenfreund mit freudigem Stolze erfüllen muss und beweist, dass die Fürsorge für die Armen von unserem Volke als eine seiner heiligsten und schönsten Aufgaben betrachtet wird».56 Er unterschied die drei Kategorien «Versorgung von armen Kindern und von Waisen», die «Versorgung von moralisch Schwachen» und die «Versorgung von geistig oder physisch Schwachen und Kranken».57 Kantone mit einer grossen protestantischen Bevölkerung, wie Bern, Waadt, Zürich, Genf und Basel-Stadt, waren in sämtlichen drei Sparten prominent vertreten.58 Demgegenüber standen Kantone mit einer grossen katholischen Bevölkerung, wie St.Gallen, Graubünden und Solothurn, im Hintertreffen. Nur wenige Institutionen besass die katholische Zentralschweiz mit Uri, Schwyz, Nidwalden und Obwalden, 59 die Ausnahme stellte der Kanton Luzern mit seinen zwölf städtischen Anstalten und Vereinen dar.60 Insbesondere in den drei Unterkategorien «Armen-Anstalten und Vereine», «Waisenerziehungsanstalten und Vereine» (129 Nennungen) sowie «Vereine und Anstalten zur Versorgung verwahrloster Kinder» (28 Nennungen) wurde die «Platzierung» von Kindern mit 157 Institutionen eingehend besprochen.61

      Bezeichnenderweise standen in den bisher genannten Überblickswerken die stärker vertretenen Anstalten und weniger die zahlenmässig unterlegenen schweizerischen Vereine für die dauerhafte «Platzierung» von Kindern im Vordergrund. Ausschliesslich dieser Gruppe widmete sich erstmals Pfarrer Karl Schweizer aus Oberburg in seinem in der «Zeitschrift für schweizerische Statistik» veröffentlichten Artikel über die «Freiwilligen Armenerziehungsvereine der Schweiz» (siehe Tabelle 4).62 Er zählte insgesamt 43 dieser Gesellschaften in 14 Kantonen, die im Jahr 1897 insgesamt 2609 Pflegekinder beaufsichtigten.63

1864 AG Armenerziehungsverein des Bezirks Zurzach
1855 AG Kinderversorgungsverein Zofingen
1889 AG Armenerziehungsverein des Bezirks Rheinfelden
1862 AG Armenerziehungsverein des Bezirks Muri
1861 AG Armenerziehungsverein des Bezirks Lenzburg
1883 AG Armenerziehungsverein des Bezirks Laufenburg
1865 AG Armenerziehungsverein des Bezirks Kulm
1857 AG Armenerziehungsverein des Bezirks Brugg
1861 AG Armenerziehungsverein des Bezirks Bremgarten
1862 AG Armenerziehungsverein des Bezirks Baden
1859 AG Armenerziehungsverein des Bezirks Aarau
1830 AR Hülfsgesellschaft Trogen
1837 AR Hülfsgesellschaft Herisau
1892 BE Patronatsverein Länggasse Bern
1877–1882 BE Œuvre des orphelins pauvres64
1880–1892 BE Kantonalbernische Gotthelfstiftung65
1848 BL Armenerziehungsverein des Kantons Baselland
1874 BS Kommission zur Versorgung verwahrloster Kinder
1889 GE Association pour la protection de l’enfance Genève
1892 GR Bündnerischer Hülfsverein für arme Knaben
1879 SG Gemeinnützige Gesellschaft der Stadt St. Gallen
1890 SO Verein für freiwillige Armenpflege Thierstein
1877 SO Armenerziehungsverein Olten-Gösgen
1880