Verhältnisse einzuleben, Sie hätten das Belächeln und Bespötteln einer herzlosen Welt zu ertragen, Sie hätten eine geistige Arbeit auf sich zu nehmen, die Ihnen nicht schwer, aber vielleicht doch oft unbequem sein möchte – und als mein Weib endlich stünde Ihnen ein Mann zur Seite, der wohl recht vom rauhen Treiben der Praxis erfasst werden wird, der kein sorgloses Leben bieten, vielmehr Sorgen aller Art wohl oft mit sich auch in den Familienkreis hinein bringen würde – ‹dem Weib die redliche Hälfte des Grames›134 – und für alles dies könnte ich Ihnen nur meine Treue, meine unerschöpfliche Liebe geben. Sie werden überlegen, Sie werden entscheiden, und Ihr Entschluss wird mir heilig sein, ich weiss ja, dass Sie ihn berathen dass Sie ihn getroffen haben.
Ich bin Ihnen noch schuldig, einiges Nähere über meinen Plan mitzutheilen, wie ich ihn mit meiner älteren Schwester berathen habe. Ihre jetzige Stellung entspricht in keiner Weise Ihrer Gesundheit, und ich darf hinzufügen in keiner Weise Ihren Gemüths- und Geistesanlagen. Wir kennen nun eine uns von den Eltern her befreundete Familie auf dem Lande, wo Sie in einem hübschen Hause, wie Tochter aufgenommen würden, und zwar nicht in meinem Namen, sondern als Freundin unserer Familie. Dort fänden Sie Zeit, endlich einmal sich zu erholen, Ihrer eigenen Entwicklung zu leben und sich in dem neuen Elemente sich zurecht zu finden. Unterdessen vollendete ich mein Studium, führte meine projektierten Reisen aus, gründete nach meiner Rückkehr in Zürich oder in Bern ein Advocaturbureau, und da ich Hoffnung haben kann, bald zu Praxis zu kommen, möchte in kurzem, drei oder vier Jahren das Ziel erreicht und die Zeit gekommen sein, wo dann endlich das gehoffte Glück sich verwirklicht und Lina mein Weib wird. Zwar möchten die Launen des Schicksals ja wohl dies oder jenes anders wenden – uns wenn das Wort gegeben ist, vermag nichts mehr zu trennen. Am Ende der mühsamen Anfangsbahn ein Herz, von mir geliebt, wie es kein Mann je tiefer lieben wird, mir treu ergeben, ganz mein zu wissen, spornte mich zur Spornung aller Kräfte an, und liebe Lina, wär des für Sie zu viel gewagt, diesem meinem Muthe Ihr Glück zu vertrauen?
Sie werden begreifen, dass ich Ihnen mit diesen Zeilen nur eine kurze offene Erklärung geben konnte. Sie wird, wenn Sie darauf nur ein ‹Nein› haben, genügen. Im anderen Falle aber – werden Sie Gelegenheit finden, dass wir uns einmal allein sprechen können, da wird es dann erst möglich sein, alles klar zu beurtheilen, und gemeinsam über die wichtigsten Wege zu entscheiden. Ich wiederhole, dass Sie sich damit nicht binden. In jedem Falle, glauben Sie mir, Lina, wird meine Verehrung für Sie in mir bleiben, sie ist zu tief gewurzelt um nicht dauernd sein zu müssen.
Um die Existenz dieses Briefes weiss ausser meiner Schwester und meinem Freund, der zu schweigen versteht, niemand etwas, es mag gut sein, wenn auch Sie ihn keinem Dritten zeigen. Dagegen kenne ich Ihre verschiedenen Beziehungen zu wenig, um Ihnen sonst vom Rathsholen abrathen zu dürfen. Ich weiss aber ja, dass Sie selbständig zu sein früh lernen und üben mussten.
Mit Ihrer Antwort eilen Sie nicht, ich werde, bringe sie mir Glück oder nicht, ruhig zu erwarten suchen.
In tiefster Verehrung Ihr ergebener Eugen Huber»
Linas Antwort dagegen war kurz und klar:
«Zürich d. Nov. 1871
Sehr werther Herr Huber!
Nach reiflicher Überlegung fühle ich mich veranlasst, Ihnen meine Ansicht kund zu geben. Ihre Meinung werther Herr Huber ist jedenfalls zu achten und zu anerkennen, jedoch werden Sie mir nicht zürnen, wenn ich gleich frei heraus die offene Wahrheit schreibe.
Mit meiner Gesundheit geht es, Gott sei Dank, wieder bedeutend besser, so dass ich mich nicht mehr so gezwungen fühle, wie noch vor kurzer Zeit, das Rauchzimmer zu verlassen, sondern werde suchen, so lange es mir möglich, in meiner jetzigen Lage zu verharren. Ich ersehe aus Ihrem werthen Schreiben, dass Sie sich sehr um mein Befinden interessieren und bin Ihnen deshalb zu vielem Dank verpflichtet; aber so sehr wohlmeinend Ihr Vorschlag ist, werde ich mich doch nicht dazu entschliessen können. Ich bin schon zu lange bei Herrn Vontobels, als dass ich denken müsste, wenns mit meiner Gesundheit schlimmer gienge, dass mich namentlich Frau Vontobel so gut als Ihr [sic] nur möglich, mich verpflegen würde. Glauben Sie mir zwar werther Herr Huber, dass ich seit dem Todte meiner lieben unvergesslichen Eltern schon manche schwere, bittere Stunden durchzukämpfen hatte, dass ich mich oft ganz verlassen ohne irgend einen Mütterlichen Rath befand; aber das muss ich gestehen, dass mir meine liebe Frau Vontobel treu zur Seite stand, und mich ganz als eigene Tochter unterstützte.
Ich bitte Sie deshalb herzlich dringend werther Herr Huber, zürnen Sie mir nicht, wenn ich Ihren gehegten Hoffnungen und Wünschen nicht entgegnen kann.
Suchen Sie diese Gedanken so leicht als möglich zu vertreiben und zu vergessen und seien Sie überzeugt, dass ich Sie aus Achtung und Dankbarkeit fortwährend in hohen Ehren halten werden. [sic]
Genehmigen Sie desshalb nochmals die Versicherung meiner Achtung und Freundschaft ganz ergebenst
Lina Weissert»
Lina täuschte sich nicht, Familie Vontobel sorgte für ihre Gesundheit. Im folgenden Jahr ging sie bekanntlich zur Erholung ins Niedelbad ob Rüschlikon.
«Antwort von Lina. Mein Glück ist zu Ende.» Nun machte Huber einen grossen Bogen um die Bollerei, schickte aber regelmässig Zürcher vorbei, auf dass er das Neueste von Lina berichte. Hubers Füsse wurden schlimmer, er musste gar das Bett hüten. Dann besuchte er andere Wirtshäuser: «Mit Z. im Grünen Glas. Gegensatz!» Ganz ohne war das «Grüne Glas» indessen nicht, hier hatte sich drei Jahre zuvor Wilhelm Conrad Röntgen mit Bertha Ludwig, der Tochter des Wirts verlobt.
Um endlich seine berufliche Zukunft zu sichern, stürzte sich Huber intensiv in die Arbeit, oder wie er es Kleiner gegenüber beschrieb: «Aber der Schmerz ist nicht ein wehmütiger Liebesschmerz gewesen, die Nacht über wurde ausgeweint, und den folgenden Tag ging ich an die Arbeit, das einzige zu thun, was mir blieb, mir nun möglichst schnell eine rechte Stellung zu verschaffen.»135 Innert weniger Wochen verfasste er seine juristische Doktorarbeit. Anschliessend plante er mit dem Rest seines Erbes einen längeren Auslandaufenthalt. Nicht nur im Fall von Lina, auch beruflich dachte Huber in grossen Dimensionen: «Wahrscheinlich besuche ich Wien, Berlin, Paris, London um mir Material zu einer Arbeit über die neueren Codificationen zu sammeln. Das würde dann nämlich eine Vorarbeit für’s künftige schweizerische Gesetzbuch.»
Am 23. Dezember hielt Huber fest: «An Kleiner Lina anvertraut.» Kleiner hielt nichts davon, unrealistischen Liebesträumen nachzutrauern. Wohl als Trost für Huber schrieb er ihm von «Blödigkeit und Spröde». Damit kam er schlecht an. «Spröde, blöd ist sie gar nicht, man darf sie recht lieb haben und mit ihr scherzen.» Linas Antwort begründete er mit ihrem «Gefühl der Dankbarkeit gegen ihre Pflegeeltern». Huber glaubte, Lina liebe ihn. «Sie weiss nicht, dass ein Mann, der sie liebt, und den sie liebt, die grössten Ansprüche auf sie hat, und drängt alles zurück, was ihre Pietät gegen besagte Leute verletzen könnte … Für mich ist die Situation drum nur um so schlimmer. Da hilft kein Mephistoteles, weil keine Grete zu gewinnen ist, sondern eine Frau, die sehr viel, sehr viel erlebt hat.» «Was ich zu thun gedenke, habe ich dir bereits gesagt – wenn sie so lange lebt, bis ich ihr klar zeigen kann, dass meine Liebe mehr ist als Schwärmerei, wenn sie unterdessen vielleicht doch zur Einsicht kommt, dass sie nirgendwo so gut aufgehoben ist als bei einem Mann, da mag mir der grosse Wurf am Ende doch noch gelingen.»
Linas Gefühle schätzte Huber völlig falsch ein. Dagegen verblüfft seine prophetische Schlussfolgerung. «Lina ist mir nicht nur die erste Liebe, sie ist mir mehr, ich weiss, dass sie mir geben könnte, was mir fehlt: praktischen Idealismus, der Thun und Denken durchdringt. Mit ihr möchte ich wohl mehr leisten, als ohne sie mir je möglich ist, sie liesse mich nie mehr rückwärts gleiten. Nun, komm’s heraus, wie’s will, jedenfalls will ich mein Möglichstes thun, sie doch zu erlangen.»136 Er hielt Wort. Das Tagebuch 1871 hatte er – trotz Linas eindeutiger Absage – mit dem Versprechen geschlossen «Lina ich bleib dir treu.»
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