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Jeder Frau ihre Stimme


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Schweiz emigriert war. Einen ebenso nachhaltigen Eindruck hinterliessen bei Margrith Bigler-Eggenberger die Flüchtlinge, die während des Kriegs bei der Familie ein- und ausgingen. Bis in die heutige Gegenwart unvergesslich blieb ihr die Tatsache, dass die verwitwete Grossmutter 1948, nach Einführung der AHV, erstmals eigenes Geld ausbezahlt erhielt. Dass auch ihre Mutter – trotz ihres politischen Engagements – als Hausfrau finanziell gänzlich von ihrem Ehemann abhängig war, löste bei Margrith Eggenberger den festen Entschluss aus, als Frau immer auf eigenen Füssen zu stehen.

      Nach ihrem Studium der Rechte in Genf und Zürich dissertierte sie über die Resozialisierung von Straffälligen.114 Während der Recherchen zu ihrer Doktorarbeit in Bern wohnte sie temporär bei der Primarlehrerin Bertha Bigler, Adoptivmutter von Kurt Bergheimer. Mit seinen Eltern 1941 von Deutschland zuerst in die Konzentrationslager in Südfrankreich deportiert, war dem 1925 geborenen jüdischen Jugendlichen die Flucht und nach tagelangen Fussmärschen die Überquerung der Grenze nach Genf gelungen. Seine Eltern dagegen wurden in Auschwitz ermordet. Nach dem Krieg adoptierte Bertha Bigler den schwer erkrankten jungen Mann. In ihrem Heim begegneten sich Margrith Eggenberger und der acht Jahre ältere promovierte Historiker. Nach ihrer Heirat 1959 liessen sie sich in Ins nieder. Doch die beruflichen Aussichten sowohl am Gericht als auch in einer Anwaltskanzlei erwiesen sich für die St. Galler Juristin und Anwältin im Kanton Bern als äusserst schwierig. Die Wahl ihres Ehemanns ans Lehrerseminar Rorschach geriet daher ihrer eigenen Aussage gemäss zum zentralen Wendepunkt in ihrem Leben.115 Das Paar liess sich in Margrith Bigler-Eggenbergers Herkunftskanton nieder, was für sie der Beginn breiter beruflicher und politischer Aktivitäten bedeutete. Als eigenwilliges Mitglied des kantonalen Sozialversicherungsgerichts trieb sie die Verwaltung «zur Weissglut», da sie über die Anträge für Hilflosenentschädigung nicht nur aufgrund von Akten entscheiden wollte, sondern sich jeweils ein Bild von der Situation der Antragstellenden machte und dabei nicht selten über die arrogante Haltung der Verwaltung erschrak. Diese rekurrierte ihrerseits beim Eidgenössischen Versicherungsgericht in Luzern, das sie zurückpfiff: Ein persönlicher Augenschein sei nicht Sache des Gerichts.116 Dennoch war es für Margrith Bigler-Eggenberger eine reiche Zeit. Als erste Dozentin der Handelshochschule St. Gallen, der heutigen HSG, hielt sie Seminare und Vorlesungen zum Sozialversicherungsrecht und beteiligte sich an der Enquête über die Heimarbeiterinnen im Kanton.117 In ihrem gesellschaftspolitischen Engagement verband sie soziale Anliegen mit frauenspezifischen Postulaten. Als Vorstandsmitglied der Frauenzentrale St. Gallen stiess ihr Eintreten für die Etablierung der Familienplanung bei den Katholikinnen vorerst auf Misstrauen, doch gelang ihr in dieser Frage der Durchbruch. Als Vorstandsmitglied des Bundes schweizerischer Frauenorganisationen (BSF) vertrat sie diesen ab 1969 in der Schweizerischen AHV- und IV-Kommission, ebenso war sie Mitglied im Verwaltungsrat der SUVA. In der juristischen Kommission der Sozialdemokratischen Frauen der Schweiz arbeitete sie eng mit deren Präsidentin, Marie Böhlen, und anderen erfahrenen Juristinnen zusammen. Sie verfassten Vernehmlassungen zu anstehenden Gesetzesrevisionen und Einführungen zum Familienrecht für interessierte Leserinnen.118 Viele ihrer Vorschläge und Kommentare flossen in den 1990er-Jahren in die für Frauen bahnbrechende 10. AHV-Revision ein, was Margrith Bigler-Eggenberger bis in die Gegenwart mit Genugtuung erfüllt.119

      Nach Einführung des Frauenstimmrechts schlug die Sozialdemokratische Partei der Schweiz die inzwischen bekannte Juristin zur Wahl als Ersatzrichterin am Bundesgericht vor, zwei Jahre später folgte die Wahl zur ordentlichen Bundesrichterin. Als Ersatzrichterin in der staats- und verwaltungsrechtlichen Abteilung behandelte Margrith Bigler-Eggenberger als ersten Fall die staatsrechtliche Beschwerde von Zürcher Prostituierten, die sich gegen den Entscheid der Stadt Zürich stellten, sie auf ein Fabrikareal zu verdrängen. Mit dem Argument, auch für die «Dirnen» gelte die Handels- und Gewerbefreiheit, drang sie bei den Richterkollegen durch. Damit wurde Prostitution in der Schweiz von höchster Instanz als Berufstätigkeit definiert, ein Durchbruch auch das. Als ordentliche Richterin wurde sie gegen ihren Wunsch in die zivilrechtliche Abteilung versetzt, da die Mehrheit ihrer Kollegen offensichtlich der Meinung war, eine Frau gehöre ins Familienrecht. «Es war nicht immer ein einfaches Leben, aber meine Arbeit war ungemein befriedigend», so ihr Fazit Jahrzehnte später gegenüber der Republik.120 Langfristige Genugtuung erfuhr sie auch deshalb, weil ihre Argumente wegweisende Urteile zugunsten der Frauen begründeten. Einem Rentner, der verlangte, dass die Versicherung den Schaden bei der Entschädigung mitberücksichtigte, den er durch den Wegfall der Arbeitsleistung seiner Frau nach deren Tod erlitt, gab das Bundesgericht recht. Seit diesem Entscheid kann der errechnete Stundenlohn für Hausarbeiten Entschädigungsansprüche legitimieren. Auch erreichte Margrith Bigler-Eggenberger, dass das Bundesgericht in Scheidungsangelegenheiten die Notwendigkeit der sozialen Absicherung nicht erwerbstätiger Frauen im Urteil zu berücksichtigen hat, was später im neuen Scheidungsrecht klar geregelt wurde.121 Ein Höhepunkt ihrer Karriere war der erste Lohngleichheitsprozess der Schweiz 1977, Jahre vor der Verankerung des Gleichstellungsartikels in der Verfassung. Angespornt von der Genfer Sozialdemokratin Jacqueline Berenstein-Wavre legte eine Neuenburger Lehrerin eine staatsrechtliche Beschwerde wegen Lohndiskriminierung ein. Gestützt auf den damaligen Artikel 4 der Bundesverfassung, «Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich», und das von der Schweiz ratifizierte Übereinkommen der International Labour Organisation (ILO) «Über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit», gab ihr das Bundesgericht recht.122 Da zwischen 1980 und 1989 die Zusammensetzung der Richter der zivilrechtlichen Abteilung fortschrittlich geprägt war, fällten diese vielfach Entscheide, die ins neue Familienrecht von 1988 einflossen. Margrith Bigler-Eggenbergers Erfahrungen der Rechtsprechung in Gleichstellungsfragen schlugen sich in dem zusammen mit Claudia Kaufmann 1997 herausgegebenen Kommentar zum Gleichstellungsgesetz123 und insbesondere in dem von ihr veröffentlichten Standardwerk «Justitias Waage – wagemutige Justitia?» nieder. Sie wünscht sich darin entgegen der Norm eine «sehende Justitia», welche die Augen vor der Wirklichkeit der faktischen Ungleichheit trotz formaler Gleichheit nicht verschliesst.124

      Ihre publizistische Tätigkeit entfaltete Margrith Bigler-Eggenberger vorwiegend nach ihrer Tätigkeit als Bundesrichterin. Sie zog sich 1994, früher als beabsichtigt, vom Amt zurück, nachdem jüngere Kollegen Vorwürfe erhoben hatten, sie entscheide politisch.

      Über zwei Jahrzehnte war sie wöchentlich zwischen St. Gallen und Lausanne gependelt. Das Gelingen ihrer Ehe auf Distanz verdankte sie auch der fortschrittlichen Einstellung ihres Mannes, Kurt Bigler, mit dem sie die politische Einstellung und gemeinsame kulturelle und historische Interessen teilte, die eng von dessen Geschichte als jüdischer Flüchtling beeinflusst waren. So verfasste Margrith Bigler-Eggenberger 1999 für die Fachzeitschrift Recht einen Beitrag über die mörderischen Folgen des Bürgerrechtsverlusts durch Heirat mit einem Nichtschweizer für Frauen im Zweiten Weltkrieg.125 Schwerpunkt ihrer Interessen blieben neben den Fragen der Gleichstellung die soziale Sicherung und das Engagement gegen jegliche Form der Diskriminierung. So gilt für sie bis heute die Europäische Menschenrechtskonvention (ERMK) als eine Errungenschaft, die gegen alle Anfechtungen der Gegenwart verteidigt werden muss.126 Diese spielte ja zudem bei der Einführung des Frauenstimmrechts eine beschleunigende Rolle.127 Dass die Lohnungleichheit immer noch erst in kleinen Schritten gemindert wird, Jahrzehnte nach dem von ihr beeinflussten Bundesgerichtsentscheid von 1977, erachtet sie schlicht als penibel.128

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