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Jeder Frau ihre Stimme


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      Neue Horizonte

      Eine Öffnung markierte bereits 1971 die Zeitschrift Schritte ins Offene, die der EFB zeitgleich mit der Einführung des Frauenstimmrechts ab 1971 im Zeichen des ökumenischen wie sozialen Aufbruchs neu gemeinsam mit dem SKF anstelle der je eigenen Verbandszeitung herausgab.97 Die Redaktion dieser Zeitschrift, der unter anderen Marga Bührig, die Theologin und Leiterin des evangelischen Studienzentrums Boldern, und die Journalistin Anne-Marie Holenstein, die erste Sekretärin der entwicklungspolitischen Organisation Erklärung von Bern (heute Public Eye), angehörten, nahm in der Folge immer wieder Impulse von feministischer Seite auf und setzte selbst sozial- und entwicklungspolitische Akzente, die ihrerseits von jüngeren Feministinnen rezipiert wurden.

      Feministische Akzente setzte die 1976 eingesetzte EFK. Die Sozialdemokratin Emilie Lieberherr fungierte als deren erste Präsidentin, ihr folgte 1981 die Freisinnige Lili Nabholz-Haidegger. Auch dank dieser unerschrockenen Politikerinnen aus verschiedenen politischen Lagern erwies sich die EFK seit Anbeginn als Instrument, das die breite Palette rechtlicher Gleichstellungsfragen beleuchtete, neue feministische Themenbereiche aufgriff und auch politisch gesehen brisante Diskussionen nicht scheute. Von der neuen Frauenbewegung zuerst noch belächelt, zeigte sich die EFK bald als eine entscheidende Institution, die ihre Postulate aufnahm und institutionell absicherte.98 In der seit 1978 mehrmals jährlich erscheinenden EFK-Publikation Frauenfragen schrieben immer auch Autorinnen mit einem feministischen Hintergrund, so die in die SP eingetretene Feministin Gret Haller, die 1973 zu Menschenrechtsfragen dissertiert hatte und mit ihrer pointierten Aussage «Mehr vom Kuchen für Frauen heisst weniger für Männer» Machtfragen auf den Punkt brachte.99 1979 veröffentlichte sie im Auftrag der EFK in Frauenfragen den Beitrag «Die Stellung der Frau im Spiegel des internationalen Rechts».100 Noch im selben Jahr beleuchtete Lydia Trüb als Gewerkschafterin im Themenheft zur Arbeitswelt die ambivalente Haltung des SGB zur Teilzeitarbeit, und die Feministin Katharina Ley stellte die von ihr mitverfasste Untersuchung der Lebens- und Arbeitssituation italienischer Frauen in der Schweiz vor.101 Wie rasch Frauenfragen neue Ansätze aufgriff, bezeugte das im Herbst 1979 veröffentlichte Themenheft zur Feministischen Theologie.102 Auch die Demonstrationen zum 8. März und vielfältige Aktivitäten von FBB und OFRA erschienen in der regelmässig von der Redaktion der Frauenfragen erstellten «Chronologie der laufenden Ereignisse»: vom Schutz misshandelter Frauen bis zur Eröffnung des «Frauenzimmers» in Basel als erster Frauenbeiz in der deutschsprachigen Schweiz.103

      Dass die am offiziellen Frauenkongress von 1975 nicht thematisierte Homosexualität bereits gegen Ende der 1970er-Jahre von älteren Vertreterinnen der Frauenbewegung aufgegriffen wurde, erstaunt nur auf den ersten Blick. Enge Freundschaften und intime Lebensgemeinschaften zwischen Exponentinnen der Frauenbewegung prägten diese seit ihren transnationalen Anfängen im 19. Jahrhundert, ja sie ist ohne diese kaum denkbar. Erinnert sei nur an die Begründerinnen des BSF, Helene von Mülinen und Emma Pieczynska-Reichenbach,104 um die Jahrhundertwende oder an die Lebensgemeinschaft der Waadtländer Anwältin Antoinette Quinche mit der spanischen Frauenrechtlerin Clara Campoamor, die sich als im franquistischen Spanien verfolgte Republikanerin in der Schweiz niederliess.105 Nur über eine mögliche sexuelle Dimension dieser Lebensgemeinschaften wurde öffentlich nicht geredet und kaum geschrieben. So lebten und arbeiteten auch in den 1970er-Jahren sowohl Emilie Lieberherr106 als auch die Theologin Marga Bührig mit Frauen, ohne sich als Lesben zu definieren. Dennoch organisierte Bührig als Leiterin des evangelischen Tagungszentrums Boldern mit ihrer Partnerin Else Kähler ab 1974 die Tagungen für Lesben.107

      In der katholischen Paulus-Akademie lud ihrerseits Brigit Keller als Leiterin der von ihr aufgebauten Tagungen zu Frauen 1980 die Germanistin und Lesbenfront-Redaktorin Madeleine Marti zur Führung eines Gruppengesprächs und 1981 zu einem ersten Referat zu lesbischer Literatur ein.108 Ebenso ermöglichte Keller in der Paulus-Akademie Veranstaltungen von und mit Migrantinnen von bedeutender Wirkung.109 So rückten mit den Veranstaltungen von Lesben und Migrantinnen, die 1975 nur am Gegenkongress als feministische Aktivistinnen in Erscheinung getreten waren, gegen Ende der 1970er-Jahre neue Themen vom Rande ins Zentrum.

      Seit den Divergenzen zwischen Kongress und Gegenkongress um die private Haus- und Betreuungsarbeit gewann dieses Thema nach 1975 neue Beachtung – die Bewertung blieb umstritten, die Perspektive ambivalent. Mit dem Aufruf «Révalorisation!» pochte Berenstein-Wavre als Präsidentin des BSF auf die eidgenössische Anerkennung des sozialen und ökonomischen Werts der Familienarbeit. Als Sozialdemokratin trieb sie in der Romandie die Gründung des Syndicat des personnes actives au foyer (SPAF) voran und verankerte die Hausarbeit als Kernthema des 1978 gegründeten gewerkschaftsnahen Collège du Travail in Genf. Vor der Forderung nach «Lohn für Hausarbeit» wich sie allerdings ebenso zurück wie der BSF. Doch «Würdigung» allein genügte den feministischen Kritikerinnen des Kapitalismus nicht. Sie machten unter dem Begriff «Gratisarbeit» als feministischer Leitkategorie die Freiwilligen- und Hausarbeit der Frauen unabhängig vom Kriterium der Bezahlung als Arbeit erkennbar, darin allerdings der jahrzehntealten Tradition der Frauenbewegung nicht unähnlich.110 Trotz der Divergenz um die Bezahlung zeigten sich hier gemeinsame Wertungen der Hausarbeit, die sich als Debatte von grundlegender Bedeutung für die Frauenbewegung längerfristig am Horizont abzeichnen sollte: sei es im Kontext der Berücksichtigung in der AHV, sei es als gesellschaftlich unabdingbare Care-Arbeit. Diese Debatte sollte dem als Kampfparole verstandenen Aufruf Berenstein-Wavres neue Aktualität verleihen: «À la maison et au-dehors, je vaux de l’or!»111 In der von ihr 1977 initiierten und bis 2014 jährlich erschienenen «Agenda des femmes / Agenda der Schweizer Frau»112 zeigten sich gegen Ende der 1970er-Jahre die sich abzeichnenden Pluralitäten innerhalb der Frauenbewegung in ihrer ganzen Breite – als Aufbruch zu neuen Horizonten.

      Margrith Bigler Eggenberger

      Erste Bundesrichterin – mit Sensibilität für Gleichstellung und soziale Gerechtigkeit

      Ein Jahr nach Einführung des Frauenstimmrechts wählte das eidgenössische Parlament mit knappem Mehr die St. Galler Juristin Margrith Bigler-Eggenberger zur ersten Ersatzrichterin und zwei Jahre später ähnlich knapp zur ersten ordentlichen Richterin am Bundesgericht in Lausanne. Ihre Arbeit sei ungemein befriedigend gewesen, sagt sie heute. Nicht zuletzt deshalb, weil ihre Argumente wegweisende Urteile zugunsten der Frauen begründeten.

      Das Prozedere und die Resultate der Wahlen Margrith Bigler-Eggenbergers zur Ersatzrichterin und dann zur ersten ordentlichen Richterin am Bundesgericht waren symptomatisch für die immer noch geringe Wertschätzung der Frauen in der Schweizer Politlandschaft der 1970er-Jahre. Ein Politiker manipulierte ihren beruflichen Werdegang in den Bewerbungsunterlagen und liess sie damit als unerfahrene Praktikantin und Hausfrau erscheinen. 1972 opponierte der fremdenfeindliche Nationalrat Robert Schwarzenbach offen gegen ihre Kandidatur, 1974 ein St. Galler Jungpolitiker. Das CVP-Organ Die Ostschweiz griff sie als Kindsmörderin an, weil sie für die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs eintrat. Und überhaupt, so die Meinung vieler, «könne man den roten Frauen nicht trauen».113 Unglaubliche 17 Jahre lang sollte sie die einzige Bundesrichterin bleiben, bis 1991, dem Jahr des ersten Frauenstreiks. Margrith Bigler-Eggenbergers Erfolge während ihrer langen Tätigkeit zeugen von ihrem starken Engagement im Dienste der Menschenrechte, der Gleichstellung der Frauen, der Gerechtigkeit und sozialen Absicherung der schwächeren Mitglieder der Gesellschaft, einem Engagement, das in ihren lebensweltlichen Erfahrungen verwurzelt ist.

      Geboren 1933 in Henau-Uzwil, einer von der Textil- und Maschinenindustrie geprägten St. Galler Gemeinde, war Margrith Eggenberger seit Kindsbeinen mit der Armut vieler Arbeiterfamilien konfrontiert, einem Thema, das in der Familie mit fünf Kindern immer wieder abgehandelt wurde. Ihrem Vater, einem sozial-religiös ausgerichteten Primarlehrer, gelang als Sozialdemokrat und Bauernsohn der Aufstieg zu einem der profiliertesten Politiker des Kantons: Er war Regierungsrat, dann National- und schliesslich Ständerat. Die Mutter gehörte zu den Mitbegründerinnen