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Jeder Frau ihre Stimme


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Gegenkongress ein überaus grosses Medienecho. Fazit im offiziellen Schlussbericht: «Der Antikongress hat die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nicht nur auf die Anliegen der Frauenbefreiungsbewegung gelenkt, sondern auch auf den Kongress. Dieser wurde plötzlich zu einem Ereignis, das in aller Munde war.»84 Die an beiden Orten über informelle wie institutionalisierte Mittel aufgegleisten Themen blieben über den Januar 1975 von öffentlichem Interesse und führten weiterhin sowohl zu Abgrenzungen wie zur Zusammenarbeit.

      Paradoxien im Kampf um die Initiativen zu Abtreibung, Mutterschaft und Gleichstellung

      Deutlich bezeugte die 1977 neu gegründet OFRA diese Integration in die institutionalisierte Art des Politisierens mit ihrer bereits am Gründungskongress deklarierten Absicht zur Lancierung einer Mutterschaftsinitiative.85 Damit band sich die neue Organisation in die Tradition der Arbeiterinnenbewegung ein, für die Lohnfortzahlung während des gesetzlich verordneten Mutterschaftsurlaubs und Kündigungsschutz während der Schwangerschaft seit Ende des 19. Jahrhunderts unabdingbar zu einem echten Mutterschutz zählten. Wenig Interesse zeigte sie anfänglich an der Kritik der Lesben an der Heteronormativität, deren Einfluss in der neuen Frauenbewegung einige ihrer Exponentinnen unterschwellig ablehnten.86 Diese Haltung war neben der Organisationsstruktur mit ein Grund für Spannungen mit der FBB. Statt auf autonom agierende Arbeitsgruppen und lose Koordination setzten sie auf lokale Sektionen, Delegiertenversammlung, Vorstand und Sekretariat.

      Nachdem die Sozialdemokratinnen und Frauen des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) protestiert hatten, dass die OFRA sich aus Profilierungsgründen ihrer Anliegen bemächtigt habe, wurden breite Kreise in die Vorbereitung der Initiative miteinbezogen. Die Beteiligung von FBB und MLF an der Ausarbeitung signalisierte eine grundsätzliche Wende, die zu internen Diskussionen führte, da es sich mit dem starken Einfluss der Gewerkschaften nicht mehr um ein autonomes Frauenprojekt handelte. Kernstück waren neben dem Kündigungsschutz ein bezahlter Mutterschaftsurlaub von 16 Wochen und ein dem Vater oder der Mutter wahlweise zustehender bezahlter Elternurlaub von neun Monaten.87 Während Frauen aus dem linken Parteienspektrum und der Gewerkschaften sowie aus FBB und MLS dem Initiativkomitee beitraten, konnte sich weder die Frauengruppe des SKV unter Alice Moneda noch der BSF – obwohl er seit seinem Bestehen ein klarer Befürworter der Mutterschaftsversicherung war – zur Unterstützung der Initiative durchringen, ebenso wenig der SKF, obwohl er sich als Gegenstrategie zur Fristenlösung der Verteidigung der Mutterschaft verschrieben hatte. Die Ablehnung galt insbesondere dem neunmonatigen Elternurlaub, dem Kernstück der feministischen Anforderungen an die Initiative. Nur die dem EFB zugeordnete Evangelische Frauenhilfe legte, von Initiantinnen und Frauenverbänden kaum beachtet, ihrer Zeitschrift Unterschriftenbogen bei.88 Auch das Interesse der autonomen Feministinnen hielt sich wegen des Gewichts von OFRA und Gewerkschaften in Grenzen. Doch der Elternurlaub bedeutete implizit ansatzweise die Bezahlung der Hausarbeit als feministisches Anliegen. So beteiligten sich die FBB wie die Radikalfeministinnen an der Lancierung im Herbst 1978.89 Die Volksinitiative «Für einen wirksamen Schutz der Mutterschaft», zu dessen Komiteemitgliedern unter anderem Ruth Dreifuss als Vertreterin des SGB, die neu SP-nahen Feministinnen Christiane Brunner und Gret Haller sowie die Radikalfeministin Ursula Streckeisen gehörten, wurde Anfang der 1980er-Jahre mit einem Anteil von rund 85 Prozent Nein-Stimmen brutal verworfen. Es sollte über zwanzig Jahre dauern, bis die heute gültige, höchst bescheidene Vorlage gesetzlich verankert wurde.

      Nur geringe Unterstützung der Frauenverbände erhielt auch die Gleichstellungsinitiative, obwohl sie 1975 vom Kongress im Berner Kursaal lanciert worden war. Die Ausformulierung der Initiative zur «Gleichbehandlung von Mann und Frau in Gesellschaft, Familie, Arbeitswelt, Erziehung und beruflicher Ausbildung» war vorwiegend ein Werk von Jacqueline Beren stein-Wavre und ihrem Ehemann Alexandre Berenstein, Bundesrichter und Generalsekretär der Internationalen Gesellschaft für das Recht der Arbeit und der Sozialen Sicherheit. Beim Gleichstellungsartikel ging es Berenstein-Wavre um die Menschenrechte, wie sie von der UNO definiert waren: «L’homme et la femme sont égaux en droit et en dignité.»90 Trotz der Beteiligung ihres Ehemanns bei der Ausarbeitung war es die erste nur von Frauen lancierte Verfassungsinitiative der Schweizer Geschichte überhaupt. Sechs der fünfzehn Mitglieder des Initiativkomitees waren bereits Mitglied der ARGE gewesen, darunter Alice Moneda vom SKV, Lydia Lenz-Burger und Jacqueline Berenstein-Wavre, Letztere allerdings nur als Einzelperson und nicht als Vertreterin des BSF, den sie präsidierte. Dieser tat sich schwer mit der Initiative und beteiligte sich nicht an der Unterschriftensammlung, da in der Delegiertenversammlung die dafür notwendige Zweidrittelsmehrheit nicht erreicht wurde. Selbst die Delegierten des SVF, wie sich der vormalige Frauenstimmrechtsverein nun nannte, verweigerten die aktive Unterstützung. Vor allem die Westschweizer Sektionen vertraten die Meinung, die Bevölkerung goutiere die «Flut von Initiativen» nicht. Es sei besser, die Gleichstellung auf der Gesetzes- statt auf der Verfassungsebene zu verfolgen, eine Haltung, welche die ehemalige Verbandspräsidentin Lotti Ruckstuhl-Thalmessinger scharf kritisierte. Ebenso kritisierte sie als langjähriges engagiertes Mitglied den SKF, der wie auch der EFB und der SGF es ablehnte, sich am Sammeln von Unterschriften zu beteiligen.91 Bemerkenswert war die Unterstützung der Initiative durch die Zürcher Frauenzentrale. Dem Argument, die Männer könnten ob der Initiative «vertäubt» sein, entgegnete die Präsidentin Hulda Autenrieth-Gander, Mitorganisatorin des Frauenkongresses von 1975, ganz undiplomatisch: «Jede Freiheitsbewegung – und die Frauenbewegung gehört mit dazu – ist unbequem, muss unbequem sein. Sie stellt Fragen und Forderungen, verlangt Überdenken des Gewohnten und Verzicht auf Privilegien.»92

      Dennoch: Der Rückhalt in der bürgerlichen Frauenbewegung war gering. Dass in der vorgegebenen Frist die Unterschriften dennoch zusammenkamen, war neben dem persönlichen Einsatz der Mitglieder des Initiativkomitees auch der nicht eingeplanten Unterstützung junger Feministinnen zu verdanken. Die entscheidenden fehlenden Unterschriften sammelten im Schlussspurt Frauen von der FBB, dem MLF und insbesondere POCH-Frauen, die alle noch im Januar in Bern kaum Interesse für rechtliche Gleichstellungsfragen markiert hatten, liefen doch gleichzeitig die Diskussionen um die Abtreibungsparagrafen.93 Überraschend war die Kehrtwende nicht. Einige der Gründerinnen des MLF und der FBB waren verheiratet, hatten Kinder; die rechtliche Ungleichstellung in der Familie wirkte sich direkt auf ihr Leben aus. Zudem liess der ausformulierte Gleichstellungsartikel in Bezug auf die geschlechterspezifische Arbeitsteilung in Familie und Beruf Spielraum für feministisch geprägte Deutungen. Und für die POCH-Frauen war die Nutzung politischer Institutionen Teil ihres linken Programms. Gleichstellungs-, Mutterschafts- und Fristenlösungsinitiative waren in ihrer 1975 – fast zeitgleich mit der Fraue-Zitig und der Lesbenfront – gegründeten Zeitschrift Emanzipation gewichtige Inhalte.

      Um der Verankerung der Gleichstellung in der Verfassung eine Chance zu geben, zog das Initiativkomitee die Initiative zurück, nachdem Bundesrat und Parlament für einen detaillierten Gegenvorschlag mit analogem Inhalt, aber ohne feste Umsetzungsfrist votiert hatten94 – für die jüngeren Feministinnen ein unverzeihliches Einknicken vor dem patriarchalen Dominanzgebaren von Politikern und Wirtschaftsverbänden. Dafür unterstützten nun – eine neue Kehrtwende – die meisten Frauenverbände, von BSF über SVF, SKF, EFS und den Bund schweizerischer israelitischer Frauenvereine (BSIF) bis zum Verband der Akademikerinnen den Gegenvorschlag mit einem klaren Ja. Die Unterstützung verweigerte weiterhin der SGF: Es brauche Gesetze, keinen Verfassungsartikel. Ebenso distanzierte sich der Verband der Berufs- und Geschäftsfrauen (heute BPW) von der Initiative mit dem alten Argument aus den 1950er- und 1960er-Jahren, Gleichstellung solle nicht erzwungen werden. Die Unterstützung verweigerten auch die Freisinnigen Frauen, obwohl profilierte Freisinnige wie Lili Nabholz-Haidegger seit Anbeginn für die Verankerung in der Verfassung eintraten. Eine Kehrtwende gab es auch bei den deklarierten Feministinnen: Zita Küng von der OFRA stellte für den Abstimmungskampf Unterlagen zur Lohngleichheit zusammen, Martine Chapponière-Grandjean, Mitbegründerin des MLF, leitete das Genfer Komitee und übernahm das Präsidium der Zeitschrift Femmes Suisses, des Organs der Frauenstimmrechtlerinnen.95 Sie alle trugen zum Erfolg bei: Am 14. Juni 1981 votierten Stimmende und Kantone für die Verankerung der Gleichstellung in der Verfassung. Für Berenstein-Wavre «le plus beau jour de ma vie». Ein Tag, eine Abstimmung, die ein Jahrzehnt später mit dem Frauenstreik einen Mobilisierungseffekt von historischer