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Jeder Frau ihre Stimme


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die sich einbringen wollten, indem sie beispielsweise in gesetzgebenden Kommissionen mitarbeiteten. Autonomie hiess für die neue Frauenbewegung, sich abzugrenzen, von geschlechtergemischten Organisationen und Gruppierungen generell, auch von der Neuen Linken mit ihrer Fixierung auf Produktionsverhältnisse im Besonderen.50 Mit linken Männern liierte Frauen tauschten sich in den von den USA inspirierten Selbsterfahrungsgruppen über die gesellschaftliche Dimension ihrer alltäglichen Zurücksetzung im Privaten aus. Sie verweigerten unter dem Slogan «Das Private ist politisch» die Subsumierung feministischer Zielsetzungen unter vorgegebene Leitlinien. Vielmehr verknüpfte die neue transnationale feministische Bewegung Kapitalismus- und Patriarchatskritik, die sich der Deutungshoheit von Männern jedwelcher politischer Couleur und Machtposition entzog. Sie übernahm zwar kämpferische Begriffe der militanten Arbeiterbewegung und das Symbol der erhobenen Faust. In Verbindung jedoch mit dem Frauenzeichen markierte es den eigenständigen Kampf gegen die Unterdrückung – ein Symbol von transnationaler Kraft, das bis heute Frauen auf verschiedenen Kontinenten zu mobilisieren vermag. Während zu Beginn der 1970er-Jahre auf Flyern und Transparenten die geballte Faust das Frauenzeichen als Fessel sprengte, so wandelte sich das Symbol in der Folge gewonnener Autonomie zu einem positiven Zeichen selbstbewussten Frauseins, das sich patriarchaler Definitionsmacht entzog.51

      Die Verbindung von Autonomie und Patriarchatskritik führte zu ganz spezifischen Aktionsformen. Die Frauen bildeten Arbeitsgruppen, die gänzliche Planungs- und Handlungsfreiheit hatten. Eine zentrale Entscheidungsinstanz gab es nicht. Der hierarchiefreie Austausch zwischen Frauen stand im Vordergrund. Doch um sich autonom auszutauschen und unabhängig zu handeln, brauchte es Räume. So erkämpfte sich die neue Bewegung zuerst in Zürich, dann in weiteren Städten meist von den lokalen Behörden und mit unterschiedlichem Einsatz – von Verhandlungen wie in Zürich bis zu Hausbesetzungen wie in Genf52 – zu «Frauenzentren» deklarierte Liegenschaften. In diesen Treffpunkten tauschten sich Frauen in Selbsterfahrungsgruppen aus, disputierten über Politik, gestalteten Projekte, planten Aktionen und eröffneten Beratungsstellen.

      Äusserst initiativ zeigten sich bei dieser Suche nach autonomen Räumlichkeiten in den grösseren Städten neu entstandene Lesbengruppen: die Gruppe Sappho s’en fout in Genf und die Homosexuelle Frauengruppe (HFG) in Zürich. Sie grenzten sich von der Bewegung der Homosexuellen ab, da nach ihrer Erfahrung auch dort vorwiegend Männer das Sagen hätten. Erstmals traten Lesben nach aussen als selbstbewusst agierende Gruppe auf, sparten jedoch auch nach innen nicht mit Kritik an den bewegten Frauen. Sie hätten es satt, sagten beispielsweise Genferinnen, in Selbsterfahrungsgruppen immer das Jammern über die privaten Konflikte mit den eigenen Männern – «nos mecs» – zu hören oder nur über den straflosen Schwangerschaftsabbruch zu debattieren: «Ce n’est pas l’homosexualité qui nous réprime. C’est vous.»53 Längerfristig avancierten die Lesben in den Städten zum militantesten Kern der neuen Frauenbewegung. Sie waren entscheidend an der Entwicklung von autonomen sowohl hierarchie- als auch männerfreien Lebens- und Arbeitskulturen beteiligt. Sie sahen Lesbischsein bis in die späten 1980er-Jahre auch als politisches Programm und Frauenbeziehungen als befreiende Praxis. Bereits 1974 erkämpften sich Lesben in Zürich ein eigenes «Lesbenzimmer» im eben erst eröffneten Frauenzentrum an der Lavaterstrasse 4, wo zwei Arbeitsgruppen ab 1975 fast zeitgleich zwei neue Zeitschriften planten und gestalteten: die Lesbenfront (später Frau ohne Herz) mit scharfer Kritik an der gesamtgesellschaftlich dominierenden «Heterosexualität» zum einen, die Fraue-Zitig (später FRAZ) als Sprachrohr der verschiedenen thematischen Arbeitsgruppen zum andern, die beide weit über Zürich hinaus Verbreitung fanden.54 Von zwei abgegrenzten Strömungen zu sprechen, wäre allerdings verfehlt, vielmehr zeigten sich auch innerhalb der neuen Frauenbewegung Pluralitäten mit unterschiedlicher Akzentsetzung, selbst bei Themen mit gleicher Zielrichtung wie der Forderung nach «freier Abtreibung»: von der sexuellen Ausbeutung und Not ärmerer Frauen über die Selbstbestimmung und Verfügung über den eigenen Körper bis zur grundsätzlichen Ablehnung männlich definierter Praktiken der Sexualität.

      Thema Abtreibung – auf der Strasse und im Parlament

      Mit den Parolen «Mein Bauch gehört mir» und «Kinder oder keine, entscheiden wir alleine» forderte die neue Frauenbewegung ultimativ, dass Abtreibung nicht mehr unter Strafe gestellt werde. Sie beanspruchte mit diesen Parolen auch die Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Kontroll- und Machtansprüchen, die von Männern repräsentiert und ausgeübt werden: von Richtern, Theologen oder Ärzten. Doch die Forderung nach «freier Abtreibung» war im Gegensatz zu anderen Ländern in der Schweiz nicht von der neuen Frauenbewegung lanciert worden. Die Initiative «für Straflosigkeit der Schwangerschaftsunterbrechung» wurde im Dezember 1971 von einem fünfköpfigen Komitee von drei Männern und zwei Frauen – dank des Frauenstimmrechts war dies nun Frauen erstmals möglich – eingereicht. Drei Jahrzehnte sollte die dadurch ausgelöste Auseinandersetzung dauern.55 Es ging um die Streichung der Paragrafen 118 bis 121 des schweizerischen Strafrechts. Bei der Sammlung der Unterschriften engagierten sich neben Frauen und Männern unterschiedlicher politischer und gesellschaftlicher Zugehörigkeit auch die zur Neuen Linken zählenden Progressiven Frauen Basel und Aktivistinnen der neuen Frauenbewegung, insbesondere aus den Reihen der FBB Zürich. Trotz ihrer Absetzung von institutionalisierten Wegen des Politisierens verstanden sie diese Initiative als Ausdruck der transnationalen Mobilisierung für «freie Abtreibung» und Selbstbestimmung. Dabei gingen sie in ihrer Argumentation und ihrem Forderungskatalog weit über den Rahmen der Initiative hinaus und verlangten die Übernahme der Kosten durch die Krankenkasse.

      Die Initiative beschäftigte in starkem Masse auch die in Verbänden organisierte bürgerliche Frauenbewegung. So setzte sich die Kommission für Soziales des BSF mit dem Thema auseinander und berief kurz darauf eine Ad-hoc-Kommission mit mehrheitlich jüngeren Frauen ein, um die verschiedenen Möglichkeiten eines straffreichen Abbruchs zu erörtern.56 Ähnlich verfuhren andere Frauenverbände, um im Vernehmlassungsverfahren der Gesetzesvorlage des Bundesrats Stellung zu beziehen. Dieser hatte als Reaktion auf die Initiative verschiedene Möglichkeiten eines Abbruchs formuliert – von der medizinischen über die soziale Indikation bis zur Fristenlösung. Mit Ausnahme des SKF und dessen grundsätzlicher Opposition gegen die Abtreibung sprach sich die Mehrheit der Frauenverbände bei der Vernehmlassung 1973 für die Fristenlösung aus. Eine kleine Minderheit trat sogar für die von der Initiative verlangte Straffreiheit ein. Selbst der Evangelische Frauenbund (EFB) stellte sich gegen die Kriminalisierung des Abbruchs, doch nicht wie die jungen Feministinnen aus Gründen weiblicher Selbstbestimmung, sondern im Sinne einer «Notlösung», da bei der herrschenden Doppelmoral die Kriminalisierung einseitig die Frauen treffe. Nach Meinung des EFB mache die von der FBB als Mittel zur Selbstentfaltung angepriesene Pille auch nicht frei. Frauen falle es wegen der ihnen damit auferlegten Verantwortung für die Verhütung vielmehr oft noch schwerer, in sexuellen Beziehungsverhältnissen selbstbestimmendes Subjekt zu sein. Die Parole «Mein Bauch gehört mir» werde nur dann Realität, wenn jegliches ausbeuterisches Verhalten der Männer verboten sei.57 So sah sich der EFB wegen der Volksinitiative gezwungen, sich mit den Argumenten des neuen Feminismus auseinanderzusetzen. Trotz gänzlich unterschiedlichen Entstehungshintergrunds gab es gerade in Fragen von Doppelmoral und Verfügung über den Körper der Frauen gewisse argumentative Schnittstellen.58

      Doch auf der Ebene der medienwirksamen Aktionen gab weiterhin die FBB den Ton an, die 1975, in dem von der UNO ausgerufenen Jahr der Frau, einen Höhepunkt erreichten. Im März ebendieses Jahres diskutierte das eidgenössische Parlament in Bern über die Gesetzesparagrafen zum Schwangerschaftsunterbruch, ein Anlass für die erste grosse Frauendemonstration der Schweiz zum 8. März auf dem Bundesplatz. Sie blieb weitgehend ohne Wirkung auf die parlamentarische Gesetzgebung, genauso wie die grosse Nationale Demonstration für die Legalisierung der Abtreibung mit mehreren Tausend Teilnehmerinnen am folgenden Wochenende in Zürich oder gar die Aktion von rund 15 FBB-Aktivistinnen im Oktober 1975 auf der Tribüne des Nationalratssaals. Sie pfiffen, skandierten «Abtriibig frei, Nationalröt gönd hei» und «Des enfants ou non, c’est nous qui décidons», entrollten ein Transparent, warfen gleichzeitig Flugblätter und nasse Windeln in den Saal.59 Die Debatte zum Schwangerschaftsabbruch wurde kurz unterbrochen. Doch das Parlament und der dafür zuständige CVP-Bundesrat Kurt Furgler blieben bei ihrer Ablehnung der