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Jeder Frau ihre Stimme


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vorgeschlagene Fristenlösung, die Straflosigkeit des Unterbruchs in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft, für die sich im selben Jahr der von den Frauenverbänden organisierte Frauenkongress im Berner Kursaal ausgesprochen hatte. Daher zog das fünfköpfige Komitee die von ihm lancierte Initiative für einen straflosen Schwangerschaftsabbruch zugunsten einer «Fristenlösungsinitiative» zurück. Diese erhielt die Unterstützung einer breiten Allianz von Frauenverbänden und Frauen bürgerlicher Parteien, allerdings nicht aus den Reihen der CVP mit Ausnahme der späteren Luzerner Nationalrätin Judith Stamm.60 Die katholischen Politikerinnen plädierten zusammen mit dem SKF für mehr Hilfe für Schwangere in prekären Verhältnissen und gründeten diesbezüglich einen spezifischen Fonds.61

      Aktivistinnen der neuen Frauenbewegung reagierten ihrerseits heftig auf den Rückzug der Initiative zum straflosen Schwangerschaftsabbruch, der den Kampf um die gänzliche Selbstbestimmung in Sachen «Kinder oder keine» – ohne äussere Beschränkung oder Kontrolle – unterlaufe: «Nous ne supportons aucune instance au-dessus de nous. Ce n’est pas une loi qui nous fera gagner le libre contrôle de notre corps.»62 Während in der Romandie das MLF auch im Abstimmungsjahr 1977 noch lautstark gegen die Fristenlösung opponierte, unterstützten in der deutschen Schweiz, wenn auch mit Vorbehalt, zunehmend viele FBB-Frauen und die Mitglieder der in ebendiesem Jahr aus den POCH-Frauen herausgewachsenen Organisation für die Sache der Frau (OFRA) die Fristenlösung.63 So auch über den mit Unterstützung der Zürcher Infra produzierten Film «Lieber Herr Doktor» von Hans Stürm und dem Filmkollektiv, in dem unter anderem eine Abtreibung mit der damals neuen Absaugmethode vorkam.64 Dass die Fristenlösung als Kompromiss schliesslich wohl von der Mehrheit der Feministinnen Unterstützung erhielt oder zumindest an der Urne bejaht wurde, ist paradigmatisch für den Integrationsprozess der sozialen Bewegung ins schweizerische Politsystem.

      Feministische Projekte zwischen Autonomie und Institutionalisierung

      Während die Frauenverbände über den Schwangerschaftsabbruch in Kommissionen berieten und in Delegiertenversammlungen debattierten, avancierte die Abtreibung in der neuen Frauenbewegung in verschiedenen Arbeitsgruppen (AGs) zum zentralen Thema, unabhängig davon, ob sie sich explizit mit Sexualität und Körperpolitik beschäftigten oder eher mit alternativen Beratungsangeboten, wie beispielsweis die AG Infra im Zürcher Frauenzentrum. Diese bereits 1972 gegründete Informationsstelle von Frauen für Frauen verstand das Gespräch von nichtprofessionellen Auskunftgebenden mit Ratsuchenden als Akt der Solidarität und Ausdruck des gegenseitigen Austauschs, von dem emanzipatorische Impulse für beide Seiten resultieren sollten. Dieses Modell wurde im Laufe der 1970er-Jahre in grösseren Gemeinden der Deutschschweiz und der Romandie, im Consultorio delle Donne in Lugano und in den Anlaufstellen der sich neu formierenden feministischen Migrantinnengruppen nachgeahmt.65 Aktivistinnen boten Information zu diversen Fragen: von beruflicher Ausbildung über Lohn, Scheidung, Erziehung und Verhütung bis zum Schwangerschaftsabbruch. Insbesondere in letzterem Bereich blieb der intendierte gegenseitige Austausch allerdings weitgehend illusorisch. Wegen des Abtreibungsverbots und der unumgänglichen zeitlichen Dringlichkeit war die als feministisches Engagement verstandene Vermittlung von Möglichkeiten zum Abbruch bald einmal das dringlichste Angebot. Es ging dabei selten um Emanzipation, sondern schlicht um Hilfe in einer oft als extrem empfundenen Notsituation.

      Andererseits waren Beratungen von Frauen auch ein Standbein verschiedener lokaler Frauenorganisationen wie der Frauenzentrale Zürich. Diese nahm mit einem gewissen Argwohn von der neuen Beratungsstelle Kenntnis und schickte zwei erwachsene Töchter von Mitgliedern mit verschiedenen Fragen an die Lavaterstrasse, um zu sehen, «ob an Ort und Stelle Ärzte und Juristen vorhanden sind».66 Mit Erleichterung erfuhren sie, dass die Infra lediglich Fachpersonen und -stellen vermittelte, wie das auch ihre Beratungsstelle tat; die behandelten Probleme waren mehrheitlich dieselben. Bezüglich Schwangerschaftsabbruch sah sich die Frauenzentrale allerdings veranlasst, per Handzettel darauf aufmerksam zu machen, dass die «Frauenzentrale» mit dem «Frauenzentrum» verwechselt werde. Sie hielt mit aller Deutlichkeit fest, dass sie «keine Adressen von Aerzten und Kliniken, weder in der Schweiz noch im Ausland, vermitteln [würden], die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen».67 Während die Frauenzentrale ihr unentgeltliches Angebot als Unterstützung von Hilfesuchenden sah, implizit ein hierarchisch strukturiertes Tun für die anderen, gaben die Infra-Frauen ihrem ebenfalls unentgeltlichen Beratungsgespräch eine ebenso antiautoritäre wie radikal-egalitäre Wende:68 «Wir arbeiten zwar umsonst, wollen aber kein Wohltätigkeitsverein sein, sondern wir versuchen, Solidarität mit andern Frauen in der konkreten Situation zu praktizieren. […] Erfolgreich wären unsere Gespräche dort, wo sie, neben der praktischen Hilfe, als Anstoss wirkten zur Infragestellung der heutigen, gesellschaftlichen Situation der Frauen.»69 Mit der Ablehnung von «Wohltätigkeit», dem Tun für die anderen, setzten sich die neuen Feministinnen von den Aktivistinnen der meisten älteren Frauenverbände ab. So zeugten beide Haltungen – der Argwohn der Frauenzentrale gegenüber den «progressiven Frauen» der FBB zum einen und die abschätzige Haltung der Infra Zürich zum andern – von einer gleichermassen verzerrten Wahrnehmung, die wenig Raum für Gemeinsames liess. Das Logo der Infra, eine das Telefon umfassende Faust im Frauenzeichen, markierte das Verständnis feministischer Beratung als Teil des Kampfes gegen die gesellschaftliche Unterordnung und Ausbeutung der Frauen.

      Trotz der markierten Abgrenzungen kam es insbesondere im Bereich von Fragen der Gewalt gegen Frauen zu Annäherungen, die vom informellen Austausch bis zur institutionalisierten Kooperation gingen. So zeigte sich die Zürcher Infra gegen Ende der 1970er-Jahre froh über das Angebot des Marthahauses, das im 19. Jahrhundert vom Verein Freundinnen junger Mädchen zum Schutz junger Arbeit suchender Frauen vor Prostitution gegründet worden war. Es zeigte sich bereit, einige Zimmer für die temporäre Unterbringung von Gewalt betroffener Frauen zur Verfügung zu stellen. Mit der Frauenzentrale Zürich kam es schliesslich zur offiziellen Zusammenarbeit, als die Arbeitsgruppe Gewalt des Frauenzentrums Zürich nach ihrer Teilnahme am Internationalen Frauentribunal von 1976 in Brüssel das als autonom verstandene Projekt «Haus für geschlagene Frauen» zu realisieren suchte. Nicht nur galt es, ein Mietobjekt zu finden, es sollten neben dem freiwilligen Engagement von Frauen für das Projekt auch Mitarbeiterinnen eingestellt und der alltägliche Unterhalt finanziert werden. Geld war also eine unabdingbare Voraussetzung für die Umsetzung, erforderte aber ebenso eine formale Struktur. Letzterem kam die Gründung des Vereins zum Schutz misshandelter Frauen nach, Ersterem die Gesprächsbereitschaft der gut vernetzten und freisinnigen Politikerin Liselotte Meyer-Fröhlich von der Zürcher Frauenzentrale einerseits und einiger Initiantinnen des Projekts wie der Juristin Jeanne Dubois andererseits. Erst die zum Zwecke der Finanzbeschaffung gegründete Stiftung ermöglichte die Realisierung des Frauenhauses als feministisches Projekt: eine Mischung von Institutionalisierung und Autonomie.70 Nach ähnlichem Muster kam es im gleichen Jahr in Genf, 1980 in Bern und bald schon in weiteren Städten zur Eröffnung von Notunterkünften für geschlagene Frauen. Wie die Infra-Frauen mussten auch die Frauenhaus-Aktivistinnen allerdings zur Kenntnis nehmen, dass sich die wenigsten der Schutz suchenden Frauen aufgrund sexualisierter Gewalterfahrung zum Feminismus bekannten. Die autonom geplanten feministischen Projekte entwickelten sich vielmehr zu Institutionen mit sozialstaatlicher Funktion.71

      Kongress und Gegenkongress – Trennlinien und Gemeinsamkeiten

      Mit der Ausrufung von 1975 zum «Jahr der Frau» rief die UNO gleichzeitig den 8. März, der in der Nachkriegszeit de facto fast nur noch in kommunistisch regierten Staaten als Feiertag begangen wurde, zum Internationalen Tag der Frau aus. Von nun an geriet er zu einem jährlichen Orientierungspunkt für die Frauenbewegungen verschiedenster Richtungen, trotz ihrer gegenseitigen Abgrenzungen.72 In der Schweiz zeigte sich die Wechselwirkung von Abgrenzung und Annäherung geradezu paradigmatisch 1975 in Bern, wo im Januar gleichzeitig ein offizieller Kongress und ein Gegenkongress stattfanden.73

      Zum «Jahr der Frau» luden rund achtzig Frauenorganisationen unter dem Motto «Partnerschaft – Collaboration dans l’égalité – Rapporto di coppia» vom 17. bis 19. Januar zu einem dreitägigen Kongress in den Kursaal ein. Neben den bekannten gesamtschweizerischen Frauenverbänden wie dem BSF, dem SKF und dem Schweizer