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Jeder Frau ihre Stimme


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deuteten die Verbände und Vereine das Motto «Partnerschaft» auf ihre Weise. So verwies der Evangelische Frauenbund Schweiz (EFS) mit Plakaten auf Partnerschaft im Sinne der Bibel,74 der SKF verstand darunter mehr die gegenseitige Hilfe und Unterstützung von Mann und Frau in der Familie, aber auch im Berufs- und Sozialleben. Ausgangspunkt des Kongresses war die von der Schweizerischen UNESCO-Kommission und dessen Mitglied Perle Bugnion-Secrétan, Präsidentin der Kommission für internationale Beziehungen des BSF, in Auftrag gegebene soziologische Studie von Thomas Held und René Levy, «Die Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft».75 Die international bestens vernetzte liberale Genferin Bugnion-Secrétan agierte als Vizepräsidentin, die knapp dreissigjährige freisinnige Zürcher Juristin Lili Nabholz-Haidegger als Präsidentin der mit der Organisation beauftragten Arbeitsgemeinschaft Die Schweiz im Jahr der Frau (ARGE). Der Ablauf des dreitägigen Kongresses war genau geplant, nur Angemeldete waren zugelassen. Gerechnet wurde mit 2000 Teilnehmenden. Es meldeten sich weit mehr an, so mussten viele aus Platzgründen abgewiesen werden. Grossbanken und Konzerne unterstützten den Kongress finanziell. Vorgesehen waren vier Hauptreferate, davon eines von der Genfer Philosophin Jeanne Hersch. Genau vorbereitet waren auch die zur Diskussion stehenden Themen.

      Entscheidendes Gewicht kam dem BSF als einflussreichstem Frauenverband zu, vertreten durch seine Präsidentin. Mit der weltoffenen Genfer Sozialwissenschaftlerin und Ökonomin Jacqueline Berenstein-Wavre stand ab 1975 erstmals in der Geschichte des BSF eine Sozialdemokratin an der Spitze des Verbands: Die Pazifistin und Befürworterin der Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs definierte sich, da nicht (mehr) berufstätig, als «femme au foyer». Wie der Freisinnigen Alice Moneda, Leiterin Ressort Frauen des Schweizerischen Kaufmännischen Verbands (SKV), galt ihr Einsatz zwar insbesondere der Lohngleichheit. Sie hob aber zugleich die Bedeutung der unentgeltlich geleisteten Haus- und Betreuungsarbeit hervor, deren Umfang sie ein Jahr zuvor über eine Enquête in der Westschweiz erhoben hatte und die 1977 durch die Veröffentlichung der vom BSF initiierten Studie «Die Bewertung des Arbeitsplatzes in privaten Haushalten» der Stiftung zur Erforschung der Frauenarbeit ergänzt werden sollte.76

      Das Präsidium des Kongresses lag in den Händen der Juristin und CVP-Nationalrätin Elisabeth Blunschy-Steiner aus Schwyz, Expertin in Familienrechtsfragen und ehemalige Präsidentin des SKF, mit ein Grund, dass der Schwangerschaftsabbruch im offiziellen Programm fehlte. Gut vorbereitet dagegen waren die verschiedenen zur Verabschiedung gedachten Resolutionen.77 Wenig zu diskutieren gab die Resolution zur Schaffung eines gesamtschweizerischen Organs, die bereits Anfang 1976 vom Bundesrat eingesetzte Eidgenössische Kommission für Frauenfragen (EKF). Umstrittener war die auf Vorschlag von Lydia Benz-Burger vom Schweizerischen Verband für Frauenrechte eingebrachte Resolution, «dass die Gleichbehandlung von Mann und Frau in Gesellschaft, Familie und Arbeit ausdrücklich in der Bundesverfassung garantiert» werden müsse.78 Die Unterstützung durch die ARGE kann unter anderem als eine direkte Folge der Menschenrechtsdiskussion von 1968 rund um die EMRK erachtet werden. So flossen auch in die Begründung für und wider die Lancierung der Initiative Argumente aus der jahrzehntelangen Diskussion des Frauenstimmrechts ein: das Verhältnis von Rechten und Pflichten, Geduld und Zwängerei, Gleichheit und Differenz, Gesetz und Verfassung, Menschenrechten und nationaler Rechtstradition. Kaum thematisiert wurde in der Auseinandersetzung allerdings die Erfahrung, dass die Schweiz wegen der Opposition der Arbeitgeber und Branchenverbände erst nach Einführung des Frauenstimmrechts das Übereinkommen der International Labour Organisation (ILO) «Über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit» ratifiziert, aber dennoch kaum etwas unternommen hatte, um dieser Verpflichtung nachzukommen. Schliesslich stimmten 682 Frauen für, 375 gegen die Lancierung.79 Implizit bejahten mit dieser Entscheidung die Befürworterinnen der Gleichstellungsinitiative die im Vorfeld scharf formulierte Kritik der Juristin und prominenten Frauenrechtlerin Gertrud Heinzelmann am Kongressmotto: Nicht die Partnerschaft harre der Lösung, sondern die fehlende Gleichberechtigung. Weit schärfere Kritik noch als Heinzelmann äusserte die neue Frauenbewegung an der Ausrichtung des Kongresses.

      Als Protest gegen das Motto «Partnerschaft», die beschränkte Teilnehmerinnenzahl und die Kosten des Kongresses riefen neben FBB und MLF, die sich dafür erstmals eine lose Koordination geben mussten, auch kleinere Gruppen aus dem Umfeld der Neuen Linken wie die «POCH-Frauengruppe» auf den 18./19. Januar zum Gegenkongress auf. Nicht im vornehmen Kursaal sollte er stattfinden, sondern im Berner Vorort Gäbelbach, einem traditionellen Arbeiterquartier bei Bethlehem/Bümpliz. Es gab weder eine Zulassungsbeschränkung noch Eintrittsgebühren. Erwartet wurden 300 bis 1000 Personen, tatsächlich kamen im Laufe der beiden Tage 7000 bis 8000 vorbei. Das Alter der Besucherinnen lag zwischen 23 und 35 Jahren, diese waren also um mehr als eine Generation jünger als die Teilnehmerinnen im Kursaal. Die jungen Feministinnen kritisierten am offiziellen Kongress neben den fehlenden Themen Homosexualität, Abtreibung und unbezahlte Hausarbeit insbesondere das Motto des offiziellen Kongresses. «Partnerschaft» als gleichwertiges, aber andersartiges Zusammenarbeiten von Frauen und Männern, so ihre vehemente Kritik, verschleiere die herrschenden Machtverhältnisse und die damit einhergehende systematische Ausbeutung und Unterwerfung der Frauen. Dafür stehe exemplarisch die Kriminalisierung der Abtreibung als Verbot der Verfügung über den eigenen Körper und Untergrabung des Rechts auf Selbstentfaltung. «Il ne s’agit pas de collaborer, mais de déclarer la guerre. Il s’agit der mener une lutte autonome des femmes. C’est sous le signe ‹Ensemble nous sommes fortes› que nous avons préparé, financé et réalisé l’anti-congrès.»80 Als Kampfruf war sie gedacht, die Parole «Frauen gemeinsam sind stark!», die als Motto den Gegenkongress im Berner Aussenquartier Gäbelbach prägte, gleichermassen Mobilisierung, Solidaritätsbekenntnis und Abgrenzung.

      Freie und kostenlose Abtreibung war das dominierende Thema. Doch die junge Bewegung zielte dabei auf Grundsätzlicheres. In ihrer Kritik am Patriarchat und an der Politisierung des Privaten ging es um Sexualität, das Sündige und Tabuisierte, aber auch um die unbezahlte Haus- und Betreuungsarbeit als unsichtbare Grundlage des kapitalistischen Ausbeutungssystems. Sie richtete sich gleichermassen gegen die Männerpolitik, die Kirche, die Ärzte, die Unternehmer, den Staat, das Recht. Ein Konnex zu den «Menschenrechten» fehlte. Dennoch rückte der Gegenkongress Themen vom Rande ins Zentrum, die sehr wohl einen zentralen Bezug zu den «Menschenrechten» hatten, von der organisierten Frauenbewegung allerdings kaum je beachtet wurden: Aktivistinnen diskutierten über Frauen im Gefängnis, Lesben traten erstmals an einem gesamtschweizerischen Anlass auf, Migrantinnen stellten ihre spezifischen Forderungen.81 Die Teilnehmerinnen waren frei, welche Themen sie wie zum Ausdruck brachten: ob über Diskussionen, freie Theaterinszenierungen, die Vorführung von «Histoires d’A» (A-vortement), einem Film, der einen von Feministinnen selbst ausgeführten Schwangerschaftsabbruch zeigte,82 oder Installationen wie das von Lesben angelegte Labyrinth zu Frauenbeziehungen. Es endete vor einem Spiegel, in dem die Frau sich mit sich selbst konfrontiert sah.

      Unangemeldet und ausser Programm intervenierten Teilnehmerinnen des Gegenkongresses auch am offiziellen Kongress. Am letzten Kongresstag skandierten zwischen fünfzig und hundert Frauen von Gäbelbach kommend Parolen, hielten Transparente hoch, setzten sich an den Vorstandstisch und brachten höchst medienwirksam das nicht traktandierte Thema «freie Abtreibung» zur Sprache. Das Mikrofon mussten sie sich nicht erkämpfen, die Kongressorganisatorin Lili Nabholz-Haidegger und die verantwortliche Tagesleitung unter Liliane Uchtenhagen überliessen ihnen das Wort. Die sozialdemokratische Nationalrätin brachte in der Folge zwar nicht die «freie Abtreibung» zur Diskussion, wohl aber den von einer tribune libre bereits am ersten Tag eingebrachten Resolutionsvorschlag (Resolution 6) zur Fristenlösung mit dem sibyllinischen Titel «Schutz der Schwangerschaft»: Gegen die «Flut von Abtreibungen» müssten die Anstrengungen zur Verhütung und soziale Hilfeleistungen für eine «verantwortungsbewusste Mutterschaft» verstärkt werden. Dabei erinnerte der Kongress daran, «dass die Mehrheit der schweizerischen Frauenverbände sich für die Fristenlösung mit freier Arztwahl, obligatorischer Beratung sowie Bedenkfrist für die Frau ausgesprochen» habe.83 Ein Meilenstein. Konsterniert über den Entscheid zeigten sich allerdings die Kongresspräsidentin Elisabeth Blunschy-Steiner, der SKF und die CVP-Politikerinnen, ohne dass sie am Entschluss etwas hätten ändern können. Trennlinien und Gemeinsamkeiten waren nicht mehr so klar zu orten. Eines aber wurde deutlich: