Sohn des politisch einflussreichen Churer Bürgermeisters Johann Bavier.19 Auf diesen Ragett Bavier weist denn auch die Bezeichnung der Churer Handelshäuser und ihrer Direktoren in der Fronfastenrechnung von Chur zwischen 1692 und 1717 hin.20
Alle Abkömmlinge von Bürgermeister Johann Bavier durften ihrem Nachnamen ein «von» voranstellen, weil der deutsche Kaiser einem ihrer Vorfahren für seine Verdienste 1610 den Adels- und Wappenbrief verliehen hatte. Es war durchaus üblich, dass Bündner Politiker, auch solche, die dem Dienstadel entstammten, sich als Unternehmer oder Teilhaber im wichtigen und lukrativen Transithandel oder beim Erwerb von Ämtern in den Untertanengebieten betätigten. Dank ihres Status und Einflusses waren sie in der Lage, ihre Kontakte spielen zu lassen und die für das Geschäft benötigten Finanzen aufzubringen.
Mit den Söhnen von Simeon Bavier – wieder ein Simeon (1704–1777) und ein Johann Baptista (1695–1771) – erhielt die Firma ihren definitiven Namen. Im März 1792, bei Vertragsabschluss mit Buol-Schauenstein, leiteten ein Sohn und ein Enkel dieses Johann Baptista Bavier, beide gleichen Namens, das Speditions- und Handelshaus Simeon und Johann Baptist Bavier: Johann Baptista Bavier (1730–1802), genannt der Alte oder Älteste, und Johann Baptista Bavier (1749–1814), genannt der Lange oder Jüngere. Die Söhne des alten Johann Baptista standen bereit, die Firma zu übernehmen, so dass diese noch bis 1868 Bestand hatte, dann aber ging sie in Konkurs.21 Spätestens jetzt verschwanden neben den Firmen- auch die Originalakten zur Herrschaft Reichenau, falls sie überhaupt so lange aufbewahrt worden waren. Im Tscharner-Nachlass im Staatsarchiv Graubünden finden sich allein handschriftliche Kopien und Entwürfe.
Das Churer Speditions- und Handelshaus S. und J. B. Bavier trat 1787 ins politische Rampenlicht, als es sich in Konkurrenz zum Handelshaus A. und D. Salis (Nachfolger der Firma Massner) um die Pacht der Landeszölle bewarb. Diese Zölle dienten als eine der wichtigsten Einnahmequellen des Freistaats der Drei Bünde dazu, den Gesamtstaat zu finanzieren. Ursprünglich waren sie in eigener Regie über bezahlte Beamte eingetrieben worden, doch im 18. Jahrhundert ging man dazu über, sie dem Meistbietenden für eine begrenzte Zeit in Pacht zu geben und dann neu auszuschreiben. 1728 gelangte die Zollpacht an das Haus Massner, das durch Heirat an die Familie Salis fiel. Die Firma Bavier machte ihr bereits 1754 die Pacht streitig, die noch aus einem anderen Grund von Bedeutung war: Der Zollpächter war zugleich Bankier des Gesamtstaats, verwaltete das Finanzvermögen, legte es an und zog die Zinsen ein.22
1754 gelang es den Bavier noch nicht, Massner-Salis aus dem Geschäft zu verdrängen, aber 1778 versuchten sie es erneut. Peter von Salis schloss mit den Bavier einen Vertrag, wonach sie die Zollpacht zwar ersteigern, ihm jedoch abtreten sollten. Er werde im Gegenzug darauf hinwirken, dass niemand sie bei der Steigerung überbiete, und ihnen für ihr Engagement eine jährliche Summe entrichten.23 Dass eine solche Bietabsprache die Einkünfte des Staats schädigte, bekümmerte keinen der Beteiligten.
1788 trat die Firma Bavier erneut als Konkurrent auf. In der Person von Ulysses von Salis-Marschlins erhielt sie einen mächtigen Verbündeten. Er grollte seinem Vetter Peter von Salis, weil dieser sich von anderen Männern leiten liess und ihm einen Anteil an den Zolleinnahmen verweigerte. Salis-Marschlins empfahl den Bavier, Tscharner in ihre Interessengemeinschaft um die Zollpacht aufzunehmen, um auf diese Weise die Zustimmung weiterer Hochgerichte und wichtiger Personen zu gewinnen. Je mehr einflussreiche Stimmen ein Bewerber hinter sich hatte, desto grösser war die Chance, die anderen auszustechen. Ausserdem riet Salis-Marschlins, das Gebot für die Pacht zu erhöhen, sei es, um das eigene Gewissen zu beruhigen, sei es, um das abgekartete Spiel nicht auffliegen zu lassen.24 Selbstverständlich fanden derartige Übereinkünfte im Geheimen statt; da aber zahlreiche Männer beteiligt waren und die Abläufe 1794 gerichtlich untersucht wurden, sind wir recht gut darüber informiert.
Für seine Bereitschaft, sich mit dem Speditions- und Handelshaus Bavier auf ein solches Geschäft einzulassen, nannte Tscharner, der Gründer des Seminars Reichenau, im Nachhinein politische Gründe: Er habe gehofft, die Macht der politisch und wirtschaftlich einflussreichsten Familie von Salis durch ein internes Zerwürfnis zu schmälern, Peter von Salis «eine unrechtmässige Bereicherungsquelle zu entreissen» und dem Land einige tausend Gulden zusätzlich zu verschaffen.25 Dass er sich selber habe bereichern wollen, wies er entschieden von sich.
Nachdem er den Handel vorbereitet hatte, war der mächtige Ulysses von Salis-Marschlins klug genug, sich nicht selber an dem Geschäft zu beteiligen. Wegen seines Rufs als ränkereicher Taktiker und Beutemacher hätte die Transaktion Misstrauen erregt, zudem wollte er sein falsches Spiel gegen Peter von Salis nicht an die grosse Glocke hängen. Auch Tscharner glaubte, es sei ein besonders schlauer Schachzug, wenn er sein Interesse nicht auf die Zollpacht beschränkte, sondern sich im September 1788 mit 18 000 Gulden in das Speditions- und Handelshaus S. und J. B. Bavier einkaufte.26 Das schien ein günstiger Einstandspreis zu sein, wenn auch für seine Verhältnisse ein hoher Betrag; dass die beiden Direktoren Johann Baptista Bavier senior und junior ihn bereitwillig als Partner aufnahmen und ihm einen Drittel des Gewinns und der Stimmen versprachen, hätte ihm allerdings zu denken geben müssen.
Tscharner war ein ausgezeichneter Politiker und Diplomat, umfassend gebildet, mit einer Affinität zur Landwirtschaft und Pädagogik, stark an politischen und sozialen Reformen interessiert, mit Landbesitz in Jenins (aus Erbschaft) und Liegenschaften in Chur, aber nur geringen Finanzen versehen.27 Er war zu ehrlich, um sich bestechen zu lassen oder sich unter jene zu reihen, die ihre Stimme und ihren Einfluss ausländischen Mächten verkauften. Er dachte gar nicht daran, sich als Mitdirektor im Handelsgeschäft einzubringen und an den Geschäften teilzunehmen, sondern begnügte sich mit der Position des stillen Teilhabers. Er vertraute auf die Redlichkeit der beiden Bavier, von denen der jüngere mit ihm in Chur die Schule besucht hatte, und hoffte, es werde ihm gelingen, seinen ältesten Sohn Johann Baptista Tscharner, damals neun Jahre alt, fürs Geschäft zu interessieren, «damit er früh in der Schreibstube placiert werde, teils um früh ein eigen Salarium zu ziehen, teils um die Vorteile unsres Hauses allda zu besorgen».28
Im Nachhinein war der Eintritt in die Firma Bavier für Tscharner «wohl der unglücklichste Tag meines Lebens», 29 der ihm nur Ärger gebracht habe. Aber vorerst erhoffte er sich aufgrund der guten Zahlen der Vorjahre eine Verzinsung seiner Investition von fünf Prozent, so dass er seinen Einsatz spätestens in 14 Jahren amortisiert haben würde. Es kam ganz anders.
Damit sind alle Mitglieder der Reichenauer Gesellschaft genannt, bis auf Aloys Jost aus Zizers (1759–1827), der 1791 als Leutnant in einer französischen Gardekompanie diente und 1792 in den Generalstab der revolutionären französischen Südarmee unter General Montesquiou wechselte.30 Er war wie Georg Anton Vieli katholisch und übernahm 1793 von ihm die Hälfte seines Anteils, also einen Achtel der Kaufsumme an der Herrschaft Reichenau.31 Da Buol der Zahlungsfähigkeit von Jost und Vieli misstraute, hafteten die Bavier und Tscharner für die beiden.32 Drei Viertel der Kaufsumme brachte also das Speditions- und Handelshaus Bavier auf, zu gleichen Teilen die beiden Direktoren und Tscharner, das letzte Viertel Georg Anton Vieli und später Aloys Jost. Unterschrieben wurde der Vertrag ausser vom Verkäufer nur von Simeon und J. B. Bavier als Firma und von Vieli.33
Die Herrschaft Reichenau wurde am 5. März 1792 für 131 000 Gulden Churer Valuta gekauft, «mit allen Hoch- und Freiheitsrechten und Rechtsamen über die Gemeinde Tamins und über Reichenau», dem Recht, Münzen zu schlagen, Zölle zu erheben, mit sämtlichem Landbesitz, der sich teils auf Reichenauer, teils auf Taminser und Bonaduzer Boden befand, mit allen Gebäuden und Gärten, Anbauten, den Besitzungen im Farsch, der Kapelle samt Glocke und liturgischen Gegenständen, ferner allem, was zum Garten und zur Landwirtschaft gehörte, dem Hornvieh, Schweinen, Gerätschaften der Meierei und der Viehhaltung, allen Wagen, der Waschküche samt Zubehör und allen Gegenständen ausserhalb des Schlosses für weitere 2000 Gulden. Das Schlossmobiliar bildete eine Ausnahme; Buol-Schauenstein behielt sich vor, es in einem gesonderten Vertrag teilweise oder gesamthaft zu veräussern. Übergabetermin war der 1. Juli.
In einer zweiten Schrift vom gleichen Tag wurde in einem Obligo (einer Schuldschrift) die Bezahlung der Kaufsumme geregelt, für welche die Käufer solidarisch mit ihrem Vermögen hafteten: Vorgesehen war eine erste Zahlung