als nur eine Methode angesprochen. Was der Wirklichkeitsbezug der Theologie bedeutet, mag das dritte Kapitel dieser Abhandlung zeigen, wo es um Heideggers Deutung des Seinsgeschehens geht, in dem er gegenüber der metaphysischen Geistestradition das Sein als Möglichkeit fasst. Und zwar nicht als eine, sondern als die Möglichkeit nicht etwa menschlicher Selbstverabsolutierung, sondern Selbstübersteigerung, die in der Verherrlichung des Todes kulminiert: »Der Tod das höchste und äußerste Zeugnis des Seyns«. Nie hat in der Philosophie – über alle weltanschaulichen oder ideologischen Verengungen hinaus – die Macht des Todes eine derartige Affirmation erfahren; ist dem Reich des Antichristen mit dem »Reich des Fragwürdigsten« ein beredteres Denkmal gesetzt worden. Gewiss, jene »Möglichkeit« hat es seit dem Sündenfall gegeben. Aber dass sich einer, der einmal mit einer Arbeit über Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus (1916) habilitiert worden ist [da dessen Sprachlehre in der betreffenden Arbeit unbearbeitet geblieben sei, trug sich Benjamin damals pikanterweise mit dem Gedanken, sich darüber zu habilitieren …], nicht allein über die Lehre des Doctor subtilis der scholastischen Philosophie hinwegsetzt, sondern gleich seinen eigenen »letzten Gott« erfindet, bezeugt den Abfall vom Gott der Offenbarung – einen Abfall, der über Heidegger hinaus nicht allein das Denken, sondern buchstäblich das »Seinsgeschehen« des 20. Jahrhunderts weithin bestimmen sollte.
Wenn wir entgegen unserer ursprünglichen Absicht hier noch einmal auf Heidegger rekurrieren, so nicht nur deshalb, weil sich in seinem »Reich des Fragwürdigsten« gewissermaßen das Gegenreich zum Reich Gottes auftut. Ebenso im Hinblick auf Edith Stein, deren Kreuzesliebe. Einige Gedanken zum Fest des hl. Vaters Johannes vom Kreuz vom 24. November 1933 [nach der Liturgiereform ist das betreffende Fest auf den 14. Dezember verlegt] eine programmatische Bedeutung für ihr Glaubenszeugnis gewinnen sollte. Die folgende Konstellation erscheint nicht allein in geistesgeschichtlicher Hinsicht bemerkenswert: Martin Heidegger, ehedem Assistent Edmund Husserls, aus einer gut-katholischen Familie stammend, bricht mit dem überlieferten Glauben, um einer Philosophie des Todes und des Untergangs das Wort zu reden. Darin ist er für ganze Generationen von Intellektuellen bestimmend geworden, mochten sie auch sein nationalsozialistisches Engagement missbilligen. Noch kürzlich hat ihm der Komparatist Georges Steiner in seinem Buch Gedanken dichten [Berlin 2011] als den modernen Denker geehrt, der Denken und Dichten zusammengebracht habe. – Edith Stein, auch sie vormals Assistentin Husserls, aus einer jüdischen Familie stammend, findet vom Atheismus zum katholischen Glauben. Außergewöhnlich, wie sich bei ihr der Gedanke des Kreuzesmysteriums und das Leben aus dem Kreuzesmysterium bis hin zum Martyrium in Auschwitz deckt; außergewöhnlich auch die Entsprechung der christologischen und der eschatologischen Dimension des christlichen Glaubens in ihrem Leben und Denken. Selbst wenn hier nur einige geistliche Texte zur Sprache kommen, zeichnet sich in ihnen eine Deutung nicht zuletzt der jüngsten Geschichte im Licht der messianischen Offenbarung ab, während Heidegger dem »Spiel des Abgründigen« huldigt, dem sich seine Philosophie verschrieben hat. Man mag in jenem Wort eine poetische Metapher erblicken, obschon es Die Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) enthalten [wo es an entscheidender Stelle steht, wie noch zu zeigen sein wird]. Man kann jedoch auch im Versuch einer Literarisierung alles Sinnes, wie er sich in der westlichen Kultur im Zuge der Verbreitung von Hermeneutik und Kontextualismus seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts durchgesetzt hat, in Abwandlung eines Celan-Wortes ein »Metapherngestöber« sehen, das die Einsicht in die Wirklichkeit, in die Wahrheit wie in das Unwesen des Geschehenen, verdunkelt: »Orkane. / Orkane, von je, / Partikelgestöber, das andre, / du / weißts ja, wir / lasens im Buche, war / Meinung.« (Die Gedichte, 115) So lautet eine Strophe in Engführung, dem wohl bedeutendsten Gedicht zur Shoah. Was sich aber hinter dem Allerweltswort »Meinung« verbirgt, hat bereits im Jahrhundert zuvor Kierkegaard in seiner Rede An einem Grab zum Ausdruck gebracht: »Man kann eine Meinung haben über ferne Begebenheiten, über einen Naturgegenstand, über die Natur, über gelehrte Schriften, über einen anderen Menschen, und so über vieles andere, und wenn man diese Meinung äußert, kann der Weise entscheiden, ob sie richtig ist oder unrichtig. Dagegen bemüht keiner den Meinenden damit, die andere Seite der Wahrheit zu betrachten, ob man nun wirklich die Meinung hat, ob sie nicht etwas ist, das man bloß hersagt. Und doch ist diese andere Seite ebenso wichtig, denn nicht allein der ist ja geisteskrank, der das Sinnlose sagt, sondern ebensosehr der, welcher eine richtige Meinung sagt, wenn diese doch ganz und gar keine Bedeutung für ihn hat.« (Religiöse Reden, 170) Ohne es zu wissen, hat Kierkegaard die Pathologie dessen beim Namen genannt, was wir heute Relativismus nennen: ein Sichverstecken hinter Meinungen und Metaphern, um nicht für das einmal Gesagte zur Rechenschaft gezogen werden zu können. Denken und Dichten, Dichten und Denken – alles gerät zur poetischen Verflüchtigung der Wahrheit, in der Verleugnung des Logos, wie übrigens Heidegger vor der betreffenden Stelle dem Logos entsagt und »das Sagen in die Zweideutigkeit der Aussage hineingerissen« werde [wir kommen darauf unten zurück]. Und so kann einer, nachdem er mit einer kaum zu überbietenden Kälte Tod und Untergang beschwor, nach dem geschehenen Untergang zurückrudern, ganz so sei es nun auch wieder nicht gemeint gewesen, und einen Humanismusbrief schreiben, um sich in der ehrenwerten Gesellschaft der großen Denker und Dichter wiederzufinden; selbst der zeitlebens gebrochene Celan wird, um dem Jahrhundertphilosophen seine Reverenz zu erweisen, zum Todtnauberg pilgern. Darin liegt die Zweideutigkeit einer Moderne beschlossen, die in Wahrheit keine Wahrheit kennt.
Es sei mit Nachdruck betont, dass hier von einer und nicht etwa verallgemeinernd von der Moderne die Rede ist. Das Problem hat bereits vor einem halben Jahrhundert Alois Grillmeier in seinem Münchener Vortrag Die Herrlichkeit Gottes auf dem Antlitz Jesu Christi. Zur Bild-Theologie der Väterzeit (1963) umrissen, der in erweiterter Fassung sein Buch Mit ihm und in ihm. Christologische Forschungen und Perspektiven (Freiburg i. Br. 1975) eröffnet, und zwar mit folgender Feststellung: »Ein Gespräch zwischen Künstlern und Theologen kann – über alle persönlichen Kontakte hinaus – in dem Maße zu gegenseitiger Anregung führen, als sich eine feste Brücke zwischen christlicher Kunst und Theologie schlagen läßt. Beiden kommt wohl die Notwendigkeit eines solchen Brückenschlages heute in gesteigerter Dringlichkeit zum Bewußtsein. Der gläubige Künstler fühlt mehr und mehr die Spannung zwischen den modernen Kunstrichtungen und dem religiösen Bildgehalt, den er darstellen soll. Er kann auch mit der ausschließlich zur Herrschaft gekommenen formalästhetischen Betrachtung des Bildes oder Bildwerkes nicht mehr zufrieden sein und muß eine philosophisch und theologisch unterbaute Bildtheorie fordern. Der Theologe aber – um vom Philosophen zu schweigen – muß verlegen gestehen, daß eine moderne Theologie des Bildes noch nicht erarbeitet ist.« Diesem Manko haben wir abgeholfen in Kreuz und Kairos. Eine eucharistische Grundlegung des Christusdogmas (Würzburg 2005), zunächst in Anlehnung an Grillmeiers Abhandlung Der Logos am Kreuz. Zur christologischen Symbolik der älteren Kreuzigungsdarstellung (München 1956), von der er später einige Kapitel in Die Herrlichkeit Gottes auf dem Antlitz Jesu Christi eingebaut hat. Doch sind wir nicht wie Grillmeier von Spätantike und Frühmittelalter ausgegangen, sondern von der Moderne – so im abschließenden Teil »III. Kreuz und Kairos: Drei Annäherungen: 1. Barnett Newman: Fourteen Stations of the Cross. Lema Sabachthani – eine Deklaration; 2. Miloslav Čelakovský: Kreuzesdarstellung (ohne Titel) – Versiegelung Christi; 3. Paul Klee: Das Lamm – die Entsiegelung Christi«. Kein Zufall, dass Newman, ein säkularisierter New Yorker Jude, der nach einer schweren Schaffens- und Gesundheitskrise seinen Kreuzweg malte, den antinominalistischen Charakter seiner Kunst betont. Denn dass die moderne Kunst subjektivistisch sei, wie Karl Barth empfand [wir kommen gleich darauf zurück], ist ein Vorurteil. Vielmehr ist die subjektive Reduktion, die reductio ad hominem, ein Wesenszug der neuzeitlichen Kunst und Philosophie; man könnte in der ästhetischen Moderne, von eher zweitrangigen Kunstwerken einmal abgesehen, wie auch in der modernen Philosophie – man denke an Wittgenstein – eher eine Umkehrung jener Reduktion im Zuge der sog. anthropologischen Wende der Neuzeit sehen. In diesem Sinne werden wir im Schlusskapitel dieses Buches, ausgehend von einschlägigen Überlegungen Edith Steins zum Begriff des Gehorsams sowie eigenen zur »Herrlichkeit Gottes auf dem Antlitz Jesu Christi« nach 2 Kor 3,4–4,6, zu einer theologischen Bestimmung des Begriffes Reich Gottes zu kommen suchen. Den Schlüssel zu einer theologischen Bildtheorie der Moderne lieferte freilich weniger die Christologie als vielmehr die Eschatologie, die Konstellation von Moderne und Apokalypse, wie sie Benjamin