Vorwort
Papst Franziskus ist im strengen Sinne zwar kein Jesuit mehr, was ihn allerdings nicht daran hindert, durch und durch von einem ignatianischen Geist geprägt zu sein. Im Sommer 2013 besuchten ihn etliche Schülerinnen und Schüler von Jesuitenschulen aus Italien und Albanien in Rom. In freier Rede wandte er sich an die Kinder und Jugendlichen und kam mit ihnen darüber ins Gespräch, was seines Erachtens jesuitische bzw. ignatianische Erziehung und Bildung ausmacht. Für ihn ist „die Großherzigkeit der Schlüssel für die Entwicklung des Menschen“. Und gleichsam als Jesuit fuhr er fort: „Wir müssen großherzig sein, mit großen Herzen, ohne Angst. Natürlich braucht man auch große Ideale, aber vor allem Großherzigkeit in den kleinen Dingen, in den alltäglichen Dingen, mit großem und weitem Herzen. Es ist wichtig, diese Großherzigkeit mit Jesus zu finden, in der Betrachtung Jesu, der uns die Fenster zum Horizont öffnet. Großherzigkeit bedeutet, mit Jesus zu gehen und aufmerksam zu sein für das, was Jesus uns sagt.“ Viel besser kann man wohl kaum einleiten, worum es uns Jesuiten geht, wenn wir seelsorglich und pastoral tätig sind an unseren Kollegien, in unserer Jugendarbeit und wo auch immer wir für Erziehung und Bildung einstehen. Dort sprechen wir von cura personalis oder davon, dass wir den Seelen helfen, und wir sind uns mehr denn je darüber im Klaren, dass so etwas nur mit einem großen Herzen, mit einem tiefen Glauben und mit viel viel Liebe gelingt.
Knapp vier Jahre nach Veröffentlichung meiner Doktorarbeit ist es nun an der Zeit, das Thema Ignatianische Schulpastoral einem breiteren Publikum in Form einer Volksausgabe zugänglich zu machen. Eine erste Idee dazu hatte Pater Georg Schmidt SJ. Ihm und nicht zuletzt der Stiftung Ignatianische Jugendpastoral, die sich im wesentlichen auf die Inhalte der Dissertation stützt, sei an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön gesagt. All denjenigen, die sich im Bereich von Schulpastoral engagieren und die sich für eine ignatianische Akzentuierung ihrer Arbeit und ihres Dienstes interessieren, wünsche ich eine anregende Lektüre und etwas Wegweisung beim Auf- oder Ausbau von Schulpastoral vor Ort.
Beilstein, im Frühjahr 2014
Pater Philipp Görtz SJ
Einführung
Ignatius von Loyola saß in Rom nachts oft draußen und betrachtete den Sternenhimmel. Vielleicht tat er dies in Erinnerung an den Anfang seines geistlichen Weges, als er sich in der Heimat auf dem Krankenlager befand. Damals war es für ihn überaus trostreich, „den Himmel zu schauen und die Sterne. Dies tat er viele Male und über lange Zeit; denn dadurch verspürte er in sich einen sehr großen Eifer, Gott unserem Herrn zu dienen. Er dachte viele Male an seinen Vorsatz und wünschte, bereits ganz gesund zu sein, um sich auf den Weg zu machen“ (BP 11). Es waren allerdings nicht so sehr die unendlichen Weiten des Universums oder die Schönheit der Sterne, die ihn beeindruckten. Ignatius war vielmehr erfüllt von der Größe und Schönheit sowie von der Liebe und Fürsorge dessen, der all das erschaffen und so wohl geordnet hatte. Von ihm, seinem Herrn und Gott, wollte er sich führen lassen, in seine Schule wollte er gehen und von seiner Pädagogik wollte er lernen, um ihm je besser zu dienen und den Menschen je mehr zu helfen.
Wer immer pädagogisch und seelsorglich mit jungen Menschen zu tun hat und will, dass Kinder und Jugendliche in Freiheit wachsen und reifen und ihren je eigenen Weg finden, muss an sie „glauben und sie ermutigen, nach den Sternen zu greifen“. In jedem Heranwachsenden liegt ein Potential, das geweckt und gefördert werden will: Junge Menschen sind offen dafür und neugierig darauf, nach den Quellen des Lebens zu suchen. Sie haben „Interesse an existentiellen Fragen“ und lassen sich ansprechen „von Visionen, wie es einmal sein könnte“. Die eindringlichste und zugleich zurückhaltendste Form der Ermutigung besteht im Vorleben der eigenen Vision vom Leben und in der Bereitschaft, davon Zeugnis zu geben und einladend darüber zu sprechen. Die Vision, welche die Gesellschaft Jesu für die Schülerinnen und Schüler an ihren Schulen hat, zielt darauf, dass diese „ein tiefes und allgemeines Mitgefühl für die Nöte ihrer Mitmenschen“ erwerben und dass sie sich selber bilden und sich bilden lassen „zu Männern und Frauen für Frieden und Gerechtigkeit“, die aus dem Glauben heraus ganz konkret am Aufbau des Reiches Gottes mitarbeiten (s. KOLVENBACH 1993, 123).
Die Vision, dass junge Menschen zu ermutigen sind, nach den Sternen zu greifen, steht am Anfang aller Überlegungen zu einer Konzeption ignatianischer Schul- und Jugendpastoral und beinhaltet etwa folgende Fragen: Wie muss ignatianische Schulpastoral konzipiert sein, dass Heranwachsende nach den Sternen greifen und über sich hinauswachsen können? Was gehört in eine Konzeption von Schulpastoral, die sich der Jesuitenorden als Träger mehrerer Kollegien und Einrichtungen der Jugendarbeit zu eigen machen sollte? Welche schul-/jugendpastoralen Konzepte dienen Jugendlichen und anderen Adressaten für ihr menschliches, geistiges und geistliches Wachstum? Und welche schul- und jugendpastoralen Angebote und Maßnahmen tragen dazu bei, dass ein Kolleg bzw. eine jugendpastorale Einrichtung der Gesellschaft Jesu humaner, sozialer und gerechter wird sowie offener für die Frage nach Gott?
Hintergründe
Dem Kern nach sind das keine neuen Fragen. Schon kurz nach der Ordensgründung (1540) ging es den ersten an Schulen und Kollegien arbeitenden Jesuiten neben intellektueller immer auch um religiöse Bildung und darum, den Seelen zu helfen. Sie wollten immer zugleich Seelsorger für die ihnen anvertrauten Menschen sein. Im Dienste dieses iuvare animas und im Sinne der Geistlichen Übungen des Ignatius von Loyola (1491–1556) fragten sie: Was hilft den Menschen, den Willen Gottes für sich und ihr Leben zu finden, und was hilft ihnen, Gott je mehr zu lieben und ihm je besser zu dienen? Juan Alphonso de POLANCO (1512–1576) war der Meinung, dass es „allgemein gesehen in der Gesellschaft Jesu zwei Weisen gibt, den Nächsten zu helfen: die eine besteht darin, in den Kollegien die Jugend in Literatur, Lernen und christlichem Leben zu erziehen, und die zweite darin, an jedem Ort jeder Art von Personen durch Predigen, Beichthören und andere Mittel zu helfen, entsprechend unserer üblichen Weise des Vorangehens“1. Den Menschen helfen zu wollen, war für Ignatius deswegen so wichtig, weil er während seiner Zeit in Manresa (1522) selber Hilfe erfahren hatte, als Gott ihn auf eine Weise geführt hatte (s. BP 27), die es ihm ermöglichte, Jesus persönlich nachzufolgen. Die ihm gewährten geistlichen Einsichten und befreienden Erfahrungen wollte er weitergeben, weswegen er zunächst Einzelne zu Exerzitien2 anleitete und sich später mit seinen ersten Gefährten besonders der Katechese für Kinder und einfache Leute zuwandte.
Obwohl die ersten Gefährten frei sein wollten von Institutionen, die sie binden und in ihrer Mobilität behindern würden, waren sie bereit, jede Art von Mitteln anzuwenden, um den Menschen zu helfen. So entsprach Ignatius bereits 1548 der Bitte der Stadtväter von Messina, dort ein erstes Kolleg zu gründen, an dem Jesuiten junge männliche Laien unterrichteten. Bis zu seinem Tod (1556) unterhielt der Orden 40 Kollegien, die nach Maßgabe der Satzungen geführt wurden. Ihre Ausrichtung bestand darin, „den eigenen Seelen und denen der Nächsten zu helfen, das letzte Ziel zu erreichen, für das sie geschaffen worden sind“, wozu „außer dem Beispiel des Lebens Lehre und eine Weise, sie vorzulegen, notwendig sind“ (Sa 307). Dadurch war die Gesellschaft Jesu früh zu einem Orden geworden, der Bildungsarbeit als apostolische und seelsorgliche Arbeit verstand.
Im Jahr 1599 wurde die Ratio Studiorum veröffentlicht, eine sehr allgemein gehaltene Studienordnung, die die Erziehungs- und Bildungsarbeit an den Kollegien regelte. Der Unterricht in den verschiedenen Wissenschaften orientierte sich am modus parisiensis, der mittels Übungen, Disputationen und Repetitionen die Schüler dazu anhielt, den Lehrstoff häufig und auf vielfältige Weise zu wiederholen und zu verinnerlichen und der nicht zuletzt auf die Erziehung und Bildung von christlichen Persönlichkeiten zielte. Daneben waren die Unterweisung in geistlichen Dingen sowie die seelsorgliche Begleitung von Anfang an fester Bestandteil des christlich-humanistischen Curriculums. Zum spirituellen Programm gehörten neben häufiger Beichte und Kommunion sowie täglichem Gebet und regelmäßiger Gewissenserforschung, dass Schüler Teile der Geistlichen Übungen machten und sich – ihrem