neu ausbalancieren. Sie unterstützen ihre Kinder dabei, wenn sie (1) in der Familie bei aller Streitkultur auch für konfliktfreie Zonen sorgen, wenn sie (2) die eigene Kommunikations- und Verhandlungsfähigkeit sowie die ihrer Kinder fördern und gleichzeitig von ihrer Führungskompetenz Gebrauch machen, wenn sie (3) gemeinsam mit ihren Kindern (bildungsintensive) Freizeit gestalten, weniger sanktionierend als vielmehr argumentierend vorgehen, einen Mittelweg finden zwischen Überbehütung und Desinteresse, wenn sie (4) ihre Kinder über Zwischenstufen in die Unabhängigkeit entlassen, an der Lebenswelt ihrer Kinder interessiert sind und diese umgekehrt – zumindest partiell – auch an ihrer eigenen teilnehmen lassen und wenn sie (5) den Jugendlichen vermitteln, dass auch deren Stimme Gehör findet und von Bedeutung ist. Wenn Eltern sich dabei Mühe geben und ihnen dies ansatzweise gelingt, dürfen sie sich zusammen mit ihren Kindern noch einmal jung fühlen und die Individuation der Jugendlichen als eigene Entwicklungschance nutzen. Auf diese Weise wird Familie zu einem Ort, an dem Eltern und Kinder aneinander und miteinander lernen können, dass man für gelingende Beziehungen etwas tun und daran arbeiten muss und dass man keine Angst haben muss, alles würde zerbrechen, wenn dabei einmal etwas danebengeht.
Entwicklung von Freundschaften und Partnerbeziehungen: „Ein Freund ist ein Geschenk, das man sich selbst macht.“ Auch beim Umbau von Freundschaften in der Jugendzeit geht es um – nun allerdings symmetrische und kooperative – ko-konstruktive Prozesse. Freunde wollen gewonnen und Freundschaften müssen gepflegt werden. Freundschaften kommen nicht mehr – wie noch in der Kindheit – über Altersgleichheit oder nachbarschaftliche bzw. bekanntschaftliche Nähe zustande. Heranwachsende wählen sich ihre Freunde verstärkt anhand von vermuteten Ähnlichkeiten hinsichtlich der Interessen und Einstellungen aus. Peer-Beziehungen sind Lernfelder gegenseitiger Achtung und Normen, der Zugehörigkeit zu einer Gruppe, des Informationsaustausches, der Selbstinterpretation und der Identitätsfindung.
Interne Voraussetzung dafür, dass Freunde, Cliquen und Partnerschaften in der gesamten Jugendphase so wichtig werden, ist die Verschiebung der Libido; weg von den Eltern, hin zu Altersgleichen desselben Geschlechts und schließlich zu einem andersgeschlechtlichen Partner. Bestimmende Kontexte sind vor allem die Schulen und innerhalb derer die Schulklassen; diese bilden ein weites Kontaktfeld, das Jugendlichen erlaubt, sich in sozialen Beziehungen auszuprobieren – ausgedehnte Medien- und Freizeitangebote sowie die gestiegene Mobilität wirken verstärkend.
Die Entwicklungsaufgabe bezüglich des Umbaus sozialer Beziehungen im Hinblick auf Freundschaften und Partnerschaft lässt sich folgendermaßen beschreiben: Heranwachsende müssen lernen, Beziehungen zu Altersgleichen11 aufzubauen und aufrechtzuerhalten sowie diese gegebenenfalls auch wieder aufzugeben, um sich emotional wohl und nicht einsam zu fühlen. Dabei wird von ihnen gefordert, dass sie sich einüben, einander zu respektieren und die Perspektive anderer zu übernehmen, Interessen auszuhandeln und Meinungen auszutauschen. Sie müssen sich in gewissem Sinne von ihren Eltern ablösen und gleichzeitig das neu errungene Verhältnis von Eigenständigkeit und Gemeinschaftlichkeit immer wieder austarieren. In Beziehungen zu Gleichaltrigen haben sie zum Aufbau der eigenen Identität die Chance, provisorisch verschiedene Rollen auszuprobieren und sich die Fähigkeit anzueignen, soziale Beziehungen zu gestalten, in denen es um Bindung, Verantwortlichkeit, Fairness und Intimität12 geht. Diese Chancen müssen sie aktiv ergreifen und nutzen. Schließlich soll in diesem Lernfeld prosoziales Verhalten eingeübt und praktiziert werden, was sich wiederum positiv auf die Akzeptanz durch andere bzw. auf das Selbstwertgefühl auswirkt und eigenes Dominanzverhalten konstruktiv reguliert.
Bei alledem dürfen aber nicht die risikoreichen bzw. devianten Verhaltensweisen übersehen werden. So demonstrieren Meinungsführer – besonders wenn sie unbeliebt, sozial uninteressiert und aggressiv sind – häufiger Distanz zur Schule und allgemeine Disziplinlosigkeit, sie neigen eher zum Rauchen sowie zum Alkoholkonsum und haben eine tendenziell stärker belastete Beziehung zu ihren Eltern. Ebenfalls nicht zu vernachlässigen sind Phänomene sozialen Ausschlusses vor allem im Kontext der Schule. So gelten Schüler als randständig, die in der Klasse kaum auffallen, die ohne Freunde sind und zu keiner Clique gehören.13 Ihr Verhalten ist zumeist ambivalent: Auf der einen Seite sind sie schüchterner, fühlen sie sich wenig akzeptiert und es gelingt ihnen nicht, prosozial zu agieren, auf der anderen Seite sind sie eher „brav“ und angepasst. Problematisch wird dies für die Entwicklung von Jugendlichen dann, wenn sie auch außerhalb der Schule nicht integriert sind, dies wirkt sich langfristig negativ auf das Selbstbewusstsein aus.14
Jugendliche in Beziehungsstrukturen zwischen Eltern und Freunden: Wenn Jugendliche in ihrer Entwicklung vor der Aufgabe stehen, ihre sozialen Beziehungen einerseits zu den Eltern, andererseits zu den Freunden zu reorganisieren, lässt sich dies mit Hilfe von Gegensatzpaaren beschreiben: Ablösung–Aufbau, asymmetrisch–symmetrisch, gegeben–aufgegeben. Nicht mehr haltbar ist die These, dass Peers einen vornehmlich negativen Einfluss haben und in Konkurrenz zu den Eltern treten. Es scheint vielmehr so zu sein, dass je nach Art der Erfahrungen emotionaler Einbindung, die Kinder zu Hause machen, diese sich entsprechend auf die Beziehungsgestaltung zu Gleichaltrigen auswirken. Jugendliche lassen sich vier idealtypischen Beziehungskonfigurationen zuordnen:
– Sie sind in beiden Kontexten gut integriert. Konsequenz: Selbstbewusstsein, Sozialverhalten und Leistungsbereitschaft, positive Prognose.
– Sie sind überhaupt nicht integriert. Konsequenz: Mangelnde Beziehungs- und Integrationsfähigkeit, somatische Auffälligkeiten und Schulängste.
– Freundschaften kompensieren belastete Beziehung zu den Eltern. Konsequenz: Alterstypisches Risikoverhalten, um Prestige zu gewinnen, Distanzierung gegenüber schulischen Erwartungen.
– Außerhalb des Schutzraumes der Familie gelingt nur wenig Kontaktaufnahme. Konsequenz: Schulisch und gesellschaftlich angepasst, deutlich reduziertes Selbstwertgefühl, Neigung zu Depressionen.
Abschließend seien einige pädagogische Interventionsmöglichkeiten genannt, die Jugendlichen helfen können, ihre Beziehungen positiver zu gestalten. Aggressive Heranwachsende sollen lernen, keine vorschnellen und falschen Schlüsse zu ziehen, wenn sie sich angegriffen fühlen, sondern überlegen und problematische Situationen verstehen lernen. Bei Impulsivität gehört das Time-out zu den wichtigsten Strategien, um Gefühle zunächst zurückzuhalten, sie in Ruhe zu interpretieren und dann nach geeigneten Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Soziales, verantwortungsbewusstes und vertrauenswürdiges Verhalten, das sich beziehungsfördernd auswirkt, lernen Jugendliche am besten durch gutes beispielhaftes Vorleben. Ebenso können Jugendliche lernen, wie sie sich bei Kontaktaufnahme positiv einbringen und wie sie sich in Gruppen sinnvoll bewegen und klug verhalten. Auch bei dieser Aufzählung wird deutlich, welch wichtige Rolle beim Einüben und Erproben dieser Fähigkeiten Eltern spielen, an denen Jugendliche modellhaft lernen können, und was eine Familie mit Geschwistern ausmacht, die hierbei gleichsam als „Trainingslager“ fungiert.
1.1.1.3Umgang mit kulturellen Ansprüchen
Jugendliche sind in ihrer Entwicklung nicht nur mit Veränderungen in Bezug auf ihren Körper bzw. ihre sozialen Beziehungen konfrontiert. Sie müssen sich auch mit sehr konkreten Aufgaben auseinandersetzen, die die Gesellschaft vermehrt an sie heranträgt. Diese erwartet von ihnen, dass sie einen Schulabschluss machen, der sie dazu befähigt, eine Lehrstelle anzutreten oder zu studieren, um später einen Beruf zu ergreifen und ihre Existenz selbstständig zu bestreiten. Sie sollen sich so weit allgemein-bilden, dass sie sich in einer immer unübersichtlicheren Welt zurechtfinden und diese in Verantwortung für sich und für das Gemeinwohl mitgestalten. Die Entwicklungsaufgabe, die es zu bewältigen gilt, zielt auf einen selbstbewussten und eigenständigen Umgang mit Leistung, Ethik und Kultur.
Umgang mit Schule und Umbau der Leistungsbereitschaft: Jeder Schüler kennt das Sprichwort: „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir.“ In den höheren Klassen nimmt diese Volksweisheit immer plastischere Züge an, wenn dem Heranwachsenden bewusst wird, dass er sich mit seinen schulischen Leistungen und mit zu erwerbenden Fähigkeiten auf seinen Ausbildungs- und Berufsweg vorbereitet oder sich diesen eben verbaut. Dass schulische Ziele sich allerdings darin nicht