Impulse von außen bilden zu lassen, indem sie mittels Traditionen gegenwärtige Strömungen zu interpretieren und einzuordnen lernen, um so zu zukunftsfähigen und nachhaltigen Lösungen bzw. verantwortlichem Verhalten zu gelangen. Zugleich müssen sie sich Bildung persönlich aneignen, indem sie die Bildungsinhalte und -methoden mit sich selber in Bezug setzen, denn Bildung „meint die Gewinnung des Selbstbezugs durch Weltbezug; die Bewährung des Subjektiven durch Sich-Abarbeiten am Objektiven“ (FROST 1994, 452).
Zur Entwicklungsaufgabe Umgang mit Bildung gehört neben der politischen auch die religiöse Bildung. Bei der Beschäftigung mit dem Sinn des Lebens stößt der Heranwachsende an die Grenzen menschlichen Denkens. Fragen nach den ersten und letzten Dingen werden von Jugendlichen unterschiedlich beantwortet und interpretiert: religiös, besonders wenn die Eltern ihre religiöse Überzeugung glaubwürdig vermitteln, theistisch bzw. „säkular-religiös“, indem die Existenz einer höheren Macht angenommen wird. Die meisten Jugendlichen sind allerdings von rein innerweltlichen Erklärungen überzeugt und beantworten existentielle Fragen ausschließlich immanent. Das Fundament der politischen Orientierung bildet in der westlichen Gesellschaft ein Konsens hinsichtlich demokratischer Strukturen, die dazu beitragen, das gesellschaftliche Miteinander zu ermöglichen, es zu erhalten und weiterzuentwickeln. Obwohl der Konsens im Großen und Ganzen nach wie vor besteht, wird auch von Jugendlichen bemerkt, dass dieser mehrfach gefährdet ist; die vielfach vorhandene Interesselosigkeit an Politik und der Rückzug ins Private tragen dazu genauso bei wie Arbeitslosigkeit und soziale Ungerechtigkeit sowie Umweltbelastungen, Fundamentalismus, Kriminalität, Terrorismus und die Angst vor Kriegen. Dazu kommt, dass das weite Thema Sicherheit sowie das Gefühl der Ohnmacht angesichts globaler Finanzkrisen in den letzten Jahren überproportional an Bedeutung gewonnen hat.
Wer den Menschen als „zoon politikon“ bezeichnet, begreift den mündigen Bürger nicht als reines „Naturprodukt“; lange Lernprozesse ergänzen die Natur. Selbstständige Meinungsbildung geschieht dabei nicht im luftleeren Raum, sondern stets im sozialgeschichtlichen Kontext des politischen Systems, in dem einer aufwächst. Sie ist beeinflusst von politischen Bildungsanstrengungen des Elternhauses, von der Schule und den Parteien. Dennoch kann man auch von inneren Rahmenbedingungen der politischen Bildung in der Phase der Adoleszenz sprechen, wenn man einige Strukturmerkmale jugendlichen Denkens in Bezug auf die Politik beachtet: Jugendliche tendieren zu idealistischen, utopischen und radikalen Einstellungen, zeigen Widerwillen vor Vereinnahmung und neigen zu Selbstbezogenheit anstelle von Dienstbarkeit. Dazu kommt, dass sie im Rahmen ihrer kognitiven Reifung erstmals systematisch in Möglichkeitsräumen denken, dass sie abstrahieren und Hypothesen bilden können. Und schließlich fangen sie nicht bei null an, sondern sind zumeist von zu Hause her durch politische Präferenzen emotional geprägt.
Zur Entwicklungsaufgabe der politischen Bildung gehört, dass der Heranwachsende mündig wird, indem er demokratische Normen (besonders das Grundgesetz) kennenlernt und die Grundwerte unserer Verfassung (Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit) akzeptiert. Er soll zunehmend über die politische Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland Bescheid wissen und sich ein eigenes politisches Urteilsvermögen aneignen, um selber politisch handlungsfähig zu werden und für demokratische Werte sowie eine Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse aktiv eintreten zu können. Ein geeignetes Übungsfeld dafür stellen neben Formen sozialen Engagements schulische Mitbestimmungsprozesse und außerschulische Beteiligungsformen dar, in denen Jugendliche lernen, wie mühsam sich Zusammenleben zuweilen gestaltet, welchen Einsatz es braucht, um Schwierigkeiten zu überwinden, und wie wichtig es ist, faire Kompromisse zu schließen. Als Letztes geht es bei der Bewältigung dieser Entwicklungsaufgabe darum, nicht in Extreme abzugleiten, indem Jugendliche politischen Fragen und Anforderungen ganz aus dem Weg gehen („Null-Bock-Mentalität“ und Desinteresse) oder indem sie sich radikalisieren und zu Gewaltbereitschaft neigen (Rechtsradikalismus, Linksextremismus und Ausländerfeindlichkeit), sondern den Willen aufzubringen, Politik konstruktiv und gesellschaftsfördernd mitzugestalten.
Auf dem Weg zum mündigen Bürger müssen Heranwachsende unterstützt werden. Nicht allein den Familien, den Medien oder der Politik fällt die Aufgabe zu, die grundlegenden Infrastrukturen unserer Zivilgesellschaft zu sichern. Auch Schule und Jugendarbeit können einen je eigenen Beitrag dazu leisten, indem sie Wissen vermitteln und Haltungen einüben. Noch wichtiger scheint allerdings die Erfahrung Jugendlicher, dass sie in unserer Gesellschaft gebraucht und in ihr aufgenommen werden, dass sie dort einen Platz finden und diesen mitgestalten können.
1.1.1.4Identitätsarbeit – Entwicklungsaufgabe auf der Metaebene
Entwicklungsaufgaben lassen sich nicht isoliert voneinander bewältigen oder gar „abarbeiten“. Sie sind vielmehr eingebettet in einen größeren Prozess der Selbstwerdung der Gesamtpersönlichkeit, der ein Leben lang andauert und als Identitätsarbeit beschrieben wird. Nach Erik ERIKSON (1902–1994) gestaltet sich dieser in acht psychosozialen Stufen, innerhalb derer der Mensch phasenspezifische Krisen durchläuft, die durch Interaktionen mit seiner Umwelt ausgelöst werden. Gegensätzliche Anforderungen und Bedürfnisse müssen in ein und derselben Person bearbeitet und in sie integriert werden, damit diese mehr und mehr zu einer eigenverantwortlichen und selbstständigen Persönlichkeit wird. Auf den ersten drei Stufen bilden sich das Urvertrauen des Kleinkindes, sein Gefühl von Autonomie und seine Erfahrung von Eigeninitiative heraus. Die vierte Stufe, auf der sich Kinder etwa zwischen Klasse 1 und 6 befinden, ist von einer hohen Lernaktivität und Aufnahmebereitschaft geprägt. Kinder wenden sich nach außen und der Realität zu, wollen ihr Können demonstrieren und eigene „Werke“ erstellen und vollenden. In dieser Lebensphase ist es wichtig, dass Kinder gezielt gelobt und gefördert werden sowie lernen, mit Ausdauer und Fleiß an einer Sache zu bleiben und mit Widerständen bzw. Misserfolg umzugehen. Auf der fünften Stufe, die sich weitgehend über das Jugendalter erstreckt, geschieht ein grundlegender Perspektivwechsel: Der junge Mensch schaut auf sich: „Wie bin ich geworden?“, „Wie sehen mich die anderen – und wie sehe ich mich?“ und „Was will ich werden – wonach strebe ich?“ All diese nach innen gewandten Fragen münden in der einen Frage nach der eigenen Identität: „Wer bin ich?“ Um diese Frage positiv und entwicklungsförderlich beantworten zu können, muss der Jugendliche lernen, sich selber zu vertrauen und gegenüber dem, was ihn zuinnerst ausmacht, treu zu sein, sich unabhängig zu machen von Klischees oder Außensteuerungen, sich für das einzusetzen, wovon er überzeugt ist, und das aktiv zu gestalten, was von ihm erwartet wird und ihn voranbringt.20 Auf den letzten drei Stufen wird die Identitätsentwicklung fortgeschrieben. Dabei steht der Mensch vor der Aufgabe, intime Beziehungen zu knüpfen und zu gestalten, generativ tätig zu sein und schließlich in einem Rückblick sein So-geworden-Sein sinnhaft zu integrieren.
Im Unterschied zu ERIKSON wird heutzutage nicht mehr so sehr danach gefragt, worin Identität substantiell besteht, sondern auf welche Weise Jugendliche an ihrer Identität arbeiten. Dabei wird angenommen, dass Identitätsarbeit ein lebenslanger, dynamischer Prozess ist, der sich wesentlich aus Interaktionen speist und bei dem Heranwachsenden die Aufgabe zukommt, Teilidentitäten miteinander zu verknüpfen sowie konkrete und aktuelle Situationen so zu deuten, dass sie sich als handelnd, Aufgaben bzw. Probleme bewältigend sowie reflektierend erleben können.
Eine interne Voraussetzung der Identitätsarbeit besteht in der Beschaffenheit des Selbstwertgefühls, wobei jeder, der den Prozess begleitet, beachten muss, dass „nicht nur niedriges, sondern auch hohes Selbstwertgefühl […] zu Selbstregulationsfehlern führen und selbstschädigendes Verhalten begünstigen“21 kann, wenn die zu hohe Selbsteinschätzung eines Jugendlichen mit einer niedrigen sozialen Bewertung nicht mehr korrespondiert. Eher förderliche Auswirkungen auf die Erarbeitung der eigenen Identität hat dagegen ein Selbstkonzept, dem es gelingt, eigene und fremde Konstruktionsleistungen miteinander in Beziehung zu setzen und zu integrieren. Kontexte, die diese Erarbeitung beeinflussen, sind z. B. kritische Lebensereignisse. Sie stellen Stressoren dar, wenn sie unerwartet eintreten und der Jugendliche darauf nicht vorbereitet ist (Scheidung, Krankheit, Tod, Missbrauch). Die Bewältigung solcher traumatischer Lebensereignisse kann sehr umfangreich sein und „bis zu einer völligen Umorganisation des Selbst sowie der Sicht von Mensch und Welt führen“. Entwicklungsförderlich