werden sie zu Entwicklungsaufgaben, wenn er die Chance hat, sich – ehe sie eintreten – mit ihnen auseinanderzusetzen.
1.1.2Zielrichtung humaner Entwicklung
Kein Modell allein kann die psychische Entwicklung von Jugendlichen erschöpfend beschreiben. Immer geht es nur um Annäherungen bzw. um das Deutlichmachen einzelner Aspekte, die dazu beitragen, einen Gesamteindruck des Entwicklungsprozesses in der Jugendphase zu vermitteln. Am überzeugendsten gelingt dies in der von FEND vorgelegten „integrierten Theorie der besonderen ‚Seelenstruktur‘ der Adoleszenz“ (FEND 2003, 413), in welche Theorien über die Reorganisation des „Ich-Welt-Bezugs“, über den Umbau sozialer Beziehungen und über die Veränderung der Triebstruktur einfließen.
Entwicklungsaufgaben und Selbstwerdung: Ein Charakteristikum der Adoleszenz besteht darin, dass Heranwachsende sich erstmals bewusst in ein Verhältnis zu sich selbst und zu ihrer Umwelt setzen. Dieses reflexive Moment stellt Jugendliche vor die Herausforderung, an der eigenen Identität zu arbeiten, was von ihnen verlangt, altersspezifische Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Dabei entdecken sie, dass nicht nur ihr reales und ihr ideales Ich auseinandertreten, sondern dass sie auch unterscheiden müssen (und können) zwischen ihrem Inneren und Äußeren. Sie agieren nun nicht mehr so direkt, spontan und in Übereinstimmung mit sich selbst, wie sie dies als Kinder noch getan haben. Vielmehr erleben und betrachten sie sich aus verschiedenen Perspektiven,23 woraus wiederum eine neue Entwicklungsdynamik entsteht, die versucht, Kontinuitäten und Diskontinuitäten in einer authentischen Persönlichkeit zu integrieren.
Selbstständigkeit und Zielgerichtetheit: Ein Phänomen, das in der Jugendphase allgemein beobachtet wird, besteht in der wachsenden Selbstständigkeit und Eigenverantwortung. Jugendliche lösen sich vermehrt aus Abhängigkeiten, streben nach Autonomie und werden selbstregulatorisch tätig. Damit aus diesen Tendenzen ein aktiv mitgestalteter Prozess wird, müssen sie Zielperspektiven aufbauen und ihrer eigenen Entwicklung – im Wissen um das, was sie sind, was sie wollen, was sie können und was ihnen möglich ist – eine Richtung geben.
Umgestaltung des Beziehungsgefüges: Zur Pubertät gehört des Weiteren die „Reorganisation der Libido“, die Transformation kindlicher Bindungen in eigenständigere Beziehungen zu Gleichaltrigen. Die Abnabelung von den Eltern spielt dabei eine ebenso wichtige Rolle wie der Aufbau von intimen Beziehungen und die Suche nach neuen Partnern. Doch auch hier gilt, dass die neu gewonnene und selbst erarbeitete Freiheit auf ein Ziel ausgerichtet wird, letztlich auf die Begründung einer dauerhaften und tragfähigen gegengeschlechtlichen Partnerschaft.
1.2Religionspsychologische Aspekte
Auch bei der religionspädagogischen Psychologie des Kleinkind- und Jugendalters ist es wichtig, endogene (Tiefenpsychologie bzw. strukturgenetische Stufentheorien) und exogene (sozial-kognitive Lerntheorie bzw. Soziologie) Erklärungen heranzuziehen, diese pluralistisch-integrativ in eine interaktive Theorie religiöser Entwicklung „aufzuheben“ und dabei Konsequenzen für die religiöse Bildung/Erziehung zu bedenken. Religiöse Bildung/Erziehung soll zu einer „ganzheitlichen“ Religiosität führen sowie das „Heil“ von Kindern und Jugendlichen fördern, indem sie deren Themen anspricht und ihnen bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben hilft.
1.2.1Religiöse Entwicklung der Person
Endogene Erklärungen gehen davon aus, dass auch die religiöse Entwicklung des Menschen in erheblichem Umfang Teil eines immanenten Planes ist und idealtypischen Gesetzmäßigkeiten unterworfen.
Der Theologe und Entwicklungspsychologe James FOWLER entwirft eine ganzheitliche Theorie von sechs aufeinander aufbauenden Stufen des Glaubens. Eine Vorstufe bildet demnach der undifferenzierte Glaube von Kleinkindern, die in einer wechselseitigen Beziehung zu ihren Eltern stehen; auf dieser Vorstufe entwickeln sich im Menschen das Urvertrauen sowie Formen von Selbstständigkeit, Hoffnung und Mut. Im Vorschulalter produziert die Vorstellungskraft des Kindes in einer ersten Selbst-Bewusstheit eine langlebige Bilder- und Gefühlswelt, weswegen man in diesem Alter von einem intuitiv-projektiven Glauben spricht. Grundschulkinder werden durch ihr konkret-operationales Denken dazu befähigt, eigene Erfahrungen narrativ auszudrücken sowie Geschichten und Glaubensinhalte zu übernehmen; dadurch zeigen sie an, dass sie einer bestimmten Gemeinschaft zugehören. Weil Geschichten und Symbole in diesem Alter eindimensional verstanden und wörtlich interpretiert werden, Handlungsträger anthropomorph sind und die Welt wahrgenommen wird als eine, die allein auf Reziprozität beruht, bezeichnet man diese Stufe als mythisch-wörtlichen Glauben. Ab der Pubertät ist es das einsetzende formal-operative Denken, das den Jugendlichen implizite Widersprüche in den „stories“ entdecken lässt und das ihm ermöglicht, durch wechselseitige Perspektivenübernahme neue Formen von Zwischenmenschlichkeit einzugehen. Da unterschiedliche Werte und Informationen meist in einem konformistischen Rückgriff auf anerkannte Autoritäten zu einer Weltanschauung synthetisiert werden, ist hier die Rede vom synthetisch-konventionellen Glauben. Ab etwa 20 Jahren führen Konflikte mit bedeutenden Autoritäten, die Erfahrung der Relativität von Glaubensinhalten, der Abschied vom Elternhaus und das nun voll entfaltete formal-operationale Denken häufig zu Spannungen, die der Heranwachsende mit Hilfe seiner kritischen Vernunft zu lösen versucht, was sich in Bezug auf den Glauben meist entmythologisierend auswirkt; wird diese Stufe erreicht, so kann man vom individuierend-reflektierenden Glauben sprechen. Erst viel später – wenn überhaupt – drängt die Einsicht in die Komplexität des Lebens Menschen zur dialektischen Auseinandersetzung mit den zentralen Lebenswahrheiten und Fragen nach den letzten Dingen, mit den eigenen Überzeugungen und den Positionen anderer, wobei die Relationierung unterschiedlicher Traditionen dazu beiträgt, Gegensätze zu vereinen und einen verbindenden Glauben zu entwickeln. Obwohl empirisch nicht überprüfbar, können Menschen in seltenen Fällen zu einem universalisierenden Glauben finden, indem sie nach einer alles umfassenden Gemeinschaft streben. Solche Menschen sind bereit zu einem radikalen Einsatz für Gerechtigkeit und Liebe und setzen sich selbstlos und leidenschaftlich für eine Welt ein, die in göttlicher und transzendenter Absicht zu verwandeln ist. Obwohl diese Stufentheorie auch ihre Schwächen hat, kann sie helfen, allgemeine Aspekte der Glaubensentwicklung zu verstehen und Prozesse, in denen diese mit der Persönlichkeitsentwicklung einhergeht, in der Seelsorgepraxis zu begleiten und zu fördern.
Der Erziehungswissenschaftler Fritz OSER sowie der Philosoph und Theologe Paul GMÜNDER knüpfen an strukturgenetische Stufentheorien an und erweitern diese um eine Theorie des religiösen Urteils. Ihren Untersuchungsgegenstand, die Religiosität als Beziehung des Menschen zu einem Letztgültigen bzw. zu Gott, verstehen sie als eigenständige Dimension menschlichen Denkens und Handelns, die zwar eine gewisse Denkentwicklung und Sozialisation voraussetzt, sich jedoch nicht weiter reduzieren lässt, sondern Ausdruck einer anthropologisch verankerten religiösen Mutter-Struktur ist. Auf einer vorsprachlichen Stufe nehmen Kleinkinder eine „vorreligiöse Haltung“ ein und können lediglich unterscheiden, dass sie selber etwas tun oder von außen beeinflusst werden (Innen-Außen-Dichotomie). Vorschulkindern hingegen gelingt es, ein handelndes Letztgültiges von anderen Außenkräften zu unterscheiden. Gleichzeitig begreifen sie, dass dieses aktiv in die Welt eingreift und den Menschen in allem unmittelbar führt. Dieser wiederum erfährt sich als abhängig und reaktiv und steht unter dem Erwartungsdruck, sich im Sinne des Letztgültigen zu verhalten (Deus ex machina). Schulkinder entdecken, dass sie das Letztgültige beeinflussen können, da ihnen Mittel zur Verfügung stehen (etwa Riten oder Gebet), die, wenn man sie richtig einsetzt, sanktionsmildernd, begünstigend oder präventiv wirken. Sie können sich nun selber artikulieren und dem Erwartungsdruck des Letztgültigen widerstehen und widersprechen, was ihn zu ihrem Gegenpart macht (Do ut des). Jugendliche differenzieren zwischen einem Verantwortungsbereich des Letztgültigen und einem der Welt, in der man sich absolut autonom und frei von Gott erfährt. Zwischen Transzendenz und Immanenz gibt es keinerlei kausale Zusammenhänge.