Hermann Wohlgschaft

Für immer und ewig?


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zu Trennungen kommt und anschließend – oder auch schon parallel zur ›offiziellen‹ Beziehung – zu anderen Bindungen.

      Die Möglichkeit des nur unzureichenden Gelingens oder des vollständigen Scheiterns besteht freilich nicht nur bei Partnerbeziehungen und intimen Freundschaften. Sie besteht auch im Falle der Ehelosigkeit als frei gewählter Lebensform. Natürlich kann es sein, dass ein Mann oder eine Frau sich für den Zölibat entscheidet und erst später begreift, dass er/sie diese Lebensform nicht wirklich und nicht glaubwürdig realisieren kann. Ist es dann in jedem Fall Untreue, ist es in jedem Fall ein persönliches Versagen, eine Schuld gegenüber Gott und den Menschen, wenn jemand die Konsequenzen zieht und sich neu orientiert?

      Was mich über solche Fragen hinaus berührt und existenziell bewegt, ist die fundamentale, die philosophisch-anthropologische Frage: Hat die liebevolle Partnerbeziehung, trotz ihrer Gefährdung und trotz ihres potentiellen Scheiterns, ihrem eigentlichen Wesen nach eine Bestimmung zur Dauer, zur Verlässlichkeit, zur Nachhaltigkeit? Ja hat die Partnerliebe – sofern sie echt ist und sich auf Erden bewährt – eine Ewigkeitstiefe, eine eschatologische Relevanz?

      Einem Jesuswort zufolge wird es in der Ewigkeit Gottes keine Ehe mehr geben (Mk 12,25). Gilt dieser eschatologische Vorbehalt Jesu nur für die Ehe als einer vorübergehenden Einrichtung, als einer kulturgeschichtlich bedingten Institution? Oder gilt dieser Vorbehalt Jesu auch für jede andere Art der Geschlechterbeziehung? Mit anderen Worten: Ist die Partnerliebe, von den Aussagen Jesu her gesehen, in jedem Fall etwas rein Irdisches und folglich Vergängliches? Auf diese, in meiner Sicht wichtigen und theologisch brisanten, Fragen werde ich – ebenso wie auf die Problematik der Scheidung und Wiederverheiratung – in den folgenden Kapiteln ausführlicher eingehen.

      Wie gesagt, mein Thema ist nicht nur die Ehe, mein Thema ist die leib-seelische Partnerliebe in ihren vielen Facetten: die Partnerliebe, die sich ausstreckt nach einem menschlichen Du, die sich verschenkt und die selbst aufs reichste beschenkt wird. Diese – durchaus erotische – Liebe hat eine Tiefendimension, die das Nachdenken und die theologische Erhellung verdient.

      Die zwischenmenschliche Liebe und somit auch die Geschlechterbeziehung sehe ich in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Gottesbeziehung.1 Wie eng die Gottesbeziehung und die Geschlechterbeziehung miteinander verknüpft sein können, ist seit langem ein Brennpunkt meines theologischen Fragens und Suchens. So zweifle ich nicht daran: In jeder Krise, in jedem Scheitern liegt auch eine neue Chance, eine Möglichkeit der Heilung und des neuen Beginns! Diese umfassende Chance hat – nach dem Zeugnis der Bibel – ihren letzten und eigentlichen Grund in Gott, der die Liebe ist (1 Joh 4, 8).

      Wenn eine Freundschaft, eine Liebesbeziehung, eine Ehe zerbricht, kann es einen neuen Anfang geben. Dieser neue Anfang kann, theologisch gerechtfertigt,2 mit einem anderen Partner gefunden werden. Er kann aber, in manchen Fällen, auch mit dem ›alten‹ Partner gefunden werden. Im Vertrauen auf die unbegrenzte Liebe Gottes jedenfalls kann die irdische Partnerbeziehung, durch manche Niederlagen und manche Brüche hindurch, neu gefestigt und neu belebt werden. Ja sie kann verewigt und vervollkommnet werden im Gottesreich!

      Es war für mich eine bedeutsame Entdeckung, dass ich mit dieser – die jetzige Welt überschreitenden – Lebensauffassung durchaus nicht allein stehe.3 Zwar schreiben viele Autoren in erster Linie über die Vergeblichkeit, das Elend, das Scheitern der Liebe. Nicht selten wird dieses Scheitern auch dargestellt in der bildenden Kunst. Eine mögliche Rettung aber, eine innere Heilung der Partnerbeziehung scheint in Kunst und Poesie – zumal in neuerer und neuester Zeit – kein häufiges Thema zu sein. Und eine Transzendenz, eine Ewigkeitsrelevanz der Partnerliebe ist erst recht kein bevorzugtes Motiv.

      Man kann auch nicht sagen, dass allen, die über die Liebe schreiben (oder sie künstlerisch darstellen), die Frage nach einem göttlichen Grund der Liebe besonders wichtig sei. Immerhin aber ist mir beim Nachforschen in der Kulturgeschichte eine ansehnliche Reihe von – sehr hochrangigen – Vertreter/innen der Weltliteratur, der Schönen Künste und der Philosophie begegnet, die genau um diese eine besondere Frage kreisen: Gibt es einen göttlichen Urgrund, der der zwischenmenschlichen Liebe – die Freundes- und die Partnerliebe mit eingeschlossen – eine letzte Tiefe, ja einen Ewigkeitscharakter verleiht?

      Als Christ darf ich glauben: Der Grund und das Ziel jeder Liebeserfahrung ist Gott. Da Gott den Menschen aber »nach seinem Bilde« erschaffen hat (Gen 1,26 f.) und da Gott selbst, in Jesus Christus, Mensch geworden ist, lassen sich göttliche und menschliche Liebe im Grunde nicht trennen. Eben deshalb brauchen ja alle Menschen, auch »Gott geweihte« Priester und Ordensfrauen, ›intime‹ Beziehungen: das heißt menschliche Wärme und Geborgenheit (die es, wie ich aufzeigen will, auch in Seelenfreundschaften geben kann).

      Warum aber kann sich die Liebe, gerade auch die Geschlechterliebe, nicht wirklich abfinden mit der Vergänglichkeit? Ist es nur Dummheit und Trotz, nur kindische Unreife, nur fehlende Einsicht in die Endlichkeit des Lebens? Oder hat das Verlangen nach Ewigkeit, nach »tiefer, tiefer Ewigkeit« (Nietzsche),4 einen ganz anderen Grund? Beruht die Liebe, als Sehnsucht nach Unendlichkeit, auf einem heimlichen ›Wissen‹, auf einer Glaubensgewissheit – begründet im Urvertrauen auf Gott, der das Leben »in Fülle« (Joh 10,10) ist?

      Was eigentlich ist das Wesen der Liebe von Mann und Frau? Was ist das Wesen der Liebe überhaupt, unabhängig von ihren unterschiedlichen Arten und Formen? Wo kommt die Liebe her, worauf will es mit ihr hinaus? Diese ›Menschheitsfragen‹ stehen im Fokus der folgenden Buchkapitel. Die irdische Liebe also mit ihren vielfachen Begrenzungen, speziell aber die Partnerliebe mit ihren weitreichenden Unzulänglichkeiten ist mein durchgängiges Thema.

      Nicht zuletzt aber steht das Ziel, die tiefere Sehnsucht, die himmelwärts gerichtete Grundbestimmung der Liebe im Blickfeld meiner Betrachtungen. Die eschatologische Hoffnung also, die Hoffnung auf Unsterblichkeit auch der Liebe von Mensch zu Mensch – und von Mann und Frau – ist ein wichtiger Beweggrund für meine Überlegungen.

      Nichts auf der Welt ist schwieriger

      als die Liebe,

      aber ein Leben ohne Liebe

      heißt sterben vor dem Tod.

       García Márquez

      Kapitel I

      Die erotische Partnerliebe

      Die Liebe ist allgegenwärtig. Sie hat viele Gestalten und begegnet uns überall. Sie schaut uns an im normalen Alltag, in herausgehobenen Glücksmomenten und in den Werken der Kunst. Sie macht uns lebendig, sie gibt unserem Dasein den Sinn und den bleibenden Wert. Ohne Liebe wäre unser Leben erbärmlich, ja ohne die Liebe wären wir »nichts« (1 Kor 13,2).

      Ob bewusst oder unbewusst, nach Liebe sehnen sich alle. Natürlich setzt auch die Paarbeziehung, die echte, tragfähige Verbindung zwischen den Partnern, immer schon Liebe voraus – eine wechselseitige Zuneigung, die den anderen als wirklichen ›Schatz‹ erlebt. Zwar ist diese Art der Liebe noch keineswegs die Seligkeit. Und sie ist, mit ihrem Geben und Nehmen, gewiss nicht der einzige Weg zum Glück. Aber sie ist ein Weg, ein möglicher Weg zum Himmel.

      In jedem Fall hat die Partnerbeziehung eine existentielle Bedeutung. Das wissen besonders die Schriftsteller und Dichter, die das Leben in verdichteter Form auf den Punkt bringen. Es versteht sich von selbst, es entspricht dem Wesen des menschlichen Daseins, wenn die Partnerbeziehung das Thema in der Literatur aller Regionen und aller Zeiten ist. So gibt es wohl keinen Roman, fast keine Märchen oder Legenden, kaum ein lyrisches Gedicht oder sonstige Werke der Weltliteratur, in denen die Liebe – meist als Liebe von Mann und Frau – keine tragende Bedeutung hat und keine maßgebliche Rolle spielt.

      Die Liebe ist die Energie, die treibende Kraft, die