Hermann Wohlgschaft

Für immer und ewig?


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Fall etwas Verwerfliches wäre. Es kann – wie noch genauer zu erörtern ist6 – Situationen geben, in welchen die Trennung um der Würde der Partner willen sogar zwingend erforderlich ist.

      Aber ihrem eigentlichen Wesen nach ist die Liebe von Mann und Frau, das ist meine innerste Überzeugung, auf Dauer hin angelegt. Dieses Wesen der Partnerliebe kann zwar nicht immer realisiert werden. Umso wichtiger aber ist es, dieses eigentliche Ziel der Liebe nicht gänzlich aus den Augen zu verlieren.

      Die tiefe, der Herzensmitte entspringende Partnerliebe ist etwas Großes. Sie ist etwas wunderbar Schönes, ja Heiliges, das von Gott kommt und zu Gott hinführt. Eine derartige Paarbeziehung ist ein kostbares Gut, viel zu kostbar, als dass es fremden Interessen geopfert werden dürfte. Nein, der Partnerliebe eignet eine unantastbare Würde und sie hat ihren Wert durchaus in sich selbst.

      Freilich will ich keiner ›losgelösten‹ Zweierbeziehung das Wort reden, keinem verantwortungslosen, allein auf sich selbst bezogenen ›Egoismus zu zweit‹. Denn Liebe besteht – um ein bekanntes Wort von Antoine de Saint-Exupéry etwas abzuwandeln – nicht nur darin, »dass man einander ansieht«, sondern zugleich auch darin, »dass man in die gleiche Richtung blickt«.7

      Was Paare nachhaltig und auf Dauer verbindet, sind vor allem die gemeinsamen Ziele und Aufgaben. Paarbeziehungen dürfen sich also nicht isolieren von der Welt und von der Gesellschaft. Selbstverständlich müssen sie – anders könnten sie gar nicht gelingen – fest eingebunden sein in ihre soziale Umgebung, in Freundeskreise, ja in das Ganze der Schöpfung. Und die Paare müssen im Rahmen ihrer Möglichkeiten Verantwortung übernehmen in der Gesellschaft und in ihrem besonderen Umfeld.

      Was aber zurückgewiesen, was kritisiert und bekämpft werden müsste, sind soziale Rahmenbedingungen, die die Möglichkeit einer personalen Liebesbeziehung von Mann und Frau nicht fördern, sondern eher behindern. Ich denke – um ein extremes Beispiel zu bringen – an autoritäre Strukturen, an totalitäre, inhumane Systeme, die die individuelle Person und ihre Privatsphäre zu entmündigen und zu reglementieren versuchen. Auch die Ehen und die Familien können in solchen Systemen – unter entsprechenden Umständen, wenn die Ideologie es verlangt – dem Kollektiv oder der Staatsräson zum Opfer gebracht werden.

      Individuelle Personen und somit auch Partnerbeziehungen dürfen in keinem Fall zum Spielball werden für ›höhere‹ Mächte. Paarbeziehungen sind zwar ein Teil der Gesellschaft, aber die Gesellschaft darf über sie nicht bestimmen. Genau dies aber geschieht in manchen politischen, kulturellen oder religiösen Systemen – wenn z. B. festgelegt wird, wer wen heiraten darf. Oder wenn sogar festgelegt wird, wer wen heiraten muss (zum Beispiel aufgrund einer Schwangerschaft)! Ganz zu schweigen von den Kinder-Ehen, wie sie in europäischen Adelshäusern lange Zeit üblich waren und wie sie teilweise noch heute in manchen Ländern und Kulturen der Brauch sind: eine Praxis, die personale Geschlechterliebe schon im Ansatz erstickt und (innerhalb der Ehe) gar nicht erst aufkommen lässt.

      Bei solchen ›Ehen‹ ging bzw. geht es natürlich in keiner Weise um die wirkliche Liebe von Mann und Frau, sondern einzig um die Interessen der Familienclans. Die Eheschließungen wurden bzw. werden von anderen gesteuert und einem bestimmten Zweck unterworfen. Sie dienen allein dem Willen der Familien, ihre politische Macht oder ihr materielles Vermögen zu festigen und möglichst noch zu vergrößern. Die Liebe, die leiblich-seelische Zuneigung der Partner ist bei solchen ökonomischen oder gesellschaftspolitischen Arrangements allenfalls eine Nebensache. Für Zärtlichkeit, für wahre Partnerbeziehung oder gar für ›romantische‹ Liebe bleibt hier wenig oder keinerlei Raum.

      Jahrhundertelang wurde auch im Eheverständnis der katholischen Kirche die Partnerliebe als etwas Unwichtiges oder (wenn es hoch kommt) Sekundäres betrachtet. Denn im Wesentlichen ging es – bis zum Vaticanum II, also bis in die 1960er Jahre hinein – lediglich um die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft sowie um die gesetzliche Regelung des Geschlechtstriebs.8

      Freilich erst seit dem Mittelalter wurde in der Kirche die Frage nach den Merkmalen einer christlichen Ehe bzw. nach den Bedingungen für die Gültigkeit einer Ehe intensiver und dringlicher gestellt.9 Es war dann immerhin ein wichtiger Schritt, dass die kirchliche Rechtsauffassung den freien Konsens der erwachsenen Partner zur Voraussetzung für die Gültigkeit einer sakramental geschlossenen Ehe erklärte. Wobei mir die Festlegung des ehemündigen Alters auf die Vollendung des 16. Lebensjahres bei Männern bzw. des 14. Lebensjahres bei Frauen allerdings erschreckend niedrig erscheint. Diese im Prinzip noch immer geltende Rechtsbestimmung10 der Kirche verrät ganz offenkundig ein biologistisches, allein an der Zeugungsfähigkeit orientiertes Eheverständnis. Dass Teenies im fast noch kindlichen Alter grundsätzlich in der Lage sein sollen, eine unwiderrufliche Lebensentscheidung zu treffen und sich gegenseitig auf Lebenszeit die eheliche Liebe und Treue zu versprechen, ist schlichtweg nicht nachzuvollziehen.

      Auf der anderen Seite gibt es eine durchaus erfreuliche Weiterentwicklung des katholischen Eheverständnisses. So ist es sehr zu begrüßen, dass im heutigen Kirchenrecht – im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil11 – das beiderseitige »Wohl der Ehegatten« an erster Stelle genannt wird.12 Doch in mehrfacher Hinsicht halte ich das kirchliche Eheverständnis, die jetzige Doktrin über die Partnerbeziehung von Mann und Frau, noch immer für unzureichend, für sehr weltfremd und dringend reformbedürftig.

      Mit Recht zwar wird die Ehe in den christlichen Kirchen, einschließlich der Kirchen der Reformation,13 sehr wertgeschätzt. Theologisch zu Recht auch wird der – auf freier Entscheidung basierende – Ehebund in der katholischen Kirche und in der ostkirchlichen Orthodoxie als Sakrament angesehen: als wirksames und erfahrbares Zeichen für die Liebe Gottes zur Welt und zum Menschen. Gleichwohl scheinen mir die kirchliche Sexualmoral und auch das derzeitige kanonische Eherecht (ganz abgesehen von der antiquierten und verrechtlichten Diktion) viel zu einseitig und menschenfern.

      ›Erlaubte‹ und nicht von vornherein ›sündhafte‹ Partnerbeziehungen kann es nach der herkömmlichen Lehre der katholischen (wie auch der evangelischen) Kirche ja ausschließlich im Rahmen der ehelichen Verbindung geben. Eine echte, von Gott gesegnete und geheiligte Geschlechterliebe auch vor oder außerhalb der kirchenrechtlich ›gültigen‹ Ehe ist nach der traditionellen katholischen Lehre absolut nicht vorgesehen, jedenfalls nicht für getaufte Christen.

      Diese rigorose Auffassung, die sexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe strengstens verbietet und in jedem Falle als schwere Sünde verurteilt, korreliert zugleich mit einem sehr verengten Eheverständnis. Sie entspringt einem überholten Konzept, das die Ehe auf eine biologische Zweckgemeinschaft reduziert und den Eheleuten das exklusive, mit dem Willen zur Fortpflanzung verknüpfte »Recht auf den Körper« (ius in corpus) des anderen gewährt. Das Ehesakrament wird in diesem Verständnis primär als juristischer Vertrag angesehen, in welchem sich die Partner – wie der katholische Moraltheologe Eberhard Schockenhoff kritisch bemerkt – »gegenseitig das Recht zum Geschlechtsverkehr übertragen. Unter dieser Voraussetzung ist es allerdings konsequent, allen unverheirateten Paaren (…) das Recht zur sexuellen Gemeinschaft abzusprechen.«14

      Die sehr mangelhafte und ungenügende Konzeption der Ehe als einem vertraglichen Rechtsverhältnis wurde durch das Zweite Vatikanische Konzil zwar überwunden: zugunsten eines personalen Verständnisses, das in der Ehe eine partnerschaftliche, von wechselseitiger Liebe getragene Lebensgemeinschaft sieht. Doch diese weiterführende Sichtweise des Konzils wurde im neuen kirchlichen Gesetzbuch (1983) nicht konsequent übernommen. Denn der § 2 des Kanon 1055 fällt wieder ganz in das vertragsrechtliche Schema zurück, »als sei auf dem Konzil nichts geschehen«.15

      Auch in anderen Punkten empfinde ich das Eheverständnis der katholischen Kirche als nach wie vor zu eng, als zu weit entfernt von den vielfältigen Wirklichkeiten des Lebens. So hätte z. B. die kirchliche Position zur Empfängnisverhütung schon längst korrigiert werden müssen. Außerdem wäre es aus mehreren – später noch zu erörternden16theologischen Gründen überfällig, wiederverheiratet Geschiedenen die Sakramente nicht generell