machen, die Umgebung weniger gut verstehen und eher organisationale Normen verletzen als erfahrene Mitarbeitende. Erhalten neue Mitarbeitende von erfahrenen Kolleginnen und Kollegen genügend Informationen und Rückmeldungen, verstehen sie, was sie wann noch zu lernen haben (Wanberg & Kammeyer-Mueller, 2000). Information und Feedback ermöglichen es ihnen, ihre Umwelt zu erschließen, den Sinn ihrer Arbeit zu verstehen und Unsicherheit zu reduzieren (Louis, 1980; Saks & Ashforth, 1997).
Einige arbeitspsychologische Studien gehen davon aus, dass Anforderungsvielfalt und Autonomie für junge, unerfahrene Mitarbeitende weniger wichtig sind als für erfahrene Personen (Fried, Grant, Levi, Hadani & Slowik, 2007; Truxillo et al., 2012). In der ersten Karrierephase führen Mitarbeitende zunächst einfachere Tätigkeiten aus, werden eng begleitet und müssen erst die Kompetenzen erwerben, um anspruchsvolle Aufgaben zu übernehmen. Sind sie überzeugt, dass ihre Arbeitstätigkeit später vielseitiger und komplexer wird und die aktuelle Arbeit ihrer beruflichen Laufbahn dient, akzeptieren sie anfängliche Einschränkungen bezüglich Anforderungsvielfalt und Mitbestimmungsmöglichkeiten (Fried et al., 2007). Andere Forschende betonen hingegen, dass es besonders für junge Mitarbeitende wichtig ist, anspruchsvolle Arbeiten auszuführen, in denen sie verschiedene Fähigkeiten und Fertigkeiten anwenden können (De Witte, Verhofstadt & Omey, 2007). Hohe Anforderungen bei gleichzeitig hohen Mitbestimmungsmöglichkeiten fördern das Lernen, die Anpassung an die Arbeitsumgebung und die Karriereentwicklung.
Auch aus sozialisationstheoretischer Sicht ist angenommen worden, dass Anforderungsvielfalt und Autonomie bzw. Mitbestimmung in der ersten Zeit nach Stellenantritt nicht wichtig sind oder sogar einen negativen Effekt haben (Katz, 1980; vgl. dazu Saks & Gruman, 2012). Demgegenüber sind insbesondere die Ganzheitlichkeit und Sinnhaftigkeit der Arbeit sowie das Feedback von anderen Organisationsmitgliedern zentral (Katz, 1980). Unabhängig von ihrer Berufserfahrung müssen neue Organisationsmitglieder zuerst die sozialen und technischen Aspekte ihrer neuen Rolle erlernen. Im Vordergrund steht die Reduktion von Unsicherheit. Arbeitstätigkeiten, die den Einsatz vieler verschiedener Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten erfordern und den Mitarbeitenden viel Handlungsspielraum lassen, gefährden die Entwicklung von Aufgabenbeherrschung und Rollenklarheit. Sie erhöhen damit die Unsicherheit. Andere sozialisationstheoretisch ausgerichtete Studien zeigen jedoch, dass neben Ganzheitlichkeit, Sinnhaftigkeit und Feedback auch die Anforderungsvielfalt und Mitbestimmung für die Integration neuer Mitarbeitender entscheidend sind. So sind neue Mitarbeitende, die in den ersten Monaten mit anforderungsreichen und verantwortungsvollen Aufgaben konfrontiert werden, zufriedener mit ihrer Arbeit und identifizieren sich stärker mit ihrem Betrieb als Mitarbeitende mit weniger anspruchs- und verantwortungsvollen Arbeitstätigkeiten (Ashforth, Saks & Lee, 1998). Zusammenfassend lässt sich aus den wenigen Studien schließen, dass Betriebe nicht nur mit institutionalisierten Sozialisationstaktiken, sondern auch durch eine abwechslungs- und anforderungsreiche Arbeitsgestaltung zu einer guten Sozialisation neuer Mitarbeitender beitragen.
Proaktivität
Organisationen tragen durch eine sorgfältige Selektion, institutionalisierte Sozialisationstaktiken und gute Arbeitsbedingungen zu einer gelingenden Anpassung neuer Mitarbeitender bei. Es ist ihnen jedoch nicht möglich, neuen Mitarbeitenden alle nötigen Informationen und Kontakte zur Verfügung zu stellen. Mitarbeitende müssen selber aktiv werden, um zu lernen, was von ihnen erwartet wird und welche Freiheiten sie haben.
Proaktivität betont die aktive Rolle, die neue Mitarbeitende einnehmen, um ihre Arbeit und den Betrieb kennenzulernen und das Arbeitsumfeld zu gestalten (Ashforth et al., 2007). Proaktive Menschen passen sich nicht einfach an die Umweltgegebenheiten an, sondern ergreifen vorausschauend selbst die Initiative (Grant & Ashford, 2008; Parker & Collins, 2008). Sie sind gegenüber Neuerungen offen und positiv eingestellt, suchen Veränderungsmöglichkeiten, erkennen Chancen und schaffen sich so bessere Arbeitsbedingungen (Crant, 2000; Seibert, Kraimer & Crant, 2001). Proaktive Personen suchen Informationen über die Arbeit oder den Betrieb, fragen direkt bei Vorgesetzten oder Arbeitskolleginnen und -kollegen nach, holen Feedback zur eigenen Arbeitsleistung ein und bauen soziale Beziehungen und Netzwerke auf (De Vos & Freese, 2011; Ostroff & Kozlowski, 1992; Wanberg & Kammeyer-Mueller, 2000). Weniger proaktive Menschen verhalten sich eher passiv und reaktiv. Sie passen sich eher an die äußeren Gegebenheiten an, statt diese verändern zu wollen.
Dass proaktives Verhalten proximale Sozialisationsergebnisse wie Lernen, soziale Integration, Rollenklarheit und Aufgabenbeherrschung beeinflusst, ist gut belegt (Ashforth et al., 2007; Bauer & Erdogan, 2011; Saks & Gruman, 2011). Arbeitnehmende, die selber nach Informationen und Feedback suchen und Beziehungen aufbauen, erhalten mehr Rückmeldungen von Vorgesetzten, Kolleginnen und Kollegen. Sie lernen effektiver, beherrschen ihre Aufgaben schneller und verstehen ihre Arbeitsrolle besser als weniger proaktive Personen (Ashforth et al., 2007; Morrison, 2002; Saks & Gruman, 2011). Sie finden sich schneller zurecht und passen sich besser und schneller an die neue Arbeitsumgebung an (Bauer & Erdogan, 2011). Proaktives Verhalten wirkt sich auch auf distale Sozialisationsergebnisse aus. Je häufiger sich Personen informieren und je aktiver sie sich um gute soziale Beziehungen bemühen, umso zufriedener sind sie mit ihrer Arbeit, umso stärker fühlen sie sich dem Betrieb zugehörig und umso eher möchten sie im Betrieb bleiben (Kammeyer-Mueller et al., 2013; Morrison, 1993; Wanberg & Kammeyer-Mueller, 2000). Demgegenüber zeigen vereinzelte Studien, dass proaktives Verhalten in gewissen Situationen einen negativen Einfluss auf die Anpassung neuer Mitarbeitender hat (Bauer & Green, 1998; Van Vianen & De Pater, 2012). Mitarbeitende, die aus eigenem Antrieb neue Informationen über den Betrieb und ihre Arbeit suchen, merken allenfalls schneller, dass ihre Werte nicht mit denjenigen des Betriebs übereinstimmen. Dadurch entstehende Konflikte können sich bei proaktiven Personen stärker und negativer auf die Arbeitszufriedenheit auswirken, wenn es ihnen nicht gelingt, die Situation zu verändern (Harvey, Blouin & Stout, 2006).
Bisherige Studien zur Proaktivität untersuchen vorwiegend die Zeit nach Eintritt in die Organisation. Es ist aber davon auszugehen, dass proaktives Verhalten auch in der Phase der Berufsorientierung oder nach einem Verlust der Arbeitsstelle positive Effekte hat. So zeigt sich beispielsweise, dass sich proaktive Personen intensiver mit Laufbahnfragen auseinandersetzen, die beruflichen Möglichkeiten gründlicher erkunden und es sich eher zutrauen, die eigene Laufbahn erfolgreich zu gestalten (Hirschi, Herrmann & Keller, 2015). Studien bei Arbeitslosen zeigen, dass proaktiv handelnde Personen einen unfreiwilligen Stellenverlust besser bewältigen. Sie geben sich weniger selbst die Schuld, haben ein höheres Selbstwertgefühl und finden eher eine neue Stelle als weniger proaktive Personen (vgl. dazu Crant, 2000).
2.2.3 Fluktuation als Ergebnis misslungener Sozialisation
Wie gezeigt erhöht eine schlechte Passung die Kündigungsabsicht und führt zu häufigeren Kündigungen. Eine hohe Fluktuationstendenz gilt zudem als Ergebnis und Indikator für eine misslungene organisationale Sozialisation. Allerdings lässt sich die Kündigungsabsicht nur mittelmäßig, die effektive Kündigung nur schlecht durch die fehlende Passung bzw. Anpassung voraussagen. Es stellt sich die Frage, ob das Verlassen des Betriebs ein aussagekräftiger Indikator für eine misslungene organisationale Sozialisation ist (Moser et al., 2014). Die Sozialisation scheint dann misslungen, wenn Mitarbeitende kurz nach Stellenantritt freiwillig wieder kündigen, weil die Arbeit nicht ihren Interessen und Fähigkeiten entspricht oder wenn Betriebe Mitarbeitende wegen ungenügender Leistung oder Fehlverhalten entlassen. In beiden Fällen ist die fehlende Passung zur Arbeit und zum Betrieb eine wichtige Ursache für die Kündigung. In anderen Fällen ist dies jedoch nicht zwingend der Fall. Mitarbeitende kündigen nicht nur dann, wenn die Stelle nicht (mehr) ihren Vorstellungen entspricht, sie unzufrieden sind und sich dem Betrieb nicht zugehörig fühlen (vgl. dazu Semmer, Elfering, Baillod, Berset & Beehr, 2014). Sie verlassen ihre bisherige Stelle beispielsweise auch, weil sie sich beruflich weiterentwickeln wollen oder aus privaten Gründen.
Für Betriebe sind Kündigungen dysfunktional, wenn sie qualifizierte, nur schwierig zu ersetzende Mitarbeitende verlieren und wenn Mitarbeitende bereits wenige Monate nach Eintritt kündigen (Allen et al., 2010; Holtom, Mitchell, Lee & Eberly, 2008). Durch die Kündigung fallen hohe Kosten an, da neue Mitarbeitende rekrutiert und eingearbeitet werden müssen.