Barbara E Stalder

Lehrvertragsauflösung und Ausbildungserfolg - kein Widerspruch


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stark von der bisherigen unterscheidet, der Stellenwechsel von der Person und ihrem Umfeld nicht erwünscht ist und unfreiwillig erfolgt, z. B. weil die Person mangels Alternativen keine andere Wahl hatte. Wenig Zeit für die Vorbereitung auf die neue Stelle und den neuen Betrieb und die fehlende Möglichkeit, sich mit anderen neuen Mitarbeitenden auszutauschen, erschweren die Anpassung zusätzlich.

      Sozialisation ist schließlich dann erfolgreich, wenn sie für Mitarbeitende wie für die Organisation zu einer zufriedenstellenden Situation führt. Eine gelungene Sozialisation impliziert, dass Mitarbeitende eine Balance zwischen den eigenen Fähigkeiten und Bedürfnissen und den Anforderungen der Arbeitsumwelt gefunden haben und die nötigen Kenntnisse, das Selbstvertrauen und die Motivation haben, ihre Arbeitsrolle zu erfüllen (Kammeyer-Mueller & Wanberg, 2003). Für Betriebe bedeutet dies, dass Mitarbeitende zu wertvollen Mitgliedern der Organisation geworden sind, die gute Leistungen erbringen, sich dem Betrieb gegenüber verpflichtet fühlen und in dem Ausmaß innovative Ideen einbringen, wie es für den Betrieb optimal ist (Feij, 1998).

      Zu den wichtigsten Einflussfaktoren proximaler und distaler Sozialisationsergebnisse gehören die Sozialisationstaktiken der Betriebe und die Proaktivität der neuen Mitarbeitenden (Kammeyer-Mueller & Wanberg, 2003). Zudem spielen die Berufs- und Organisationswahl der Stellensuchenden sowie die Selektion durch die Betriebe eine Rolle (Bauer & Erdogan, 2011; Lohaus & Habermann, 2015). Sie beeinflussen die Passung vor Eintritt in den Betrieb und legen die Grundlage für eine später erfolgreiche Anpassung und Integration in den Betrieb (Van Vianen & De Pater, 2012). Im Folgenden werden die Berufs- und Organisationswahl von Mitarbeitenden sowie die Selektion durch die Betriebe beschrieben. Des Weiteren wird gezeigt, wie Betriebe mit Sozialisationstaktiken und lernförderlichen Arbeitsbedingungen die Anpassung unterstützen und welche Rolle die neuen Mitarbeitenden dabei haben.

      Berufswahl, Organisationswahl und Selektion von Mitarbeitenden

      Organisationspsychologische Sozialisationsmodelle befassen sich meist nur am Rande mit der Berufswahl von angehenden oder neuen Mitarbeitenden und untersuchen vor allem deren Organisationswahl und die Selektion durch die Betriebe (vgl. dazu Lohaus & Habermann, 2015). Die Wahl eines möglichst passenden Berufs wird aber als notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung für eine später gelingende Anpassung an den Betrieb und die Arbeitstätigkeit betrachtet. Die Passung mit dem Beruf wirkt sich indirekt auf distale Sozialisationsergebnisse wie Arbeitsleistung, Arbeitszufriedenheit und Verbleibenstendenz aus (Vogel & Feldman, 2009). Personen, die nicht die Fähigkeiten, Fertigkeiten, Interessen und Einstellungen mitbringen, die für die Ausübung eines Berufs nötig sind, werden sich nur schwer an die Arbeit in diesem Beruf und an den Betrieb anpassen können. Sie sind, unabhängig von der Arbeitsstelle, wenig erfolgreich in ihrer Berufslaufbahn (Feldman & Ng, 2007).

      Auch die Wahl einer passenden Organisation bzw. von passenden Mitarbeitenden sind eine wichtige Vorbedingung für eine gelingende spätere Anpassung an den Betrieb. Stellensuchende erachten Betriebe dann als attraktiv, wenn sie nach eigenem Dafürhalten für die vakante Stelle geeignet sind, und antizipieren, dass die Arbeit und der Betrieb zu ihnen passen (Kristof-Brown & Jansen, 2007; Moser & Sende, 2014). Um abschätzen zu können, ob der Betrieb den eigenen Erwartungen entspricht, benötigen Bewerbende möglichst umfassende und ausgewogene Informationen. Tatsächlich können sie sich aber nur auf eher allgemeine und abstrakte Informationen und auf vage Vorstellungen über die Organisation stützen (Van Vianen & De Pater, 2012). Die Informationen, die Stellensuchende aus Stellenanzeigen, dem Internet oder über Kontakte zu bestehenden Mitarbeitenden erhalten, sind unvollständig und zuweilen widersprüchlich (Earnest, Allen & Landis, 2011). Stellensuchende beziehen sich zudem nur auf wenige und selektive Kriterien, um die zukünftige Passung mit dem Betrieb zu beurteilen (De Goede, Van Vianen & Klehe, 2011). Sie geben positiven Informationen stärkeres Gewicht, blenden negative Informationen aus und vergewissern sich so, dass der Betrieb «gut» ist und attraktive Arbeitsbedingungen bietet. Trotz unvollständiger Informationen haben Stellenbewerbende meist eine optimistische Einstellung und sind überzeugt, dass der Betrieb bzw. die Arbeitstätigkeit zu ihnen passt. Ihre Vorstellungen können dabei sehr unrealistisch und ihre Erwartungen überhöht sein (Wanous, Poland, Premack & Davis, 1992). Diese zum Teil fehlerhaften Vorstellungen werden nach Stellenantritt korrigiert, wenn neue Mitarbeitende merken, dass der Betrieb und die Arbeit nicht ihren Erwartungen entsprechen.

      Betriebe sind daran interessiert, zukünftige Mitarbeitende so auszuwählen, dass deren Kompetenzen möglichst gut auf das Anforderungsprofil der Stelle und deren Werte gut zu den Werten der Organisation passen (Kristof-Brown et al., 2005). Für die Selektion von passenden Mitarbeitenden stützen sich die Betriebe auf biografieorientierte, eigenschaftsorientierte und simulationsorientierte Verfahren (Schuler & Kanning, 2014). Biografieorientierte Verfahren wie die Evaluation von Bewerbungsunterlagen und Vorstellungsgespräche gehen davon aus, dass aus bisherigem Verhalten und bisher erreichten Ergebnissen auf zukünftiges Verhalten und zukünftige Leistungen geschlossen werden kann (Schuler, 2014). Aufgrund der Bewerbungsunterlagen wird eine erste Grobselektion vorgenommen. Diese erste Entscheidung für bzw. gegen bestimmte Stelleninteressierte ist insofern fehlerhaft, als dass ungeeignete Personen im Verfahren behalten und allenfalls geeignete Personen ausgeschlossen werden. Im Vorstellungsgespräch bietet sich den Betrieben die Möglichkeit, im direkten Austausch mit den Stelleninteressierten mehr über deren Qualifikationen, berufsrelevanten Erfahrungen und Interessen zu erfahren. Basierend auf dem nonverbalen und verbalen Verhalten der Kandidatin bzw. des Kandidaten entsteht bei den Interviewenden ein allgemeiner Eindruck, der den weiteren Gesprächsverlauf prägt und sich auf das abschließende Urteil auswirkt (Mussel, 2007). Ebenso gewinnt die interviewte Person einen Eindruck über die Interviewenden, was ihre nachfolgende Entscheidung für oder gegen die Stelle beeinflusst. Schul- und Studienleistungen sind die valideste Einzelkomponente von Bewerbungsunterlagen (Schuler, 2014). Sie ermöglichen die beste Voraussage für den späteren Ausbildungserfolg und sagen auch den späteren Berufserfolg mit hoher Wahrscheinlichkeit voraus (Baron-Boldt, Funke & Schuler, 1998; Roth, BeVier, Switzer III & Schippmann, 1996; Trapmann, Hell, Weigand & Schuler, 2007). Auch Vorstellungsgespräche haben eine hohe prädiktive Validität und sagen den Trainings- und Berufserfolg gut voraus (Schmidt & Hunter, 1998; für einen Überblick vgl. Schuler, 2014).

      Eigenschaftsorientierte Verfahren messen Merkmale der Person, die als relativ stabil angesehen werden und von denen angenommen wird, dass sie den späteren Ausbildungs- und Berufserfolg beeinflussen (Schuler et al., 2014). Dazu gehören kognitive Fähigkeitstests, die die allgemeine Intelligenz, spezifische kognitive Fähigkeiten, die Konzentration oder Leistungen messen, sowie Persönlichkeitstests, die Persönlichkeitsmerkmale, Einstellungen, Motivation und berufliche Interessen erfassen. Die allgemeine Intelligenz gilt als valider und stärkster Einzelprädiktor für den Berufserfolg (Schmidt & Hunter, 1998). Kognitive Fähigkeiten sagen den Ausbildungs- und Trainingserfolg und die Arbeitsleistung gut voraus (Hülsheger, Maier & Stumpp, 2007; Salgado et al., 2003; Schmidt & Hunter, 1998) und stehen in einem positiven Zusammenhang mit der beruflichen Entwicklung (Ng et al., 2005). Auch Persönlichkeitstests leisten einen Beitrag zur Erklärung von Berufserfolg (Hülsheger & Maier, 2008).

      Simulationsorientierte Verfahren prüfen das konkrete Verhalten von Bewerberinnen und Bewerbern in ausgewählten, arbeitsplatzrelevanten Situationen (Schuler et al., 2014). Typisch sind Arbeitsproben, in der Stelleninteressierte Aufgaben bearbeiten, die eine Nähe zum späteren beruflichen Alltag haben. Auf Grundlage der Arbeitsproben können Betriebe motorische Fähigkeiten und das praktischhandwerkliche Geschick, aber auch verbale und soziale Kompetenzen der Bewerbenden überprüfen. Die Stelleninteressierten erhalten ihrerseits einen Einblick in die zukünftige Tätigkeit. Arbeitsproben haben eine hohe prädiktive Validität und ermöglichen eine sehr gute Vorhersage der späteren beruflichen Leistung (Schmidt & Hunter, 1998). Die Voraussage gelingt dabei besser für Berufe mit einfachen Arbeitstätigkeiten als für Berufe mit hoher Komplexität (Roth, Bobko & McFarland, 2005).

      Wesentlich ist, dass die Bewerbenden in der Selektionsphase eine realistische Vorstellung über die zukünftige Arbeitstätigkeit erhalten. Eine realistische