Barbara E Stalder

Lehrvertragsauflösung und Ausbildungserfolg - kein Widerspruch


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mit dem Betrieb, der Arbeit, der Arbeitsgruppe und der vorgesetzten Person insgesamt ist, umso besser ist eine Person in ihr Umfeld integriert. Sie ist weniger gestresst und produktiver. Im Gegensatz dazu ist eine insgesamt wenig oder schlecht passende Person weniger gut integriert, wird vermutlich weniger gute Leistungen zeigen und immer schlechter in den Betrieb passen. Schlecht passende Menschen bewegen sich in ihren Einstellungen und ihrem Verhalten in einer Art Negativspirale immer weiter von der Arbeitsumwelt weg, bis sie schließlich den Betrieb verlassen (müssen).

      Passung entsteht und verändert sich durch berufliche und organisationale Sozialisation (Van Vianen & De Pater, 2012; Winzen, 2007). Sozialisation ist der Prozess, in dessen Verlauf sich ein Individuum die nötigen Fähigkeiten, Fertigkeiten, Werte, Einstellungen, Rollen und Verhaltensweisen aneignet, um sich erfolgreich in einer spezifischen sozialen Umwelt zu bewegen (Feij, 1998). Im Arbeitskontext wird zwischen der beruflichen und der organisationalen Sozialisation unterschieden. Berufliche Sozialisation umfasst die Aneignung und Veränderung arbeitsbezogener Kenntnisse, Fähigkeiten und Wertorientierungen (Heinz, 1995) und die Entwicklung von damit verbundenen individuellen Persönlichkeitsstrukturen (Lempert, 2006). Berufliche Sozialisation ist Sozialisation für den Beruf durch den Beruf (Heinz, 1995). Sozialisation für den Beruf bezieht sich auf die durch Familie und Schule geprägte Entwicklung berufsbezogener Fähigkeiten und Interessen, die erste Berufswahl und die Berufsausbildung. Sozialisation durch den Beruf umfasst die Erfahrungen, die Erwerbstätige in der Arbeitstätigkeit über die gesamte Berufslaufbahn machen. Organisationale Sozialisation ist ein Teilgebiet der beruflichen Sozialisation und bezieht sich auf die Integration neuer Mitglieder in den Betrieb (Lohaus & Habermann, 2015; Winzen, 2007). Sie steht im Vordergrund des vorliegenden Buches.

      Organisationale Sozialisation beschreibt den Prozess, in dem neue Mitarbeitende die Fähigkeiten, Fertigkeiten, Einstellungen und Verhaltensweisen erwerben, um ihre Arbeitsrolle effektiv auszuführen und so von Außenseitern zu vollen Mitgliedern der Organisation werden (Bauer, Bodner, Erdogan, Truxillo & Tucker, 2007; Feldman, 1981; Louis, 1980; Saks, Gruman & Cooper-Thomas, 2011). In einem enger gefassten Begriffsverständnis stehen die Vermittlung und das Erlernen der Kultur, der Normen und Werte der Organisation im Vordergrund (Moser, Soucek & Hassel, 2014; Winzen, 2007). Betriebe ermöglichen, fördern und steuern den Anpassungsprozess von neuen Mitarbeitenden (Saks & Gruman, 2012). Neue Mitarbeitende gestalten den Prozess aktiv mit, indem sie sich mit sich selbst und der Umwelt auseinandersetzen (Cooper-Thomas, Anderson & Cash, 2012; Kammeyer-Mueller, 2007). Dabei verwenden sie unterschiedliche Anpassungsstrategien (Cooper-Thomas et al., 2012): 1. Strategien, die auf die Veränderung der Umwelt abzielen, zum Beispiel durch die Veränderung der Arbeitsinhalte und -prozesse; 2. Strategien, die auf die Veränderung der eigenen Person ausgerichtet sind, zum Beispiel indem nach Feedback gesucht wird, um die für die Arbeit nötige Kompetenz zu erweitern; 3. Strategien, die eine gemeinsame Entwicklung von Person und Umwelt bezwecken, zum Beispiel durch den Aufbau positiver Beziehungen zu anderen Mitarbeitenden oder das Neuaushandeln der Arbeitsrolle mit der vorgesetzten Person. Je nach Anpassungsstrategie verändern Mitarbeitende also nicht nur sich und ihre Verhaltensweisen, sondern erwirken auch Veränderungen in der sozialen Umwelt (Cooper-Thomas et al., 2012; Hoff, 2004).

      Der Prozess der organisationalen Sozialisation lässt sich als Abfolge verschiedener Phasen konzipieren: die Vorbereitung auf den Eintritt in die Organisation, die Konfrontation mit der Realität sowie die Anpassung und Stabilisierung (Ashforth, 2012; Van Maanen & Schein, 1979; Wanous, 1992). Die Phase vor dem Eintritt umfasst die Entscheidungen und Lernprozesse, die auf den Eintritt in die Organisation und auf die konkrete Stelle vorbereiten. Dazu gehören die Berufswahl, die Erfahrungen, die Stellensuchende im Verlauf der betrieblichen Selektion machen, und die Entscheidung für die konkrete Arbeitsstelle. In der Phase direkt nach dem Eintritt werden neue Mitarbeitende mit der Arbeitsrealität im Betrieb konfrontiert. Ihre Erwartungen werden bestätigt oder es wird ihnen allenfalls bewusst, dass die Stelle nicht oder nur zum Teil mit ihren Vorstellungen übereinstimmt. Die nachfolgenden Phasen umfassen den Anpassungsprozess, das Klären von Widersprüchen zwischen Mitarbeitenden und Betrieb, die Übernahme der neuen Arbeitsrolle und den Erwerb von Kompetenzen. Dadurch stabilisiert sich das Arbeitsverhältnis: Die neuen Mitarbeitenden sind zu akzeptierten Mitgliedern der Organisation geworden, sind zufrieden mit ihrer Arbeit und fühlen sich ihrem Betrieb zugehörig. Empirische Studien zeigen, dass die verschiedenen Phasen fließend ineinander übergehen, dass gewisse Phasen teilweise übersprungen oder aber mehrmals durchlaufen werden (Ashforth, 2012).

      Obwohl neue Mitarbeitende meist eine ungefähre Vorstellung davon haben, was sie an der neuen Arbeitsstelle erwartet, sind die ersten Monate nach Stellenantritt durch viele Unsicherheiten geprägt (Lohaus & Habermann, 2015; Saks & Gruman, 2012). Neue Mitarbeitende sind mit vielen Anforderungen gleichzeitig konfrontiert. Sie müssen sich mit dem Arbeitsgebiet vertraut machen, sich mit den Möglichkeiten und Grenzen der Stelle auseinandersetzen, neue Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben und Selbstvertrauen entwickeln. Sie sind unsicher, ob sie vom Team akzeptiert werden, und müssen herausfinden, welches Verhalten von ihnen erwartet wird. Sie sind gefordert, eine gute Beziehung zu anderen Mitarbeitenden aufzubauen sowie Personen zu finden, von denen sie etwas über die Arbeit und die Organisation lernen können. Zudem müssen sie sich mit den Machtstrukturen und den Werten der Organisation vertraut machen und den spezifischen Jargon des Betriebs lernen. Um diese Anforderungen zu bewältigen, die Unsicherheit zu reduzieren und eine Passung zu erreichen, müssen Mitarbeitende ihre Erwartungen und Verhaltensweisen fortlaufend überprüfen und justieren (Kammeyer-Mueller & Wanberg, 2003; Van Vianen & De Pater, 2012). Dabei stellen sich tätigkeitsbezogene und soziale Lernerfordernisse (Chao, O’Leary-Kelly, Wolf, Klein & Gardner, 1994; Fisher, 1986). Lernen wird denn auch als wichtigstes Ergebnis der Anpassung oder als latenter, der Sozialisation zugrundeliegender Prozess angesehen (Ashforth et al., 2007; Bauer et al., 2007; Cooper-Thomas & Anderson, 2002; Kammeyer-Mueller & Wanberg, 2003; Ostroff & Kozlowski, 1992; Saks & Gruman, 2012).

      Organisationale Sozialisationsmodelle unterscheiden zwischen proximalen (naheliegenden) und distalen (entfernt liegenden) Sozialisationsergebnissen (Bauer & Erdogan, 2011; Saks & Gruman, 2012). Proximale Ergebnisse umschreiben die unmittelbare Anpassung (adjustment) von neuen Mitarbeitenden (Bauer et al., 2007). Dazu gehören neben einer guten wahrgenommenen Passung die Rollenklarheit (die eigenen Aufgaben kennen; wissen, was wann mit welcher Priorität zu erledigen ist), die Aufgabenbeherrschung (wissen, wie man seine Arbeitsaufgaben erledigen muss; eigenen Fähigkeiten vertrauen), die Akzeptanz durch die Gruppe (ein von der Gruppe geschätztes Mitglied sein) und die Kenntnis der Organisationskultur (Geschichte, Werte und Ziele des Betriebs kennen) (Bauer et al., 2007; Chao et al., 1994; Feldman, 1981; Kammeyer-Mueller & Wanberg, 2003; Wang, Zhan, Mccune & Truxillo, 2011). Als distale Sozialisationsergebnisse werden insbesondere die Arbeitsleistung, die Arbeitszufriedenheit, die Verbundenheit mit dem Betrieb, die Verbleibens- bzw. Kündigungsabsicht und die Fluktuation untersucht (Ashforth et al., 2007; Bauer & Erdogan, 2012; Saks & Gruman, 2012; Saks, Uggerslev & Fassina, 2007). Proximale Sozialisationsergebnisse wirken auf distale Sozialisationsergebnisse ein. So erreichen Mitarbeitende, die wissen, welche Aufgaben sie erledigen müssen und die vom Team akzeptiert sind, bessere Arbeitsleistungen, sind zufriedener mit ihrer Arbeit, fühlen sich stärker dem Betrieb zugehörig und kündigen seltener als andere Mitarbeitende (Allen et al., 2010; Bauer et al., 2007).

      Ob es Mitarbeitenden gelingt, sich gut an die Arbeit und den Betrieb anzupassen und umgekehrt, entscheidet sich häufig in den ersten Monaten im Betrieb (vgl. dazu Bauer & Erdogan, 2011; Kammeyer-Mueller, Wanberg, Rubenstein & Song, 2013; Van Vianen & De Pater, 2012). Grundsätzlich ist die Anpassung an eine neue Arbeitsrolle einfacher, wenn sie sich nur wenig von der bisherigen unterscheidet, wenn der Übertritt in die neue Situation freiwillig erfolgt und vorhersehbar ist (Ashforth, 2012). Sie fällt auch leichter, wenn genügend Zeit für die Vorbereitung auf die neue Stelle zur Verfügung steht und wenn der Eintritt in den neuen Betrieb gemeinsam mit Gleichgesinnten