rel="nofollow" href="#ulink_143b6543-edda-5fd4-a7fd-3721a40722b1">Abbildung 5). Die erste, «Panel A», umfasste insgesamt 48 Länder, für die Angaben zur Periode 1920–1944 und 1945–1969 einigermassen vollständig ermittelt werden konnten. Für eine zweite, grössere Gruppe, «Panel B», konnten Daten von mindestens 75, im besten Fall gar 82 Ländern ebenfalls zur Periode 1945– 1969 und ausserdem auch für 1970–1986 ermittelt werden. Die Tabelle auf Seite 40 zeigt jeweils für beide Zeitabschnitte, in welchem Masse (ausgedrückt in Prozent der in den Vergleich einbezogenen Länder) die links erwähnten Fächer beziehungsweise Fächergruppen im Lehrplan aufgeführt waren. Die Ergebnisse für Panel A zeigen einerseits eine Zunahme des Anteils bei Naturwissenschaften, ästhetischer Bildung und Sport, anderseits eine Abnahme für Religion/Moralerziehung, Gesundheitserziehung und praktisch/berufsbildende Fächer. Anders bei Panel B: Mit Ausnahme der praktisch/berufsbildenden Inhalte nimmt die Übereinstimmung zu oder bleibt der Anteil einigermassen konstant. Insgesamt ist die Situation ab den 1970er-Jahren dadurch gekennzeichnet, dass alle Länder Sprache und Mathematik (dies schon im früheren 20. Jahrhundert) sowie Naturwissenschaften und Social Studies (Gesellschaftskunde und Geschichte) als eigene Fächer in ihren Lehrplänen aufführen. Auf einen fast ebenso hohen Wert bringen es ästhetische Bildung und Sport.
Abbildung 5: Anteil Länder, in deren Lehrpläne bestimmte Fächer(-gruppen) explizit genannt sind
Quelle: Meyer et al. 1992
Bis zum späteren 20. Jahrhundert hat sich somit weltweit ein recht einheitlicher Fächerkanon herausgebildet. Mehr noch: Wie hier nicht im Einzelnen dargestellt werden kann, ist es über die Länder hinweg auch zu einer Angleichung in Bezug auf die Stundendotation der einzelnen Fächer gekommen. Und wie eine spätere Untersuchung (Benavot 2002b) belegt, hat diese Angleichungstendenz bis zur Jahrtausendwende weiter angehalten. Selbstverständlich würde man grosse Unterschiede finden, würde man die einzelnen Inhalte und Themen vergleichen, die in den jeweiligen Fächern behandelt werden. Der Sprachunterricht in Mozambique wird sich zweifellos ganz erheblich von dem in Kanada unterscheiden. Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, dass die Bildungseinrichtungen wenigstens in den äusserlichen Formen weltweit eine nicht geringe Ähnlichkeit aufweisen, dass sie sich auf dieser Ebene also recht gleichförmig präsentieren.
Man mag sich fragen, wie es dazu gekommen ist, dass sich eine bestimmte, ursprünglich in den Ländern des Westens entwickelte Form der Institutionalisierung von Bildung in verhältnismässig kurzer Zeit weltweit zu etablieren vermochte. Auf den ersten Blick widerspricht dies dem, was man intuitiv annehmen würde und was Durkheim auch klar formuliert hatte: dass nämlich die Art und Weise, wie Bildung in einer Gesellschaft organisiert ist, eng mit der jeweiligen Gesellschaftsstruktur zusammenhängt. Und unter dieser Voraussetzung müsste man bezüglich des Bildungswesens grosse Unterschiede beispielsweise zwischen noch stark agrarisch geprägten Gesellschaften und modernen «Wissensgesellschaften» erwarten.
Ein Schlüssel zum Verständnis dürfte in den Erwartungen zu suchen sein, die an die Wirkungen von Bildung geknüpft werden. Da sind zunächst die Erwartungen bezüglich dessen, was schulische Bildungsprozesse bei Schülerinnen und Schülern bewirken. Wir gehen in der Regel ganz selbstverständlich davon aus, dass diese sich Dinge aneignen, die sie sich ohne den Schulbesuch nicht erwerben würden – Kompetenzen kognitiver Art natürlich, aber auch Wertorientierungen, soziale Normen und Verhaltensmuster, ja eine generelle Bereitschaft zum lebenslangen Weiterlernen.
Die so erworbenen Grundlagen, so lässt sich der Faden weiterspinnen, befähigen sie dazu, sich im späteren Erwachsenenleben – als Arbeitskräfte, Bürger und Bürgerinnen, Eltern oder Konsumenten und Konsumentinnen – adäquat zu verhalten, kompetent und verantwortungsbewusst zu handeln, konstruktive Beiträge in Gesellschaft und Staat zu leisten. Wir nehmen also in aller Selbstverständlichkeit an, dass all das, was in Bildungseinrichtungen erworben wird, nachhaltig ist und auch nach längerer Zeit positive Wirkungen zeigt.
In dieser Betrachtungsweise erscheint es einleuchtend, dass das Handeln schulisch gebildeter Erwachsener in seiner Summe dazu führt, dass es der Gesellschaft gut geht; dass sie in wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht gedeiht und sich weiter entwickelt; dass die Demokratie funktioniert; dass Gesellschaften in der Lage sind, Probleme wie Hunger, Säuglingssterblichkeit, Gewalt, Aids und Umweltprobleme besser in den Griff zu bekommen. Was die westliche Welt betrifft, sorgen mächtige Organisationen wie die OECD und die EU dafür, dass die Wahrnehmung der Bildung als eines über Wettbewerbsfähigkeit entscheidenden Faktors aufrechterhalten bleibt. Und in dem Masse, wie Bildung zu all dem in der Lage ist beziehungsweise zu sein scheint – und hier schliesst sich der Kreis –, erarbeitet sich die Gesellschaft auch die materiellen und kulturellen Mittel, das Bildungswesen noch weiter zu entwickeln, es auszuweiten und qualitativ zu verbessern.
Aaron Benavot hat diesen Kreislauf schematisch festgehalten (Abbildung 6), dabei aber auch auf die Brüchigkeit der Überlegungskette hingewiesen, insbesondere auf den Umstand, dass sie zwar sehr plausibel und überzeugend klingt, die angenommenen positiven Zusammenhänge jedoch kaum wirklich nachgewiesen sind (Benavot 2002a). Wenn seine Einwände im Folgenden kurz dargestellt werden, kann es nicht darum gehen, die positiven Effekte schulischer Bildung geradewegs infrage zu stellen: Dass sich Kinder in der Schule viel Wissen aneignen, wird kaum jemand bezweifeln wollen; ebenso wenig dass sie von ihren Lehrerinnen und Lehrern mit Werten, Normen und Haltungen vertraut gemacht werden. Dass wir Dinge, die wir uns in der Schule angeeignet haben, im späteren gesellschaftlichen Leben nutzbringend anwenden können, entspricht einer alltäglichen Erfahrung. (Ob die Kenntnis der Zahl der Saturnmonde dazu gehört, ist eine andere Frage.) Zudem lässt sich nicht bestreiten, dass eine moderne, komplexe Gesellschaft auf gut ausgebildete Fachkräfte und urteilsfähige Bürgerinnen und Bürger angewiesen ist.
Abbildung 6: Institutionalisierte Modellvorstellung bezüglich des Zusammenhangs von Bildung, Individuum und Gesellschaft
Quelle: Benavot 2002a
Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, dass ein präziser Nachweis der im Schema vermerkten (nur) positiven Zusammenhänge kaum geleistet ist und auch schwer zu erbringen wäre. Die Probleme beginnen bereits bei den vermuteten positiven Wirkungen eines ausgebauten Schulwesens. Mit Leistungsmessungen im Zusammenhang von TIMSS, PISA und anderen Studien lässt sich bestenfalls ein Teil der erworbenen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler erfassen. Wirkungen im Sinne des Aufbaus von Werthaltungen und die Übernahme von Normen sind schon viel schwieriger nachzuweisen. Und auch in Bezug auf die kognitiven Kompetenzen ist noch kaum geklärt, welches genau, neben schulexternen Faktoren, der Anteil der Schule an deren Erwerb ist und welche Aspekte schulischer Kompetenzvermittlung ihre Aneignung tatsächlich begünstigen.
Der Nachweis eines positiven Zusammenhangs zwischen den erworbenen Kompetenzen und deren Auswirkungen auf das Handeln von Erwachsenen stellt sodann die Wissenschaft vor enorme methodische Probleme. Gross angelegte, sich über lange Jahre hinweg erstreckende Langzeitstudien wären erforderlich, die ausserdem eine grosse Zahl von nicht-schulischen Faktoren kontrollieren müssten, um den spezifisch schulischen Beitrag nachzuweisen.
Und dass sich das – nach Annahme durch die Schule ermöglichte – vernünftige Handeln erwachsener Menschen so ohne Weiteres in gesellschaftlichen Fortschritt ummünzen lässt, ist zumindest fraglich. Denn was individuell vernünftig sein mag, kann bekanntlich aus gesellschaftlicher Sicht durchaus auch schädlich sein. So mag es für gut ausgebildete Menschen in Entwicklungsländern ein rationaler Entscheid sein, nach Europa oder in die USA auszuwandern, wo ihre Kompetenzen nicht nur nachgefragt, sondern auch gut bezahlt sind. Für die betreffenden Entwicklungsländer aber resultiert aus der Abwanderung, dem sogenannten brain drain, klar ein gesellschaftlicher Schaden.
Aber trotz ihrer zahlreichen Lücken ist die oben skizzierte Überlegungskette heute weit verbreitet; nicht als eine wissenschaftliche Erkenntnis allerdings, sondern als Bündel von Überzeugungen. Man