Statt auf die Kritik möchten wir uns hier auf die Resultate beziehen, die für die Klassenführung relevant sind.
«Auf den Lehrer kommt es an», titelten die Zeitungen nach der Veröffentlichung der Hattie-Studie. Jetzt war belegt, was längst bekannt war oder zumindest vermutet wurde: Entscheidend für den Lehr- und Lernerfolg ist die reflektierte Handlung einer Lehrkraft. Zentral ist der multifaktorielle Charakter wirksamen Lehrerhandelns und die durch die Studie offenbarte Tatsache, dass es nicht die (mancherorts sowieso nicht veränderbaren) äußeren Strukturen sind, die den Lernerfolg beeinflussen, sondern die direkte Interaktion der Lehrkraft mit den Schülerinnen und Schülern.
Hattie definierte und maß die Effektstärke d einzelner Faktoren. Der Durchschnitt aller gemessenen Werte beträgt 0,4. Alle Faktoren mit höherem Effekt (d > 0,4) sind folglich wirksam für den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern. Wir listen eine Auswahl solcher Faktoren auf, die für eine gute Klassenführung bedeutsam sind.[18] In der dritten Spalte der Tabelle findet sich ein Verweis zu jener Stelle in diesem Buch, an der wir konkret darauf eingehen.
EFFEKTSTÄRKE d | LERNERFOLGSRELEVANTER FAKTOR | KAPITEL/ABSCHNITTE IN DIESEM BUCH |
1,44 | Selbsteinschätzung des eigenen Lernniveaus | Kapitel 4; Selbstregulation |
0,9 | Formative Evaluation des Unterrichts | Abschnitt 3.5; «Den eigenen Unterricht in den Blick nehmen» |
0,9 | Glaubwürdigkeit (der Lehrperson) | Abschnitt 3.2; «In die eigene Führungsrolle finden» |
0,88 | Micro-Teaching | Kapitel 5; diese Form der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften könnte mitgedacht werden. |
0,8 | Beeinflussung von Verhalten in der Klasse | Abschnitt 3.7; «Proaktives Verhalten: Prävention und Konsequenz», und Abschnitt 3.8, «Reaktives Verhalten: Intervention und Lösungsorientierung» |
0,75 | Klarheit der Lehrperson | Abschnitt 3.2; «In die eigene Führungsrolle finden», Abschnitt 3.3; «Techniken der Klassenführung», Abschnitt 3.6; «Präventive Gestaltungsmacht in der Klassenführung» |
0,73 | Feedback | Abschnitt 3.5; Feedback für das Lernen der einzelnen LehrpersonAbschnitt 4.5; Reflexion für das Lernen der Schülerinnen und SchülerAbschnitt 5.2; Feedback in der lernenden Organisation |
0,72 | Lehrer-Schüler-Beziehung | Abschnitte 3.1 bis 3.3; Entscheidungen, die die Lehrer-Schüler-Beziehung prägenAbschnitt 3.6; Beziehungen im Unterricht |
0,69 | Metakognitive Strategien | Abschnitt 4.4; «Handlungsstrategien und Selbstbeobachtung», und Abschnitt 4.5; «Reflexion und Maßnahmenableitung» |
0,62 | Lehrerfort- und -weiterbildung | Die Publikation dient ganz grundsätzlich der persönlichen Kompetenzentwicklung. Durch Differenzerfahrungen in kollegialen Dialogprozessen entsteht ein großer Effekt für die Unterrichtsentwicklung. [19], [20] |
0,55 | Förderung der visuellen Wahrnehmung | Abschnitte 3.6 und 4.3; Beispiele für eine Unterstützung des Lernens durch Visualisierungen, allerdings ohne spezielles Training visuell-motorischer Fertigkeiten |
0,54 | Kooperatives vs. kompetitives Lernen | Abschnitt 3.6; besonders verschiedene Lernformen in der Lernsituation |
0,53 | Klassenzusammenhalt | Abschnitt 3.6; besonders die Bedeutung der Lerngruppe als Allianz für das LernenAbschnitt 4.2; Bedeutung der sozialen Eingebundenheit |
0,48 | Konzentration, Ausdauer, Engagement | Abschnitt 1.3 und Kapitel 4; Grundlagen der Selbstregulation |
0,48 | Motivation | Abschnitt 4.2; «Den Einstieg ins Lernen finden» |
Basisdimensionen guten Unterrichts
Die zeitgenössische Unterrichtsforschung fasst Kriterien guten Unterrichts zu Basisdimensionen von Unterrichtsqualität zusammen; sie unterscheidet «Sichtstrukturen» von Unterricht (Organisations- und Sozialformen, Methoden usw.) und «Tiefenstrukturen»[21] und nennt vor allem drei Tiefenstrukturen als die Grunddimensionen der Unterrichtsqualität:[22]
•Unterrichts- und Klassenführung,
•Schülerorientierung (oft auch konstruktive Unterstützung genannt),
•Kognitive Aktivierung.
Um diese Grunddimensionen geht es in Abschnitt 2.2 auf hier.
Das Angebots-Nutzungs-Modell
Von Andreas Helmke stammt ein hilfreiches Denkmodell der unterschiedlichen Faktoren von Unterrichtsqualität.[23] Dieses sogenannte Angebots-Nutzungs-Modell verdeutlicht den systemischen Hintergrund der Wechselwirkungen im Unterrichtsgeschehen. Erfolg ist das Resultat der Koproduktion von Lehrenden und Lernenden und anderer Einflussfaktoren in einem sie umgebenden Kontext.
ABB. 2 | DAS ANGEBOTS-NUTZUNGS-MODELL von Andreas Helmke |
Unterricht wird hier als Angebot verstanden, das durch das Wissen, die Kompetenzen und die Grundsätze der Lehrkraft genauso wie durch ihre Erwartungen und persönlichen Prägungen bestimmt wird. Ob das Angebot angenommen wird, hängt von den Erfahrungen und dem Erleben in der Familie der Schülerinnen und Schüler genauso ab wie von ihrem Lernpotenzial. Die Kontextfaktoren spielen ebenfalls eine Rolle. Die Form des Unterrichtsangebots hat Einfluss auf seine Nutzung, also auf die Lernaktivitäten, und letztlich auf den Lernerfolg (Wirkung) in Bezug auf die angestrebten Kompetenzen.
Für uns zeigt das Modell, wie wesentlich es für einen gelingenden Unterricht und eine wirksame Klassenführung ist, dass Lehrkräfte sich ihrer eigenen fachlichen wie überfachlichen Voraussetzungen