Riemann-Thomann
Nach Riemann-Thomann5 gibt es vier Grundstrebungen in jedem Menschen. Je zwei davon stehen diametral zueinander. So strebt der Mensch einerseits nach Dauer und Sicherheit, andererseits nach Wechsel (senkrechte Achse). Weiter strebt er einerseits nach Nähe und Geborgenheit, andererseits nach Distanz und Abgrenzung (waagrechte Achse). Beide Paradoxien lassen sich mit entgegengesetzten Pfeilen als Achsenkreuz darstellen.
In der gängigen Literatur wird das Modell umgekehrt dargestellt als hier. Da das Streben nach Dauer an Wurzeln erinnert und das Streben nach Wechsel an Flügel, scheint mir aber eine an Wachstumsprozessen orientierte Anordnung in diesem Buch sinnvoll zu sein. Das Modell basiert auf dem Buch «Grundformen der Angst» von Fritz Riemann.
Werte- und Entwicklungsquadrat
Jedes Denken erzeugt eine Unterscheidung, so ist folgerichtig die kleinste Einheit des Denkens die Zweiheit. Das gilt auch für Werte. Jeder Wert hat stets einen Gegenwert, sonst würde er nicht existieren. So steht dem Wert «Freiheit» der Wert «Struktur» gegenüber, dem Wert «Sparsamkeit» entsprechend «Großzügigkeit».6 Jeder Wert lässt sich (aus der Sicht des Gegenwerts) entwerten. So wird aus «Sparsamkeit» «Geiz» und aus «Großzügigkeit» «Verschwendung». Die Entwertungen werden unter den Werten in einem Quadrat angeordnet.
Jeder Wert verkommt in der Reinheit zu seinem «Unwert». So führt Freiheit ohne einen Funken Struktur zu Chaos, ebenso wie Struktur in der völligen Abwesenheit von Freiheit zu Starre und Zwang verkommt. Beide Werte bedingen einander. Schulz von Thun spricht von einer Regenbogenqualität: Die reine Sonne lässt den Boden verdorren, ausschließlich Regen sorgt für Überschwemmung. Der Regenbogen entsteht nur dann, wenn beide Qualitäten gleichzeitig vorhanden sind.
Das Wertequadrat kann als Entwicklungsquadrat angewendet werden. Wer beispielsweise im Chaos lebt, liegt mit seiner Freiheit ja nicht «falsch». Es fehlt ihm «nur» an Struktur. Die Entwicklungsrichtungen verlaufen entsprechend im Quadrat diagonal von unten nach oben.
Inneres Team
Die Gesetzmäßigkeiten für beispielsweise eine äußere Teambildung, für Konfliktmanagement, Spannungsmanagement oder Koalitionen werden auf das eigene Innenleben übertragen. Die Persönlichkeit besteht in diesem Modell nicht aus einer Einheit, sondern aus verschiedenen Stimmen beziehungsweise Anteilen, die als unterschiedliche Charaktere sichtbar gemacht werden. Diese sollen als Team aufgestellt sein und sich nicht gegenseitig blockieren. Bei jeder Situation tritt ein gesondertes Inneres Team zusammen, viele Mitspielerinnen und Mitspieler sind jedoch immer wieder vertreten. Jeder Figur werden eine Rolle und eine Aussage zugeteilt. Wie bei einem realen Team gibt es ein Oberhaupt, das für Struktur sorgt und das gemeinsame Ziel im Blick behält.
Das «Innere Team» geht in dieser Form auf Friedemann Schulz von Thun zurück (2005).
Kommunikationspsychologie – Theaterpädagogik
Geist und Körper. Das Potenzial beider Welten liegt in ihrer strukturellen Kopplung: Körperlich wird das ausgedrückt, was in der geistigen Welt geschieht. Die Folge ist eine Wirksamkeit, die keine der beiden Welten für sich alleine, abgetrennt von der anderen, erreichen könnte.
Theorie und Praxis – verstehen und handeln
Das handelnde Erleben, das Nachstellen von Modellen enthält einen doppelten didaktischen Sinn. Auf den ersten Blick scheint die Theorie in der Praxis angewendet zu werden. Zum Beispiel: Man stellt sich entsprechend den Ohren um das Nachrichtenquadrat auf (vgl. Abschnitt 3.3, S. 51 und 3.4, S. 54), das eigene Innere Team wird sichtbar und zum Leben erweckt, und man selbst wird zum Oberhaupt seines Inneren Teams. Die Modelle werden dabei im wahrsten Sinn des Worts begreifbar und anschaulich. Auf den zweiten Blick erzwingt das handelnde Erleben ein tieferes Verständnis. Papier kann sehr geduldig sein, aber die Praxis hat Fragen an die Theorie. Es ist ein vernetzendes Hin und Her zwischen Praxis und Theorie: Man spielt, man denkt nach und diskutiert, man macht etwas, und man reflektiert wieder. Ein Wechselspiel zwischen beiden Gehirnhälften ist die effektivste Form des Lernens überhaupt. In diesem Sinn sei ausdrücklich zum Spielen mit dem Modell aufgefordert. Dabei braucht man keine Angst vor Fehlern zu haben. Wer alles richtig machen will, tut sich schwer oder macht vielleicht gar nichts mehr. Das gilt ganz allgemein und im Besonderen für das Zwischenmenschliche – für die Kunst, einander stimmig zu begegnen und miteinander zu kommunizieren.
Der Körper ist schneller
Wir geben verbal, also mit Sprache, abstrakte Zisch- und Grunzlaute von uns und bezeichnen damit Gegenstände und Handlungen. Wir sind so sehr an diese Abstraktion gewöhnt, dass wir «Baum» sagen und dabei vergessen, dass wir, nur weil wir das Wort sagen, noch keinen realen Baum vor uns haben. Es ist dasselbe wie der Unterschied zwischen einer Speisekarte und dem realen Essen. Der Empfänger muss die Zisch- und Grunzlaute erst entschlüsseln und eine Bedeutung konstruieren. Das Verbale ist abstrakt und distanziert und – sehr langsam.
Der Körper spricht hingegen unmittelbar und direkt. So ist und wirkt eine Berührung unmittelbar. Wer eine Kampfsportart beherrscht, weiß um die Geschwindigkeit des Körpers. Noch bevor der Geist den Angriff wahrgenommen hat, hat der Körper bereits reagiert.
Stärken und Gefahren von theatralen Methoden
Handeln wirkt tiefer und nachhaltiger, als wenn «nur» geredet wird. Die Stärke der handlungsorientierten Didaktik entsteht unter anderem dadurch, dass Handeln stets zu einer Entscheidung zwingt. Theatrale Methoden sind dadurch mächtiger als Worte, aber nicht automatisch «besser». Auf der Bühne jemanden bloßzustellen, ist schlimmer, als wenn es «nur» unter vier Augen geschieht.
Auch wenn Spielfreude und Bewegung normalerweise ein lustvolles und herzliches Miteinander ermöglichen, kann es sein, dass einzelne Übungen jemandem zu nahe gehen. Bitte beachten Sie: Kommunikation ist ein Spiel mit dem Feuer. Wir alle benötigen eine soziale Struktur, ein soziales Umfeld, um uns in der Welt zurechtzufinden. Wer sich mit Kommunikation auseinandersetzt, der setzt sich auch mit den sozialen Beziehungen auseinander. Daher mag jede und jeder Teilnehmende auf zwei Dinge achten: einerseits auf die Gruppe, andererseits auf sich selbst. Wem eine Übung zu nahe geht, der möge sich daraus unauffällig zurückziehen.
Die Bühne als Schutzraum
Bei aller Ernsthaftigkeit wird in den Übungen auch viel gelacht. Wichtig ist, dass die Teilnehmenden wissen, dass sie sich auf einer Bühne befinden, wo sie sich in einer bestimmten Rolle erleben und ausleben können, dürfen und sollen. Die Bühne wird zum Schutzraum, zum Spiel- und Experimentierfeld.
Um den Schutzraum zu verdeutlichen und vom «normalen Leben» abzugrenzen, können «materielle Zitate» (vgl. Kapitel 7.3, S. 126 f.) helfen. Das sind Gegenstände (Schal, Taschentuch, Stift, Schere, Computermaus und so weiter), die eine Verkleidung ersetzen. Die Teilnehmenden schlüpfen so in eine bestimmte Rolle und legen diese Rolle nach dem Spiel zusammen mit dem «Zitat» wieder ab.
Langsamer ist besser
Die Kunst einer stimmigen Kommunikation besteht nicht darin, bei seinem Gegenüber auf bestimmte «Knöpfchen» zu drücken und ihn damit zu manipulieren. Wer das tut, reduziert sein Gegenüber auf eine triviale Maschine7. Das erscheint erschreckend, dennoch wird mit diesem Menschenbild in der Wirtschaft ganz alltäglich gearbeitet, speziell in der Werbebranche.
Im vorliegenden Werk geht es um Persönlichkeitsentwicklung. Es geht darum, sich selbst und die anderen besser verstehen zu lernen. Und das braucht Zeit und darf auch Zeit brauchen. Es geht um das Spiel des Lebens – das Spiel mit der