meinen Kursen und Vorlesungen höre ich häufig, dass das Nachrichtenquadrat bereits bekannt ist, und die Teilnehmenden würden lieber etwas Neues erfahren. Doch schon bei der ersten Anwendung, etwa bei der Nachfrage, welche Schnäbel sich gerade geäußert haben (Sach-, Beziehungs-, Appell- oder Selbstkundgabeschnabel), herrscht Unklarheit. So schreibt Friedemann Schulz von Thun, der Konstrukteur des Nachrichtenquadrats: «Während sich der Fortschritt der gedanklichen Einsichten in Siebenmeilenstiefeln vollzieht, folgen die Gefühle und das Verhalten noch dem alten Trott und kommen nur im Schneckentempo, Millimeter für Millimeter, hinterher. Und so sind viele Lernziele […] im Wesentlichen nur durch Selbsterfahrung und Verhaltenstraining erreichbar.»8 Es scheint, dass im Moment der Praxis das Wissen um Kommunikation nicht zur Verfügung steht. Es ist wie mit der Musik: Eine Tonleiter ist schnell gelernt, aber damit zu improvisieren beziehungsweise die Töne stimmig anzuwenden, fällt schwer.
Falls Sie Kursleiterin oder -leiter sind: Passen Sie bei der Planung eines Kurses auf, dass sie diesen nicht mit Inhalten überfüllen. Weniger ist mehr. Der «Stoff» in diesem Buch reicht für mehrere mehrtägige Seminare.
Doppelte Durchführung der Übungen
Die meisten Übungen sollten mindestens zweimal durchgeführt werden. Das hat einen tieferen Grund: Um ein Muster zu erkennen, braucht man mindestens zwei oder drei Beispiele. Einmal ist in diesem Fall keinmal. Für Maschinen ergibt eine Wiederholung keinen Sinn. Zweimaliges Speichern erzeugt keine höhere Datendichte und keine erweiterte Sicherheit. Die zweite Speicherung überschreibt einfach die erste. Bewusstseinssysteme hingegen brauchen mehrere Beispiele, um eine Regelmäßigkeit zu erkennen. Eine Übung noch einmal mit einer anderen Person durchzuführen, bedeutet nicht, dass es beim ersten Mal nicht geklappt hat und man jetzt noch mal ranmuss, etwa im Sinn einer maschinellen Produktion. Nein, der menschliche Geist braucht weitere Beispiele, um zu wachsen, um Strukturen zu erkennen und diese auszubilden. Ohne Wiederholungen gibt es keine Muster, keine Struktur, und ohne Muster und Struktur wird es schwierig, Wissen aufzubauen und auszubilden.
Wenn eine Übung ein zweites Mal durchgeführt wird, so wirkt es nur für einen äußeren Beobachter als Wiederholung – für das erlebende Subjekt läuft intern nie das Gleiche ab, weil seine Wahrnehmung und damit es selbst sich geändert hat. Menschen können sich erinnern, sie können ihre Perspektive verändern – Maschinen nicht. Haben Sie also keine Angst vor Wiederholungen.
Gruppeneinteilung und «Wir-Gefühl»
Fast alle hier beschriebenen Übungen finden in Gruppen statt. Für das entstehende «Wir-Gefühl» der Gruppe ist es hilfreich, wenn immer die Teilnehmenden zusammenarbeiten, die sich am wenigsten kennen. Die Aufforderung könnte etwa so lauten: «Bildet bitte Gruppen mit Leuten, die ihr noch möglichst wenig kennt. Zieht bitte bewusst in die Fremde!» Diese Aufforderung lässt den Teilnehmenden die Wahlfreiheit und hat zugleich viele Vorteile:
•«Gleich und Gleich gesellt sich gern!» Der Mensch strebt nach Sicherheit und nach Nähe. Das ist menschlich, begünstigt in einem Kurs jedoch eine Grüppchenbildung. Wenn nach Unvertrautem statt Vertrautem gesucht wird, entstehen neue Gruppen.
•Stellt man sich die Gruppe als die Summe einzelner Pflanzen (Teilnehmende) vor, so sind manche von Beginn an schon recht eng zusammengewachsen (etwa ein Ehepaar), andere sind hingegen noch isoliert. Möchte man, dass die gesamte Gruppe zusammenwächst, ist es eine effektive Strategie, wenn immer die Pflanzen zueinander finden, die bisher am wenigsten miteinander zu tun hatten. Auf diese Weise entsteht in der Gruppe schnell ein «Wir-Gefühl».
Kommunikation schafft die Fäden und die Vernetzung zwischen den Teilnehmenden. Als Leiterin oder Leiter können Sie die Kommunikationsstruktur im Kurs mitgestalten. Zwar können Sie ein «Wir-Gefühl» nicht erzwingen, jedoch günstige Bedingungen dafür schaffen.
•Im Heimatgebiet (vgl. Kapitel 6.4, S. 108) fühlt man sich geborgen und sicher, aber meist lernt man mehr in der Fremde. «Reisen bildet», und zwar durch die Erfahrung mit fremdem Gedankengut. In einem Kurs oder einem Workshop bedeutet das für alle Teilnehmenden eine Erfahrung mit anderen Bewusstseinssystemen.
•Der Mensch ist ein Subjekt. Grundlegend für jegliche Kommunikation beziehungsweise deren Modelle ist die Subjektivität: Jeder Mensch ist anders, denkt anders und erlebt anders. Dieselbe Äußerung kann auf verschiedene Menschen völlig anders wirken, weil jede Person einen anderen Hintergrund hat, anders denkt und andere Erfahrungen gemacht hat.
•Um Strukturen zu erkennen, bedarf es mehrerer Beispiele (vgl. «Doppelte Durchführung der Übungen», S. 18). Wer immer mit denselben Personen zusammenarbeitet, der kann schwerlich erkennen, was individuell und persönlich ist und was von allgemeiner Natur ist. Wer nur mit einem Menschen zusammenarbeitet, der kann auch nur aus den mit diesem Menschen gemachten Erfahrungen seine Wirklichkeit konstruieren. Mit verschiedenen Partnerinnen und Partnern kann mehr «Datenmaterial» gesammelt werden, um Wissen und Strukturen aufzubauen.
Leitungsrolle
Behalten Sie als Leiterin oder Leiter stets die Gruppe im Blick und bleiben Sie bei den Übungen außen vor. Sie sind Leiterin oder Leiter und nehmen nicht direkt teil an der Übung. Nur so können Sie von außen intervenieren. Achten Sie auf die Dynamik im Raum. Die Gruppe kann (als System) ihr eigenes Handeln und Erleben nicht von außen beurteilen. Sie hält häufig nur den unmittelbaren Moment für sehr wichtig, hat wenig Gespür für zeitliche Abläufe und verliert sich gerne in Einzelheiten. Wenn Sie als Spielleiterin oder Spielleiter nicht auf das gesamte Seminar blicken, tut es niemand. So wird nach Ablauf eines erfolgreichen Lehrgangs von der Gruppe häufig die Besonderheit der Teilnehmenden betont. Hingegen werden Ihre Klarheit als Leiterin oder Leiter und Ihr strukturelles Handeln eher nicht wahrgenommen. Last but not least: Es ist leichter, zu zweit eine Gruppe anzuleiten. Als alleinige Leiterin oder alleiniger Leiter stehen Sie (in Ihrer Rolle) auch allein da.
Kapitel 2 Wissenskonstruktionen
Allgemein betrachte ich Kommunikation nun anders und frage mich ständig: Was will diese Person mir nun sagen? Interpretiere ich vielleicht zu viel in die Aussagen hinein?
Was sehen Sie?
Was denken Sie?
Interessant. Unser Gehirn fängt automatisch an, einen Zusammenhang zu suchen.9 Was hat ein Salzstreuer mit einem Klebstoff zu tun? Muss der Salzstreuer repariert werden, sitzt der Deckel nicht richtig? Kann aus Klebstoff und Salz ein noch besserer Klebstoff hergestellt werden? Ist Salz selbst eine Art Kleber, vielleicht ein schlechter, aber dennoch verwendbar für bestimmte Zwecke? Und so weiter.
Sie können nicht anders: Sie denken automatisch (lateinisch automatus: «freiwillig, aus eigenem Antrieb handelnd»; griechisch αUTόμαTOς automatos: «von selbst geschehend»), auch wenn es für die Vermittlung von Wissen äußerst geschickt wäre, wenn man als Geschäftsführer, Abteilungsleiterin, Redner oder Lehrerin bestimmen könnte, was der Empfänger denken sollte. Aber: Ich kann Ihnen nicht befehlen, was Sie denken sollen. Das entscheiden Sie beziehungsweise Ihr Bewusstseinssystem. Das Gehirn ist ein autonomer Datengenerator10 und keine Maschine, die Daten nach einem vorhersehbaren Schema bearbeitet.
Allerdings ist es sehr wahrscheinlich, dass Ihre Gedanken im Augenblick etwas mit einem Salzstreuer, einem Klebstoff, diesem Text oder mit dessen Autor zu tun haben. Als Autor kann ich eine Richtung vorgeben, ich kann den Fokus auf bestimmte Dinge legen und Ihre Aufmerksamkeit lenken. Es braucht lediglich eine Bühne, um das Gehirn arbeiten oder etwas konstruieren zu lassen. Hier ist die Bühne diese Buchseite.
Zeigen Sie das Bild mit dem Salz Ihrem Partner, Ihrem Kind, Ihrer Nachbarin: Jedes Mal werden Sie eine andere Konstruktion erhalten. Als ich (als Sender) das Bild gemacht habe,