Der Lehrerberuf lässt sich nicht auf «Unterricht halten» reduzieren. Schule weiterzuentwickeln bedeutet, die «Komfortzone» sicherer unterrichtlicher Routinen zu verlassen und sich auf Neues einzulassen. Das ist nicht immer angenehm. Deshalb wurde seitens der KMK die Innovationsbereitschaft zum Standard und nicht zur unverbindlichen Option des Berufsstandes erklärt.
Lehrpersonen erwarten ja ihrerseits als Patienten von Ärzten oder als Kunden ihrer Autowerkstatt genau diese Innovationsbereitschaft. Um wie viel mehr muss man sie in der Schule verlangen, denn «Non scholae, sed vitae discimus».
•Sind Sie diesbezüglich «up to date»? Wo haben Sie bzw. hat Ihr Kollegium einen Nachholbedarf? •Wie stehen Sie zu diesen Erwartungen? Welchen dieser Punkte können Sie für sich bejahen? •Wo «sträubt» es sich bei Ihnen? |
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Berufliches Selbstverständnis und Schulentwicklung
In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, dass Schule als eine wenig hierarchisch strukturierte Institution eine besondere Organisationsform aufweist. In ihr arbeiten hoch qualifizierte Experten für Unterrichtsfächer und Erziehung mit einem großen Spielraum an Autonomie in ihrem Kerngeschäft, dem Unterricht. Lehrpersonen einer Schulklasse können durchaus nebeneinanderher arbeiten, ohne dass Unterricht kollabiert. Welche Qualität Bildung und Erziehung dann haben, welche Folgen das für die Schülerinnen und Schüler hat und welche psychische Belastung für die eine oder andere Lehrperson daraus erwächst, sei dahingestellt.
In dieser Betrachtungsweise spielt die Weiterentwicklung der Schule als einer tragenden Institution für die Zukunft von Schülerinnen und Schülern und der Gesellschaft für Lehrerinnen und Lehrer eine weniger bedeutsame Rolle. Viele sehen dies eher als Aufgabe von Politik, Schulaufsicht oder Schulleitung. Erst wenn ihre persönlichen Belange tangiert sind, z. B. durch organisatorische Beeinträchtigungen oder Probleme mit Schülerverhalten und Eltern, wächst das Interesse an verbindlichen Regelungen und Vereinbarungen, die ihre Arbeit erleichtern. Sie werden in dieser Auffassung seitens des Dienstherrn bekräftigt, da ein Zeitbudget für allgemeine schulische Belange in der Regel nicht eingeräumt wird.
Zwar konzentrieren sich ihre Kernaufgaben auf den Unterricht; aber ebenso ist es Pflicht der Lehrerinnen und Lehrer (nicht nur die der Schulleitung; siehe KMK, 2014), ihre Schule entsprechend den gesellschaftlichen, fachlichen und örtlichen Erfordernissen weiterzuentwickeln. Das beinhaltet z. B., die lokalen Arrangements so zu gestalten, dass leistungsförderliche Arbeitsbedingungen herrschen, guter Unterricht möglich ist und eine fachlich anregende, individuell entlastende und sozial bereichernde Zusammenarbeit gepflegt wird.
Hier sollten gelegentlich das Lehrerleitbild und die Berufsauffassung problematisiert werden: Anders als eine Behörde wird Schule erst durch das Zusammenwirken der Lehrkräfte konstituiert. Schule ist das, was Lehrerinnen, Lehrer und Schulleitungen, Schülerinnen, Schüler und Eltern aus dem machen, was Gesellschaft, Bildungspolitik und Schuladministration an Rahmenbedingungen vorgeben.
•Verstehen sich alle im Kollegium als mitverantwortliche «Entwicklungsbeauftragte» ihrer Schule? |
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•In welcher Weise werden sie darin von der Schulleitung/dem Kollegium unterstützt? |
«Wer nicht mit der Zeit geht, muss mit der Zeit gehen.»
1.3 Entwicklungsarbeit als Lernprozess
Veränderungen fordern Lernen heraus, wenn man nicht mit der Zeit gehen möchte. Schulentwicklung ist ein stetiger Lernprozess. Entwickeln heißt, IST-Zustände zu modifizieren oder gar zu verlassen und sich auf neues Terrain in Richtung eines gewünschten oder geforderten SOLL-Zustands zu begeben. Das geht nicht ohne Loslassen, schon gar nicht ohne das Erlernen neuer Sichtweisen, neuen Verhaltens, neuer Haltungen … Dazu werden – je nach Umfang und Intensität der Veränderungen – unterschiedliche Lernstrategien benötigt.
Anpassungslernen
Die erste Stufe von Lernen ist das Anpassungslernen.
Anpassungslernen heißt, man spürt, dass sich etwas ändert, und versucht, sich dem anzupassen; bisherige Ziele, Theorien, Leitbilder und Grundorientierungen bleiben unberührt. Das ist vergleichbar einem Autofahrer, der seine Fahrweise schlechten Straßenbedingungen oder Verkehrsbehinderungen anpasst (→ Schnelles Denken, S. 30), nicht aber seine Fahrtroute oder Fahrkünste anzweifelt oder seinen Fahrstil grundsätzlich ändert. Es werden nur Anpassungsbewegungen verlangt, um nicht «im Graben» zu landen.
Auf Schule übertragen hieße das z. B., sich auf eine neue Klasse oder eine neue Schulleitung einzustellen, ohne seine pädagogische Kompetenz oder pädagogischen Überzeugungen infrage zu stellen. Die Ziele bleiben bestehen, nur die Wege und Methoden werden der Lage angepasst.
Schwieriger wird es, wenn die Lage sich soweit wandelt, dass reflexhafte Anpassungen, übliche Routinen, bislang erfolgreiche Denkmuster nicht mehr funktionieren. Dann sind Veränderungslernen und Langsames Denken (S. 30) gefordert.
Veränderungslernen
Wenn das Verhaltensrepertoire trotz Anpassung nicht ausreicht, neue Situationen oder Aufgaben zu bewältigen, muss man sich andere Kompetenzen und Sichtweisen aneignen. Bisher selbstverständliche Ziele, Theorien, Normen, Verhaltensmuster und Wertorientierungen werden auf die Probe gestellt. Das geht einher mit wohlüberlegter Selbststeuerung (→ Kapitel 9), mit der kritischen Betrachtung von Leitbildern, mit der Erweiterung von fachlichem Wissen und personalen Kompetenzen, mit der Revision von Routinen – und ist mit emotionalem Widerstand verbunden.
So verlangen z. B. die Beauftragung als Mentor, fachfremder Unterricht, neue Lehrpläne, Übertragung von Leitungsaufgaben, zunehmende Diversität der Schülerschaft usw. mehr als nur regulatorische Anpassung. Selbst eine erzwungene Umgewichtung von Unterrichten und Erziehen stellt für manche Lehrperson eine Hürde dar nach dem Motto: «Ich unterrichte Mathematik; das andere ist nicht meine Aufgabe.»
Prozesslernen – Systemlernen
Anpassungslernen und Veränderungslernen können auf der individuellen Ebene ausreichen. Wenn sich jedoch ganze Systeme auf neue Verhältnisse umstellen müssen, ist mehr gefordert. Es geht dann nicht allein darum, dass sich die einzelne Lehrerin oder der einzelne Lehrer auf die geänderten Bedingungen einstellt. Vielmehr ist Systemisches Lernen/Prozesslernen notwendig: Individuelle Lernbemühungen und Lernerfahrungen müssen zu organisationalem Lernen verknüpft, und Themen, die alle betreffen, müssen in die offizielle Kommunikation der Organisation eingebracht werden.[3]
Ein Kollegium muss gemeinsame Entwicklungsarbeit leisten und dem externen und internen Änderungsdruck durch eigenes Handeln eine Richtung geben, die auf die örtlichen Besonderheiten abgestimmt ist. Eine gute, gesunde Schule besteht ja nicht darin, dass jede einzelne Lehrkraft ihren Unterricht im weitesten Sinn gut bewältigen kann. Sie besteht u. E. darin, dass alle Beteiligten – auch die Schülerschaft und die Eltern – zusammenwirken, um als Schule dem anspruchsvollen Bildungs- und Erziehungsauftrag nachzukommen und gleichzeitig die physische und psychische Gesundheit der Akteure zu bewahren, wenn möglich sogar zu fördern.
Nicht selten geht es bei Systemlernen auch darum, Erziehungsgrundsätze, Leitbilder, vielleicht auch das Schulethos (→ Kapitel 3) zu überdenken und das Lehrangebot anzupassen. In der Schule könnte das z. B. bei der Forderung nach Inklusion notwendig werden oder bei der Diskussion um die Digitalisierung des Lernens, vielleicht auch bei der Umstellung des Unterrichts auf Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien.
In diesem Zusammenhang werden mitunter auch personelle Anpassungen auf Kollegiums-Ebene erfolgen müssen. Es bilden sich andere Strukturen der Zusammenarbeit, es entstehen neue Koalitionen, es werden andere Spezialisten oder Befähigungen gebraucht; Hierarchien im Kollegium können sich auflösen.
Konkret kann Prozess- bzw. Systemlernen z. B. bedeuten:
•Informationsaustausch systematisch zu organisieren. «Pädagogische