Edgar H. Schein

Prozessberatung für die Organisation der Zukunft


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wissen, wie ich ihre Unternehmenskultur empfände und bewerte, aber nach meinen bisherigen Erfahrungen war es besser, hier vage zu bleiben, denn selbst wenn ich mit einer technisch unangreifbaren Antwort hätte aufwarten können, hätte dies zu Abwehr und Verleugnung führen können. Ich hörte nicht auf zu betonen, nur Insider könnten die entscheidenden Grundannahmen des Unternehmens wirklich verstehen, und forderte die Gruppe auf, mir dabei weiterzuhelfen.

       Am letzten Tag überprüfte ich offiziell den Konsens. Dazu strukturierte ich die diskutierten Themen und lud die Gruppe ein, ihre Ergebnisse vorzutragen, die ich dann auf Flipcharts schrieb, damit sie für alle deutlich sichtbar wurden. Da ich dabei ganz direkt vorging, konnte der Chairman seine eigenen Schlussfolgerungen freier äußern, ohne auf sein Recht zurückgreifen zu müssen, gegensätzliche Meinungen zu überstimmen. Da ich die drei Tage zugehört hatte, konnte ich viele Themen auf den Punkt bringen. Und ich zwang die Gruppe, Farbe zu bekennen, wenn ich den Eindruck hatte, die Mitglieder flüchteten sich in vage Aussagen. In dieser Rolle handelte ich teils als Prozessberater und teils als Managementexperte, indem ich manchmal die erreichten Ergebnisse kommentierte.

       Zum Beispiel war die Rede von einer Dezentralisierung in einzelne Geschäftseinheiten, was jedoch die Machtposition der bereits aufgebauten Geschäftseinheiten verringern würde. Die Hauptquartiere der Geschäftseinheiten befanden sich alle in der Heimatstadt, d.h. in Wirklichkeit wurde im selben Maße zentralisiert wie dezentralisiert. Ich stellte die Folgen heraus, die sich daraus für eine Reihe anderer Vorgehensweisen ergeben würden, wie den Transfer von Angestellten über Abteilungs- oder geographische Grenzen hinweg.

       Der Ausklang des Meetings war sehr positiv, und man beschloss, in einigen Monaten die Ergebnisse zu überprüfen. Als ich mich dazu mit Sprague traf, erfuhr ich, dass sowohl seiner Meinung wie der des Chairmans nach alles wie erwartet gelaufen war. Sie fanden beide, es habe, was Inhalt wie Ablauf angeht, sehr geholfen, mich als Outsider hereinzuholen, auf den man nach Bedarf zurückgreifen konnte.

       Merke: Der Berater muss bereit sein, in dem der Wirklichkeit des entsprechenden Augenblicks angemessenen Modus zu arbeiten. Der Beginn jeder Kontaktaufnahme zu einem Klienten hat im Prozessmodus stattzufinden. Nur so kann der Berater die Wirklichkeit des Klienten erkunden und herausfinden, womit genau er ihm am gezieltesten beim Umgang mit dieser Wirklichkeit helfen kann. Entsprechend der Entwicklung der Beziehung und der Veränderung des Klientensystems treten neue Rollen in den Vordergrund. Diagnose und Intervention sind nicht voneinander zu trennen.

      Fallbeispiel 1.2

       Verschobener Aufbau eines Teams bei Ellison Manufacturing

       Dieser Fall soll verschiedene Elemente der Prozessberatung verdeutlichen. Ich will mich nicht weiter darauf einlassen, wie ich in die folgende Situation geriet, sondern möchte hervorheben, was es bedeutet, gemeinsam Verantwortung für den Prozess zu übernehmen; dem Klienten die Verantwortung für sein Problem zu überlassen; dass selbst unsere unschuldigsten Nachfragen Interventionen sind, die unbekannte Konsequenzen nach sich ziehen können; und wie wichtig es ist, sein Nichtwissen einzusetzen und sich mit der Wirklichkeit auseinander zu setzen.

       Seit ein paar Monaten bereits hatten zwischen dem Manager einer am Ort ansässigen Fabrik und mir Beratungsgespräche stattgefunden. Er suchte nach einer Strategie, wie er mehr Vertrauen unter seinen Managern untereinander sowie den Arbeitern und der Führung aufbauen konnte. Nach mehreren dieser monatlichen Sitzungen kam er zu dem Schluss, der logische nächste Schritt sei, sein gehobenes Management (seine unmittelbaren Untergebenen) zu einer zweitägigen Klausur einzuladen, um aus ihnen ein Team zu schmieden. Er vereinbarte ein Arbeitsessen mit mir und seinem Mann für die Organisationsentwicklung, um das zweitägige Meeting zu planen und festzulegen, wie mein Part bei dem Meeting beschaffen sein sollte.

       Als wir uns zu Tisch gesetzt hatten, erklärte ich, ich bräuchte noch mehr Informationen über die Vorgaben und Teilnehmer dieses Treffens. Ich fragte: »Wer sind denn die Teilnehmer an dem Treffen und was ist ihre Rolle?« (Diese Frage macht deutlich, was ich darunter verstehe, sein Nichtwissen zu benutzen. Ich konnte zu der Planung nichts beitragen, wenn ich nicht wusste, wer bei dem Treffen in welcher Rolle dabei sein sollte.) Der Fabrikdirektor ging seine Liste mit seinen Untergebenen durch, aber als er zu dem dritten Namen kam, zögerte er. »Joe ist für die Finanzen zuständig, aber ich bin mir noch nicht sicher, ob er es drauf hat. Ich weiß noch nicht so recht, inwieweit er für seinen Job geeignet ist und ob ich ihn auf der Position lassen oder woanders hin setzen soll.« Darauf fragte ich nach, ob es noch andere Personen auf seiner Liste gebe, bei denen er Vorbehalte habe. Er meinte, da sei noch eine Person, die ihre Fähigkeiten noch nicht unter Beweis gestellt habe und vielleicht für das Team nicht in Frage komme. Ich wollte wissen, was seiner Ansicht nach wohl geschehen würde, wenn wir weitermachten und später einen oder beide feuerten. Er kam zu dem Schluss, das würde den Aufbau des Teams behindern und wäre auch gegenüber den beiden Leuten unfair, bei denen er sich nicht sicher war.

       Nachdem wir Für und Wider dieser Klausur diskutiert hatten, entschloss er sich, sich zuerst über diese zwei fraglichen Personen klar zu werden und die Klausur bis dahin aufzuschieben. Wir alle atmeten auf, dass dieser Punkt bereits jetzt statt zu einem späteren Zeitpunkt aufgetaucht war.

       Merke: Die wesentliche Information trat auf eine unschuldige Frage hin zu Tage. Der Prozess des Informationseinholens erlaubte es dem Fabrikmanager zu der Entscheidung zu gelangen, die Sitzung abzusagen, weil er selbst die einzelnen Themen noch einmal durchdachte. Für ihn war dieses Arbeitsessen eine der hilfreichsten Interventionen, obwohl wir den Aufbau des Teams für den gegenwärtigen Zeitpunkt abgeblasen hatten.

      Fallbeispiel 1.3

       Das unnötige Managementmeeting bei Global Electric

       Die Auseinandersetzung mit der sich ständig verändernden aktuellen Wirklichkeit verlangt vom Berater häufig die Bereitschaft, eher weniger als mehr zu tun. Dieses Fallbeispiel illustriert, wie wenig sinnvoll es ist, sich als Anbieter von Dienstleistungen zu verstehen, unabhängig davon, was in dem Klientensystem abläuft.

       Man trat an mich heran, an der jährlich stattfindenden Managementkonferenz eines großen Schweizer multinationalen Unternehmens teilzunehmen, um dem Präsidenten bei der Planung eines Managementführungsteams zu helfen. Die Abteilungen arbeiteten zu isoliert voneinander, und falls es uns gelänge, unter dem Vorwand der von mir angebotenen Weiterbildung regelmäßig eine kleine Gruppe zusammenzubringen, könnte diese Gruppe allmählich dazu bewegt werden, die Probleme des Unternehmens anzugehen.

       Der Kontaktklient war der Direktor für Managemententwicklung und -training, der mich während einiger Meetings über die Situation des Unternehmens informierte. Man brauchte unbedingt einen Vorwand für die geplanten autonomen Meetings der Abteilungsleiter, hatte zugleich aber den Eindruck, diese Meetings würden ohne jemanden von außen, der sowohl als vorgeschobener Anlass für das Meeting – d.h. das geplante Seminar – diente als auch als Motor, nicht in Gang kommen. Eine Ausbildungsintervention war daher sinnvoll, auch wenn es in Wirklichkeit darum ging, ein stärker zur Zusammenarbeit bereites Managementteam aufzubauen.

       Nachdem unsere Planung vorangeschritten und ein einige Monate entferntes Datum festgesetzt worden war, vereinbarten wir ein Treffen mit dem Präsidenten im Hauptquartier in Europa, um die Details des Projekts zu besprechen. Bei dem Meeting mit dem Präsidenten schälte sich ein etwas anders gelagertes Thema heraus. Er machte sich Sorgen darüber, dass zwei seiner Abteilungsmanager die ganze Zeit über miteinander im Clinch lagen und sich gegenseitig das Wasser abgruben. Der eine der beiden war zu dominant, der andere zu unterwürfig. Ihm ging es darum, die beiden in einer Gruppensituation zusammenzubringen, in der durch das Feedback der Gruppe ihre »Schwächen« korrigiert würden. Ich war etwas skeptisch hinsichtlich der Möglichkeiten einer Gruppe, dies zu erreichen. Doch er wollte die Sache langsam angehen. Wir kamen zu dem Schluss, dass ihnen ein Seminar über Karriereanker und unterschiedliche Managementstile, wie es in einem anderen schweizerisch-deutschen Unternehmen erfolgreich durchgeführt worden war, weiterhelfen würde (Schein 1985).

       Zwei Monate vor dem Seminar rief mich der Kontaktklient an