Stefan Hahn

Gestalttherapie mit Gruppen


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immer auch noch mit Stress verbunden.

      Eine Gestaltgruppe wird per Definition prozessorientiert geleitet, in ihr muss es Raum für Unvorhersehbares, lebendige Prozesse und Interaktionen geben. Als Gruppenleitung meistere ich in jedem Gruppentreffen neue einzigartige Herausforderungen.

      Die anfängliche Angst weicht oft einer Zufriedenheit gegen Ende einer Gruppe. Ich habe Nährendes und Bereicherndes erlebt, wir haben zusammen gelernt und sind uns näher gekommen.

      Oft rührt die Angst des Gruppenleiters von dem inneren Erleben des Isoliertseins. Verstärkt wird dies Gefühl natürlich, wenn sich die Gruppenteilnehmer bereits kennen.

      Zu dem Gefühl der Isolation gesellt sich die Überzeugung, dass Sie auf dem Prüfstand stehen, kritisch beobachtet und bewertet werden, wobei Ihnen die Kriterien für die Bewertungen unbekannt sind. Nur eines ist gewiss: Dass Sie es im besten Fall nicht allen recht machen können, hin und wieder wirklich abgelehnt werden und Sie sich in seltenen Fällen auch wirklich lächerlich machen. In Gruppen mit vielen Teilnehmern, die Angst vor emotionaler Tiefung haben, wird der Gruppenleiter vermehrt auf Abweisung seines persönlichen Interesses und seiner Anteilnahme stoßen.

      All das mag sehr unangenehme Gefühle auslösen, die aber zu meistern sind. Siehe hierzu auch das Kapitel: »Der innere Supervisor«. Bei Bedarf gehören diese Gefühle in die Supervision.

      Oftmals haben Teilnehmer zu Beginn einer Gruppe wenig Bewusstheit über ihre Interessen, Bedürfnisse und Befindlichkeit oder sie sind gehemmt, diese offen zu äußern. Es kommt zu keiner Prägnanz von Figurbildung (in Gestaltsprache). Irgendwie fehlt die Energie bei allem, was die Teilnehmer und die Gruppenleitung unternehmen. Es entsteht kein Spannungsbogen, kein müheloser Fluss, es mangelt an Konzentration.

      Welche Gestaltmethoden stehen Ihnen zur Verfügung, wenn Sie zu Beginn einer Gruppe im Trüben fischen und es zu keiner klaren Figurbildung kommt? Die Versuchung mag groß sein, eine neue Übung anzuregen, vielleicht eine, die Sie selbst kennen gelernt haben und die Ihnen gut gefiel. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, aber zurückhaltendes Überprüfen der Gruppensituation ist vorzuschalten.

      • Was ist in der Gruppe bisher passiert?

      • Was sind die bereits benannten Themen?

      • Welche Gefühle, Gedanken und Interesse löst das in Ihnen aus?

      • Ist hier etwas offen (ein Bedürfnis, eine Frage, ein Anliegen, ein Konflikt)?

      • Spüren Sie eine Anspannung?

      • Möchten Sie etwas vertiefen?

      • Welche vielleicht nur zaghaften Versuche der Kontaktaufnahme gibt es, die Sie aufgreifen können?

      Aus dieser Reflexion des Gruppenprozesses können sich ganz natürlich Interventionen für den Gruppenleiter ergeben, mit denen er sich an einzelne Gruppenmitglieder oder die Gruppe als Ganzes wendet. Diese Interventionen gewinnen ihre überzeugende Einladungskraft aus der klaren Figurbildung. Sie haben genau den Nerv der Gruppe getroffen, wenn jetzt die Energie wieder fließen kann.

      Als Gruppenleiter verfolgen Sie dabei ihr persönliches Interesse an den einzelnen Teilnehmern, an den Interaktionen sowie am Gruppenprozess. Handeln Sie aus authentischem Interesse und Anteilnahme, werden Sie Ihre Angst vorübergehend vergessen. Hierbei ist persönliches Interesse nicht mit reiner Neugier zu verwechseln. Ihr Interesse und ihre Anteilnahme dienen der Förderung von Kontakt- und Wahrnehmungsfähigkeiten der Gruppenmitglieder und sind hierfür unabdingbare Voraussetzung.

      Natürlich können Ihr Interesse und Ihre Anteilnahme auch auf Ablehnung bei den Teilnehmern stoßen. Dies ist sogar häufig der Fall. Nur selten geschieht diese Ablehnung jedoch offen und direkt, oftmals nicht einmal bewusst. Die Art und Weise, wie Gruppenteilnehmer sich dem Interesse und der Anteilnahme des Gruppenleiters verschließen, sind so zahlreich wie es Teilnehmer gibt. Wichtig für Sie ist, es zu erkennen, innezuhalten und nachzuspüren, welche Gefühle und Impulse dies in Ihnen auslöst.

      Eines dieser Gefühle mag ein altvertrautes sein: Angst. Angst, in der Gruppenöffentlichkeit als inkompetent zu erscheinen und das beschämende Gefühl ertragen zu müssen, abgeblitzt zu sein. Angst davor, von allen anderen mit Ihrem Interesse abgewiesen zu werden.

      Vielleicht nehmen Sie Ihre Angst hauptsächlich als Herausforderung wahr: »Dem werde ich es zeigen, ich lasse mich doch nicht so einfach abweisen, schließlich meine ich es doch gut.« Oder Sie ziehen sich gekränkt zurück und erleben die Abweisung als Niederlage.

      Je nach persönlicher Toleranz für diese Unsicherheit im Kontakt mit den Gruppenteilnehmern, ziehen Sie es jetzt vielleicht doch vor, noch eine Übung zu machen. So können Sie wenigstens für sich sorgen und wieder etwas Verdauungspause und sicheren Abstand von der Gruppe gewinnen.

      In den Kapiteln »Der therapeutische Prozess« und »Interventionsmöglichkeiten bei Kontaktunterbrechungen im Gruppengeschehen« gehe ich näher darauf ein, welche vielseitigen Möglichkeiten es noch gibt, mit dieser Form von Widerstand anders umzugehen.

      Eine Gruppe verläuft dann zufriedenstellend, wenn das, was ich anbiete, dem Bedürfnis und Interesse der Gruppe entspricht (Zinker 1998). Dies ist eine für mich beruhigende Grundannahme, auch wenn ich weiß, dass man es nie allen Teilnehmern einer Gruppe recht machen kann.

      Je klarer die Teilnehmer ihre Interessen und Bedürfnisse formulieren, desto eher werden Sie als Gruppenleitung dazu in der Lage sein, darauf einzugehen. Dies ist der Zweck von Befindlichkeitsrunden und Runden, in denen Sie abfragen, was die Teilnehmer im Moment beschäftigt, interessiert und was sie gerne tun möchten. Siehe auch im Kapitel »So könnte es weitergehen – allgemeine Prinzipien«.

      Es kann sein, dass Sie durch Ihre Anteilnahme und Interesse bei den Teilnehmer lebhafte, gefühlvolle Prozesse auslösen, womit Sie jetzt eigentlich zufrieden sein könnten – wäre da nicht schon wieder Ihre Angst. Alles könnte außer Kontrolle geraten – und letztendlich sind Sie für den einmal in Gang gesetzten Prozess verantwortlich. Das beinhaltet unter anderem, dass keiner dadurch zu Schaden kommen darf. Diese lebhaften, gefühlvollen Prozesse werden Ihnen umso mehr Angst machen, je weniger Sie sie am eigenen Leib erfahren haben, was übrigens auch auf die Gruppenteilnehmer zutrifft .

      Wie schaffen Sie nun einen sicheren Rahmen für lebhafte, gefühlvolle Prozesse in der Gruppe? Vorangestellt sei, dass es den sicheren Rahmen nicht gibt. Jeder Gruppenleiter (und natürlich auch die Gruppenteilnehmer) braucht für sein Gefühl von Sicherheit etwas anderes. Wichtig ist dennoch, dieses Bedürfnis nach einem sicheren Rahmen überhaupt zu spüren und benennen zu können. Es hat seine Berechtigung, auch wenn es keine Garantie für Sicherheit gibt. Ihre Sicherheit wird wachsen mit Erfahrung, Kenntnis von Methoden und Übung von Achtsamkeit für den Kontaktprozess.

      Dazu gehören der kontaktvolle Umgang mit »Widerstand«, Ihre Fähigkeit, den Gruppenteilnehmer in seinem Prozess zu unterstützen und seine Selbststützung, sowie Unterstützung durch die Gruppe zu aktivieren. Als Gruppenleiter müssen Sie Kenntnis haben von Techniken, die aus der Tiefung führen und die die Integration der Erfahrung im Nachkontakt fördern. Sie werden später detailliert beschrieben.

      Wenn Sie auf Ihre Grenzen und die der Teilnehmer achten, können Sie keinen Schaden anrichten. Fordern Sie Teilnehmer dazu auf, selbstverantwortlich auf ihre Grenzen zu achten und die anderer Gruppenmitglieder