zitierten Quellen der Einleitung finden Sie unter t16001.
1 Warum die ganze Aufregung?
Die Aussage »Wir leben in einer Informationsgesellschaft« ist eine seit vierzig Jahren wiederholte Binsenwahrheit. Netzwerkgesellschaft, Mediengesellschaft, Informationsgesellschaft – zahlreich sind die Bezeichnungen für das Phänomen der Digitalisierung. In allen Variationen werden die Konsequenzen als Himmel und Hölle zugleich an die Wand gemalt. In unserem Alltag erleben wir diese Veränderungen zunehmend stärker. Erst hielt der Personal Computer (PC) Einzug in den beruflichen und privaten Alltag, dann das Internet und derzeit werden mobile Geräte wie Smartphones und Smartwatches allgegenwärtig. Trotzdem scheint es schwierig, die Bedeutung und Tragweite dieser Entwicklung abzuschätzen. Martin Lindner spricht deshalb vom digitalen Klimawandel b6003, weil er sich ähnlich wie der meteorologische Klimawandel trotz seiner Bedeutung langsam vollzieht und schwer fassbar bleibt. Dieses Kapitel erklärt in groben Zügen, warum die Entstehung der Informationsgesellschaft auch als Leitmedienwechsel w2306 vom Buch zum vernetzten Computer oder als zweite industrielle Revolution bezeichnet wird. Computer, Internet und mobile Geräte sind zwar die sichtbaren Objekte der Informationsgesellschaft. Doch dahinter steckt eine mächtige technologische Entwicklung, die weit mehr umfasst. Sie lässt sich mit den Begriffen »Digitalisierung«, »Automatisierung« und »Vernetzung« umreißen.
Digitalisierung – Automatisierung – Vernetzung
Mit dem Begriff »Digitalisierung« w1513 soll die Tatsache beschrieben werden, dass analoge Daten zunehmend in die digitale Form überführt werden oder Daten direkt digital erfasst werden. »Digital« bedeutet, dass sich alle möglichen Daten (Texte, Bilder, Töne, Videos) mit dem gleichen Alphabet, bestehend aus den beiden Zeichen 0 und 1, darstellen lassen. Diese streng genommen »binär« zu nennende Darstellung erlaubt es, alle Daten elektronisch in einem einzigen Gerät – dem Computer – zu speichern (siehe Abbildung 1.1).
Abbildung 1.1: Die Digitalisierung ermöglicht, alle Daten in einem einzigen Gerät zu speichern
So ist es beispielsweise bereits heute kein Problem mehr, das gesamte Leben eines Menschen als Video festzuhalten und dabei gleichzeitig alle seine Kommunikations-, Gesundheits- und Aufenthaltsdaten aufzuzeichnen und durchsuchbar aufzubereiten – und das wird bereits gemacht b3725. Dieses erschreckend wirkende Szenario soll als Beispiel dafür genügen, wie stark die Informationsflut w430, über die sich bereits die alten Griechen beklagt haben, aufgrund der Digitalisierung weiter zunehmen wird. Computer ermöglichen jedoch nicht nur die Erfassung und Speicherung digitaler Daten, sondern auch deren automatische, regelbasierte Verarbeitung. Daten können maschinell sortiert, gefiltert und nach gewissen Regeln verarbeitet werden. Computer erlauben die Automatisierung w973 aller Abläufe, die sich präzis, sprich formal exakt, beschreiben lassen. Digitale Daten sind platzsparend speicherbar und lassen sich über Datennetze weltweit kostengünstig übermitteln. Dank dieser Vernetzung w975 können alle erfassten, verarbeiteten und gespeicherten Daten sofort weltweit verfügbar gemacht werden (siehe Abbildung 1.2). Nicholas Negroponte, Gründer des MIT Media Labs, schuf dafür ein einprägsames Bild, als er 1995 im Buch Total digital b99 erklärte, dass wir künftig vermehrt Bits statt Atome transportieren würden.
Abbildung 1.2: Die grundlegenden Funktionen des Computers
Das mooresche Gesetz und die zweite Hälfte des Schachbretts
Treiber hinter dieser technologischen Entwicklung ist die als mooresches Gesetz w862 bekannt gewordene Tatsache, dass sich in den letzten 40 Jahren alle anderthalb Jahre doppelt so viele Transistoren auf der gleichen Chipfläche unterbringen ließen – dass sich also vereinfacht ausgedrückt die Komplexität von Computerchips alle anderthalb Jahre verdoppelt hat. Diese seit vierzig Jahren praktisch ungebrochene Leistungssteigerung ist sowohl der Grund für die enorme Entwicklung als auch ein Ausdruck für deren schwierige Erfassbarkeit durch die menschliche Vorstellungskraft. Menschen können schlecht mit exponentiellen Entwicklungen umgehen, wie bereits die Legende des Schachspielerfinders zeigt. Dieser forderte als Lohn für seine Erfindung vom König ein Reiskorn auf dem ersten Feld des Schachbretts und doppelt so viele Reiskörner auf jedem der nachfolgenden Felder. Noch in der Mitte des Schachbretts meinte der König, einen geringen Preis für das spannende Schachspiel bezahlen zu müssen, bevor er von der unvorstellbaren Entwicklung auf der zweiten Hälfte des Schachbretts überrascht wurde und den Erfinder in der Folge hinrichten ließ. In gewisser Hinsicht ist es gut denkbar, dass auch die Menschheit die weitere Entwicklung der Digitalisierung noch nicht wirklich abschätzen kann.
Abbildung 1.3: Auslöser, Konsequenzen und Herausforderungen des aktuellen Leitmedienwechsels
Ökonomische Konsequenzen: Es trifft nicht mehr nur langweilige Routinearbeiten
Es ist zwar im allgemeinen Bewusstsein angekommen, dass die Digitalisierung gewisse Wirtschaftsbereiche wie zum Beispiel die Musik- oder Fotoindustrie verändert hat. Die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verwenden unterdessen am Arbeitsplatz einen oder mehrere Computer, gewisse Berufe haben an Bedeutung verloren oder sind ganz verschwunden. Zumeist betraf die Automatisierung bisher aber vor allem monotone, standardisierte Jobs. Erst seit kurzem lassen sich zunehmend auch Tätigkeiten automatisieren, die bisher noch dem Menschen vorbehalten schienen. Dazu drei aktuelle Beispiele: selbstfahrende Autos, nachahmende Roboter und computergenerierte Texte.
Noch im Jahr 2004 wurde in einer renommierten Studie zur Zukunft der Arbeit b5382 erklärt, selbstfahrende Autos w2448 seien aufgrund der zu großen Komplexität des Verkehrsgeschehens unmöglich. Zehn Jahre später haben selbstfahrende Autos sowohl