Beat Döbeli Honegger

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Aufsatz Economic Possibilities for our Grandchildren

t15783, in dem er den Begriff der technologischen Arbeitslosigkeit prägte. Keynes vertrat die Ansicht, dass der technische Fortschritt schneller Arbeitsplätze vernichten könnte, als neue geschaffen würden.

      Erhöht die Digitalisierung das Wohlstandsgefälle?

      Seither stellt sich die Frage, wie die Gesellschaft die Produktivitätsgewinne verteilt. Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung könnten dabei in zweierlei Hinsicht eine Zäsur darstellen. Zum einen stellen verschiedene Studien der letzten Jahre fest, dass sich das Angebot zunehmend in hoch anspruchsvolle und anspruchslose Arbeitsplätze unterteilt, während solche mit mittleren Ansprüchen wegfallen

a1268. Berufe mit mittleren Ansprüchen zeichnen sich sowohl bei kognitiven als auch bei manuellen Tätigkeiten durch einen hohen Anteil an Routinearbeiten aus, der nun zunehmend automatisiert werden kann. Übrig bleiben die kognitiv hoch anspruchsvollen Berufe und die relativ anspruchslosen manuellen Berufe, deren Aufgaben eher situativ zu lösen sind, zum Beispiel Putz- und Sicherheitspersonal. Neben dieser Spaltung in anspruchsvolle und anspruchslose Tätigkeiten führt die Automatisierung auch dazu, dass Kapital an Bedeutung gewinnt und Arbeit an Bedeutung verliert. Um eine automatisierte Lösung aufzubauen, ist anfänglich viel Kapital notwendig, der Betrieb ist danach im Vergleich zu früheren, nicht automatisierten Lösungen relativ kostengünstig. Mit dieser Entwicklung steigt die wirtschaftliche Macht vermögender Menschen, während es für weniger vermögende Menschen immer schwieriger wird, durch Arbeit reich zu werden. Erik Brynjolfsson und McAfee zeigen anhand aktueller Zahlen aus den USA
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, dass es zwar mehr Millionäre denn je gibt, die Beschäftigungsquote und das Durchschnittseinkommen jedoch stagnieren oder gar fallen. Die Digitalisierung scheint das Wohlstandsgefälle zu fördern
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. Die Gesellschaft muss sich hier fragen, wie sie mit dieser Entwicklung umgehen will. Garantierte Mindestlöhne
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als Maßnahme zum Ausgleich der Einkommensunterschiede sind nicht unproblematisch. Sie erhöhen die Attraktivität der Automatisierung
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, da die Automatisierungslösung dadurch ebenfalls mehr kosten darf und trotzdem noch günstiger als die menschliche Arbeitskraft sein kann. Als Alternativen werden ein bedingungsloses Grundeinkommen
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oder negative Einkommenssteuern
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breiter diskutiert und durchaus auch von nicht kapitalismusfeindlichen Ökonomen verfochten.

      Kontrollverlust allerorten

      Der aktuelle Leitmedienwechsel führt aber nicht nur zu ökonomischen Herausforderungen.

      Sowohl die Gesellschaft als Ganzes als auch jeder einzelne Mensch ist durch Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung mit einem Kontrollverlust konfrontiert. Der Soziologe Dirk Baecker spricht in der Einleitung seines Buches Studien zur nächsten Gesellschaft

b4152 davon, dass »jedes neue Verbreitungsmedium die Gesellschaft mit neuen und überschüssigen Möglichkeiten der Kommunikation konfrontiert«. Für Baecker waren es immer die Kommunikationsmedien, die neue Gesellschaftsstrukturen geprägt haben
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: »Wir haben es mit nichts Geringerem zu tun als mit der Vermutung, dass die Einführung des Computers für die Gesellschaft ebenso dramatische Folgen hat wie zuvor nur die Einführung der Sprache, der Schrift und des Buchdrucks. Die Einführung der Sprache konstituierte die Stammesgesellschaft, die Einführung der Schrift die antike Hochkultur, die Einführung des Buchdrucks die moderne Gesellschaft und die Einführung des Computers die nächste Gesellschaft« (siehe Abbildung 1.4).

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       Abbildung 1.4: Kommunikationsmedien als Auslöser von Leitmedienwechseln gemäß Baecker

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      Baeckers Formulierungen klingen zunächst abstrakt, aber ein Blick in die Tagespresse zeigt, wie konkret und aktuell seine Aussage ist. Individuen, Unternehmen und Staaten haben aufgrund der riesigen und automatisch auswertbaren, weltweiten Datenflut alle mit Kontrollverlusten zu kämpfen und versuchen sich auf die neue Situation einzustellen. Michael Seemann fasst die Situation in einem Satz zusammen: »Daten, von denen wir nicht wussten, dass es sie gibt, finden Wege, die nicht vorgesehen waren, und offenbaren Dinge, auf die wir nie gekommen wären«

t17925. Abbildung 1.5 zeigt im Überblick, wie sich die Verhältnisse zwischen Staat, Individuum und Unternehmen aufgrund der Digitalisierung verändern.

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       Abbildung 1.5: Die Digitalisierung verändert die Verhältnisse zwischen Staat, Individuum und Unternehmen

      Individuen sind daran, ihre Privatsphäre

w535 zu verlieren oder haben sie bereits verloren. Staaten sammeln zur Verbrechens- und Terrorbekämpfung oder gar -prävention auf breiter Front massenhaft Daten einzelner Menschen. So werden bei der seit längerem heiß diskutierten Vorratsdatenspeicherung
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alle Informationen, wer mit wem telefoniert oder sonst digital kommuniziert hat, während mehrerer Monate auf Vorrat gespeichert. Obwohl nur diese Metadaten
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, nicht aber der Inhalt der Kommunikation gespeichert werden, lassen sich daraus sehr genaue Bewegungsprofile erstellen, wie zum Beispiel das 2014 veröffentlichte und attraktiv grafisch animierte Metadatenprofil des schweizerischen Nationalrats Balthasar Glättli gezeigt hat
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.

      Während Individuen sich dem staatlichen Datenhunger nicht entziehen können, sieht dieses Verhältnis gegenüber Unternehmen scheinbar anders aus. Wer nicht im Internet bestellt, keine Kundenkarten nutzt und nicht bei sozialen Medien aktiv ist, scheint nach dem Prinzip der Datensparsamkeit