Dominik Helbling

Nachdenken und vernetzen in Natur, Mensch, Gesellschaft (E-Book)


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Dazu gehört speziell die Herausforderung, für Lernende relevante Wissens- und Könnensbereiche zu identifizieren. Geht man von einem inhaltlichen Stichwort aus, besteht die Gefahr, unzusammenhängendes und beliebiges Wissen zu produzieren. Auf der Suche nach einer geeigneten übergeordneten Fragestellung muss man sich aber vielmehr ihre Bedeutsamkeit für Kind, Sache und Gesellschaft vergegenwärtigen. Wie in einem Flipper geht zum Beispiel das Stichwort «Ernährung» (der Spielball) von einem Bezugspunkt zum anderen, um abzuklären, worin die relevanten Fragen, fachlichen Potenziale, Lehrplanbezüge zu diesem Stichwort bestehen. Es gilt, den «Spielball» möglichst lange im Spielfeld zu halten, da dadurch die Chance steigt, eine gute übergeordnete Fragestellung formulieren zu können. Hat man eine befriedigende Fragestellung gefunden, folgt danach eine Auswahl der an der Behandlung der Frage beteiligten fachlichen Perspektiven und deren Wissensbestände. Überlegungen zu Unterrichtszielen und zu Unterrichtsmethoden können nun folgen. Das Bild des Flippers stellt eine Metapher dar für den zirkulären Prozess der Unterrichtsvorbereitung. Der hinten im Buch beigelegte Flipper liefert eine Kurzform des didaktischen Ansatzes, der die Unterrichtsvorbereitung erleichtert.

      Zum Gebrauch des Studienbuches

      «Nachdenken und vernetzen in Natur, Mensch, Gesellschaft» ist als Studienbuch konzipiert. Es gehört damit in die Hand von angehenden und praktizierenden Lehrpersonen sowie von Dozierenden an pädagogischen Hochschulen. Es ist allerdings nicht allein zur Lektüre geeignet, sondern auch zum Weiterdenken und Weiterarbeiten in Lehrveranstaltungen, Kursen und Teamdiskussionen. Dazu einige Anregungen:

      •Den Ansatz der übergeordneten Fragestellung versteht man am besten, wenn man sich in der Formulierung solcher Fragestellungen übt. Bilder der Welt (z. B. Burgruine, Flüchtlingsboot, Gebetsfahnen, Tiere, Getränkeflasche) dienen als Inspiration, eine solche zu formulieren.

      •Manche NMG-Werkstatt ist ein Sammelsurium unzusammenhängenden Wissens. Solche Unterrichtsmaterialien werden entlang der didaktischen Trias auf ihre Bildungsrelevanz analysiert. Der Flipper hilft dabei, den Überblick zu wahren.

      •Philosophieren lernt man durch Philosophieren. Es lohnt sich, im Rahmen von Lehrveranstaltungen mit Studierenden, in Weiterbildungskursen und im Team philosophische Gespräche zu führen und sie führen zu lassen.

      •Wenn man das System der Aufgabensets verstanden hat, dann erleichtert es die Strukturierung des Unterrichts. Bis dahin braucht es Übung. Mit verschiedenfarbigen Kärtchen können Aufgaben entlang des Prozessmodells so lange geordnet werden, bis ein stimmiges kompetenzförderndes Aufgabenset erstellt ist.

      •Aus den Analysen und den Aufgabensets der elf exemplarischen Fragestellungen können Unterrichtsmaterialien erstellt werden. Umgekehrt kann ausgehend von bestehendem Unterrichtsmaterial entlang des Aufbaus der elf Fragestellungen eine didaktische Analyse erstellt werden.

      •Letztlich ist jedes Team gefordert, eine für seine Situation stimmige Planung zu erstellen. Die vorliegende Jahresplanung ist ein Vorschlag, an dem man Vor- und Nachteile benennen oder alternative Fragestellungen diskutieren kann.

      Konkrete Fragen und Arbeitsaufträge sind jeweils am Schluss der Teile 1 bis 5 zu finden.

      Dank

      Die Herausforderungen, welche die komplexe Struktur von NMG an Studierende und Lehrpersonen in der Praxis stellt, gelten in gleichem Masse auch für Lehrende der Fachdidaktik NMG an pädagogischen Hochschulen. Hinzu tritt, dass die Mehrperspektivität des Fachs es notwendig macht, dass sich Dozierende aus mehreren Bezugswissenschaften des NMG-Unterrichts zusammen mit Expertinnen und Experten aus verschiedenen fächerübergreifenden Bildungsanliegen an der Entwicklung und Umsetzung des Studienplans beteiligen müssen. Alle sind dabei gefordert, ihr disziplinäres und interdisziplinäres Wissen im Hinblick auf dessen Beitrag zur Entwicklung einer von allen getragenen mehrperspektivischen und integrativen Fachdidaktik kritisch zu hinterfragen.[4] In diesem Sinne stellt der vorliegende Band auch ein Teamentwicklungsprojekt dar, das zum Ziel hatte, ausgehend von je unterschiedlichen fachlichen Hintergründen einen Beitrag zu einem gemeinsamen Verständnis des Fachs NMG zu leisten. Dieses didaktische Konzept möchten wir damit in die fachdidaktische Diskussion einbringen. Den Herausgebern ist es ein Anliegen, den Kolleginnen und Kollegen für ihren Beitrag zum Gelingen des Projekts «Studienbuch NMG» herzlich zu danken.

      Der hep verlag hat uns in unserem Vorhaben, unseren didaktischen Ansatz einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, von Beginn an unterstützt. Wir danken Peter Egger und Susanne Gentsch für die Aufnahme in das Verlagsprogramm und Tatjana Straka für die zuverlässige Begleitung.

      Für den namhaften Zuschuss zu den Druckkosten danken wir der Pädagogischen Hochschule Luzern. Unser Dank geht auch an die Dienststelle für Volksschulbildung des Kantons Luzern, welche die Ausarbeitung eines Modells zur Jahres- und Zyklenplanung finanziell unterstützt hat.

      Wir wünschen den Lesenden in Aus- und Weiterbildung anregende Lektüre und erhellende Diskussionen. Wir hoffen, dass wir einen Beitrag zur Entwicklung der NMG-Didaktik leisten können.

      Die Herausgeber, April 2018

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      Das Fach Natur, Mensch, Gesellschaft (NMG) lädt zur Auseinandersetzung mit der Welt aus unterschiedlichen Perspektiven ein. Um einen bildungsrelevanten Unterricht gewährleisten zu können, werden didaktische Kriterien benötigt. Dieser Teil führt zunächst entlang des Lehrplans 21 ins Fach ein und legt dar, wie grundlegende Bildung im Fachbereich NMG verstanden werden kann. Danach führt er durch unterschiedliche Arten der Perspektivenkoordination und optiert für einen perspektivenübergreifenden Ansatz. Als Dreh- und Angelpunkt wird die übergeordnete Fragestellung als Mittel zur Unterrichtsplanung eingeführt.

      Natur, Mensch, Gesellschaft – ein vielperspektivisches und integratives Fach

      Paolo Trevisan

      Mit der Einführung des Lehrplans 21 in den Kantonen der Deutschschweiz entsteht vom Kindergarten bis zur Sekundarstufe I ein neues Schulfach mit der Bezeichnung «Natur, Mensch, Gesellschaft» (NMG). Dieses neue Schulfach tritt auf der Primarschulstufe die Nachfolge eines Schulfaches an, das zuvor noch viele Namen trug und auf unterschiedlichen Lehrplänen fusste. In der Innerschweiz und in den Kantonen Sankt Gallen und Zürich hiess es zum Beispiel «Mensch und Umwelt», im Kanton Solothurn «Sachunterricht», im Kanton Bern «Natur–Mensch–Mitwelt», in den Kantonen Aargau, Graubünden und Thurgau «Realien», in Basel-Land und Basel-Stadt «Mensch–Gesellschaft–Umwelt». NMG stellt in der Schullandschaft etwas Besonderes dar, da es eine Vielzahl unterschiedlicher fachlicher Perspektiven aufweist und in sich integriert. Der neue Lehrplan weist denn auch besonders auf diese «Spezialität» hin: «Natürliche und kulturelle, wirtschaftliche, soziale und historische Phänomene, Situationen und Sachen stehen im Fachbereich Natur, Mensch, Gesellschaft im Vordergrund, insbesondere auch die Wechselwirkungen zwischen Menschen und ihrer Um- und Mitwelt. Diese Phänomene, Sachen und Situationen können aus verschiedenen inhaltlichen Perspektiven und mit verschiedenen Zugangsweisen und Methoden betrachtet und erschlossen werden.»[5]

      Diese inhaltliche Vielfalt äussert sich in den Themen, die im Rahmen dieses Fachs unterrichtet werden. So tauchen in den Unterrichtsstuben der Primarschule regelmässig Themen wie «Herbst», «Wasser», «Unsere Gemeinde», «Leben in der Jungsteinzeit», «Waldtiere», «Apfel» usw. auf, deren Inhalte auf unterschiedliche fachliche Perspektiven verweisen. Am Beispiel «Apfel» lässt sich diese vielperspektivische Zugangsweise gut illustrieren (siehe Abb. 1).

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